Bläschen-Fusion nimmt weitere Hürde
Das Potential der Kavitation, Kernfusion herbeizuführen, lässt Physiker in neue Richtungen der Energiegewinnung denken
2002 sorgte eine Veröffentlichung im Wissenschaftsjournal „Science“ für hitzige Debatten unter Wissenschaftlern, denn es wurde behauptet, thermonukleare Kernfusion sei in einem simplen Tischexperiment erreicht worden (Kernfusion in einer Gasblase). Bis dahin war nur die Heiße Fusion in hausgroßen Experimentalreaktoren wissenschaftlich anerkannt. Eine zweite Veröffentlichung des selben Teams in „Physical Review E“ (2004) überzeugte weitere Wissenschaftler, dass an der Fusion durch Kavitation doch etwas dran sei. Nun liegt die Bestätigung der Bläschen-Fusion durch eine weitere Gruppe vor. Die Diskussion um eine potentielle Energiequelle geht damit in eine neue Runde (siehe a. "Kalte" Kernfusion wieder aufgewärmt.
Wenn Aceton – im Hausgebrauch auch als Nagellackentferner bekannt – mit Ultraschall angeregt und mit Neutronen bestrahlt wird, kommt es zur Kernfusion. Das ist die Behauptung der beiden jungen Physiker Dr. Yiban Xu und Adam Butt von der amerikanischen Purdue-Universität.
„Kavitation ist das Phänomen, dass Blasen in einer Flüssigkeit entstehen, die mit Gas oder Dampf gefüllt sind“, erklärt Xu das Grundprinzip. Wenn Aceton mit einem Piezo-Kristall in Resonanz versetzt wird, entstehen Gasbläschen, die im Schallfeld potentielle Energie aufnehmen. Damit die Bläschen eine kritische Größe überschreiten, müssen sie zusätzlich mit energetischen Neutronen beschossen werden. „Wenn die Bläschen dann implodieren, wandelt sich ihre potentielle Energie in kinetische Energie und komprimiert das Gas im Inneren“, so Xu.
Es ist bekannt, dass die dadurch entstehenden hohen Drücke und Temperaturen ausreichen, um Lichtblitze zu erzeugen (Sonolumineszenz). Die Bläschen-Fusion besagt nun, dass die Bedingungen in den implodierenden Bläschen ausreichend sind, um Kernfusion herbeizuführen, sobald Aceton verwendet wird, in dem leichter Wasserstoff durch schweren Wasserstoff (Deuterium) ersetzt worden ist.
Die thermonukleare Fusion zweier Deuteriumkerne ist gekennzeichnet durch die Entstehung von entweder einem Helium-3-Atom und einem Neutronen oder dem schwersten Wasserstoff-Isotop Tritium und einem Proton. In beiden Fällen wird zusätzlich ein energetisches Photon ausgesendet. Xu und Butt messen Neutronen und Tritium – Helium-3 ist schwierig und ein Proton gar nicht nachweisbar in der gegebenen Umgebung:
Unsere Daten besagen, dass wir zu mindestens 99,994 % sicher sein können, dass thermonukleare Fusion von Deuteriumionen stattfindet.
Expertenmeinungen
Professor Rusi Taleyarkhan, dessen ursprüngliches Experiment überprüft worden ist, gratuliert den beiden Physikern. Ihnen sei eine wichtige Erkenntnis zu verdanken. Xu:
Wir haben herausgefunden, dass die Reaktion stoppt, wenn kometenähnliche Bläschenketten entstehen. Deren unregelmäßige Form verringern die Fähigkeit der Bläschen, das eingeschlossene Gas zu komprimieren, und verhindern dadurch die Kernfusion.
Für den Herausgeber des Journals „Nuclear Engineering & Design“, in dem die Arbeit erschienen ist, ist die Bläschen-Fusion nun endgültig bewiesen. Professor Günther Lohnert, Leiter des Instituts für Kernenergetik und Energiesysteme der Universität Stuttgart, hat die Begutachtung der Arbeit selber durchgeführt und dabei zahlreiche Experten konsultiert.
Zum ersten Mal, ich würde sagen, in der Geschichte der Menschheit, hat man mit einem simplen mechanistischen Energiemechanismus gezeigt, dass man Temperaturen kriegen kann, die, sagen wir mal, weit über die Millionen Grad liegen müssen!
Für Lohnert ist es eine „Sensation“, dass das neue Experiment viel einfacher als das von Taleyarkhan sei. Im Gegensatz zu einem teuren Neutronengenerator benutzten Xu und Butt eine einfache Plutonium-Beryllium-Neutronenquelle. Lohnert glaubt, dass die Bläschen-Fusion „das große Thema“ sein wird, weil Physikinstitute es praktisch „aus der Portokasse“ bezahlen könnten. Er bemüht sich nun, das Experiment auch an seinem Institut in Stuttgart durchzuführen.
Professor Seth Putterman von der Kalifornischen Universität in Los Angeles, findet, „dass die Daten [von Xu und Butt] aus dem gleichen Grund unüberzeugend sind, wie alle Veröffentlichungen von Taleyarkhan". Putterman verlangt eine zeitliche Übereinstimmung zwischen Lichtblitzen aus der Sonolumineszenz und Neutronenmessung in einem Zeitfenster einer milliardstel Sekunde. Taleyarkhans Gruppe hatte eine Übereinstimmung nur innerhalb eines Fensters von 2 Millisekunden zeigen können.
Tatsächlich ist es schwer, die zu suchenden Fusionsneutronen vom Hintergrund zu trennen, den die Neutronenquelle mit sich bringt. Xu meint, er und sein Kollege hätten diesen Bedenken mit einem Kontrollexperiment Rechnung getragen. Sie führten ein Experiment mit normalem Aceton durch, bei dem keine Fusion erwartet wird. Hier maßen sie mit und ohne Kavitation keinen Unterschied bei der Neutronenmessung.
Eine Zunahme von Neutronen während Kavitation haben wir nur bei deuteriertem Aceton gemessen. Wenn die detektierten Neutronen von der Neutronenquelle stammen würden, hätten wir sie auch bei normalem Aceton messen müssen.
Wie bei ihrer zeitlichen Übereinstimmung mit den Lichtblitzen fordert Putterman bei den Neutronen auch eine genauere Diagnose, ob sie wirklich die Energie hätten, die sie als Fusionsprodukte haben müssten. Außerdem zweifelt er die Unabhängigkeit des Experiments an.
Taleyarkhan lehrt heute Physik an der Purdue-Universität, Xu und Butt arbeiten in seinem Labor. Die zwei schreiben, dass Taleyarkhan ihnen beim Aufbau des Experimentes geholfen habe. Wie Purdue mitteilt, hatten die Experimente jedoch begonnen, als Taleyarkhan noch am Oak Ridge Nationallabor arbeitete, und waren abgeschlossen, bevor Xu und Butt in dessen Labor wechselten. „Wir haben unser Experiment und unsere Datenanalyse unabhängig durchgeführt“, sagt Xu. Für Günther Lohnert ist die Unabhängigkeit durch die viel einfachere Versuchsdurchführung gegeben.
Energiediskussion geht in neue Runde
Putterman und Lohnert sind sich einig, dass die Bläschen-Fusion nun nicht zu einer Konkurrenz zur Heißen Fusion werden sollte, die mit dem nun beschlossenen Bau des Experimentalreaktors ITER in die nächste Runde geht (Frankreich strahlt). „Es gibt offensichtlich einen Bedarf in der Physik, diese Sachen ein bisschen näher unter die Lupe zu nehmen und da eben auch Geld reinzustecken, um einfach die Physik besser zu verstehen“, findet Lohnert.
Putterman versucht seit gut vier Jahren selber, Kernfusion durch Kavitation herbeizuführen. Bisher waren er und sein Team laut eigenen Aussagen dabei noch nicht erfolgreich. Das ändert aber nichts an seiner Überzeugung, „dass eines Tages jemand etwas sehr Cleveres tun wird, um die Bläschen-Fusion zu erreichen".
Taleyarkhans Team hat kürzlich geschrieben dass die Bläschen-Fusion noch viele Hürden zu nehmen hat, bevor sie als Energiequelle in Betracht kommt. Doch vorstellen kann es sich auch Lohnert. Daher gelte, was für die Heiße Fusion gilt: „Wenn man nichts macht, wird man nichts finden.“
Putterman findet, dass auch „Leute außerhalb des Mainstreams ein wenig Geld erhalten sollten, um ihre Ideen voranzubringen.“ Einer dieser Leute ist Dr. Roger Stringham, ein Kavitationsforscher mit Erfahrung an öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen. Seine Firma „First Gate Energies“ hat einen Minireaktor gebaut, der laut eigenen Aussagen Energie durch Kavitation produziert – und das seit 1989. Stringham hat seine Ergebnisse zuletzt auf der „11. Internationalen Konferenz für Festkörperkernforschung“ vorgestellt.
Professor Brian Josephson, Nobelpreisträger auf dem Gebiet der Festkörperphysik, hat kürzlich in einem Leserbrief geschrieben, die neuen Ergebnisse der Bläschen-Fusion „zeigen ziemlich definitiv, dass thermonukleare Temperaturen einfach in einem Tischexperiment erzeugt werden können, und zwingen einen, die stärkeren Behauptungen von Stringham et al. ernst zu nehmen.“ Josephson schloss seinen Brief mit einer Frage: „Darf man hoffen, dass ein Teil des ITER-Budgets zu solchen Möglichkeiten umgeleitet wird?“
Korrektur Im Artikel steht, dass Taleyarkhan et al. eine zeitliche Übereinstimmung zwischen Lichtblitzen und Neutronenmessungen nur innerhalb eines Fensters von 2 Millisekunden hätten zeigen können. Dieses bezieht sich auf die Gesamtdauer, in der Übereinstimmungen gemessen wurden (Phys. Rev. E., 2004, fig.7). Tatsächlich wurden Übereinstimmungen innerhalb eines Fensters von 10 Nanosekunden gemessen (Science 2002, fig.5a).