Blair legt Beweise vor
Sorgfältig abgestimmtes Material bringt wenig neue Fakten, hebt aber die Mitverantwortung der Taliban hervor
London - Zum zweiten Mal seit dem 11.September hat der britische Premierminister Tony Blair heute das Unterhaus zu einer Sondersitzung einberufen. In seiner Rede verwies er auf eine Zusammenstellung von Informationsmaterial, das die Verantwortlichkeit von Osama Bin Ladin und der von ihm angeführten Organisation Al Quaida für die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon beweisen soll. Einschränkend wies Blair darauf hin, dass das mittlerweile im Internet veröffentlichte Dokument nicht von der Absicht getragen ist, eine eindeutige Beweislast aufzubauen, wie sie für einen Gerichtsfall notwendig wäre. Denn in allen entscheidenden Punkten, die mehr Aussagekraft hätten als bloße Hinweise, Anzeichen oder Indizien, stammen die Informationen aus nachrichtendienstlichen Quellen, die als Beweismaterial vor Gericht nicht zugelassen wären und deren Veröffentlichung Formen der Spionagetätigkeit preisgeben würde. So ist das 17 Seiten umfassende Dokument vor allem eines, die Fortsetzung der Überzeugungsarbeit zum Aufbau einer internationalen Allianz gegen Bin Ladin und Al Quaida.
In dem Dokument, das inzwischen auch im Internet veröffentlicht wurde, wird die Geschichte Bin Ladens und des Aufbaus von Al Quaida beschrieben, sowie deren Verwicklung in Anschläge, zu denen bin Laden sich bekannt hat oder die ihm zur Last gelegt werden. Am umfassendsten sind die Informationen zu den Bombenanschlägen auf US-Botschaften in Ost-Afrika im Jahr 1998, da es dazu inzwischen ein Gerichtsverfahren in den USA gegeben hat, bei dem einige der Mittäter ausgepackt hatten. Mit anderen Worten, in dem Dokument ist kaum etwas enthalten, was ein informierter Zeitungsleser nicht auch allein aus öffentlichen Quellen hätte zusammen-googlen können.
Zu den stärksten Punkten bezüglich der Attentate vom 11.September, die einem Beweis für die Urheberschaft Bin Ladins noch am nächsten kommen, die aber aus oben genannten Gründen nicht mit Hintergrundinformationen belegt sind, zählen:
- kurz vor dem 11.September habe Bin Laden Komplizen mitgeteilt, dass eine größere Operation in Amerika in Vorbereitung sei
- an eine Anzahl von Leuten wurde die Warnung ausgegeben, nach Afghanistan zurückzukehren, weil für oder rund um den 11. 09. eine Aktion geplant sei
- einer der engsten Vertrauten Bin Ladens habe unzweideutig gesagt, dass er zu den Vorbereitungen für den 11.09. beigetragen hat und dass die Organisation Al Quaida an dieser Aktion beteiligt ist.
- von den 19 als Flugzeugentführer identifizierten Passagieren sei zumindest bei drei nachgewiesen, dass sie enge Verbindungen zu Al Quaida haben
- einer von ihnen habe auch eine Schlüsselrolle bei den Bombenanschlägen auf die US-Botschaften in Ost-Afrika und auf die USS Cole eingenommen
- darüber hinaus gebe es Informationen, die ganz eindeutig die Beteiligung Bin Ladins beweisen würden (doch diese sind anscheinend so hochgeheim, dass darüber nicht einmal mehr als nur eine Andeutung gemacht wird).
Die vorgelegten Informationen, die Premierminister Blair als "Zwischenbericht" bezeichnet, ebenso wie seine Rede vor dem Parlament, machen deutlich, in welche Richtung USA und Großbritannien zielen. Es geht ihm nicht nur darum, die Welt von der Schuld Bin Ladins und Al Quaidas zu überzeugen, sondern auch aufzuzeigen, wie eng die Verbindung mit den Taliban ist. Diese würden Bin Ladin nicht einfach nur als Gast dulden, sondern eine enge Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet betreiben, heißt es in dem Dokument. Gemeinsam würden sie auch den Heroinhandel betreiben, um Waffen und elektronische Ausrüstung damit zu finanzieren. "Wir müssen sicherstellen, dass Afghanistan aufhört, dem internationalen Terrorismus Unterschlupf zu gewähren und ihn nachhaltig zu unterstützen. Wenn das Regime der Taliban dieser Auflage nicht nachkommt, dann müssen wir eine Veränderung in diesem Regime herbeiführen, damit Afghanistans Verbindungen zum internationalen Terrorismus unterbrochen werden," sagte Blair in seiner Ansprache vor dem Parlament.
In dieser Frage, ob "nur" Bin Ladin und Al Quaida ziel militärischer Aktionen sein würden oder ob der Sturz der Taliban ebenso ein Ziel ist, hatte es in den letzten Wochen ein diplomatisches Verwirrspiel gegeben, mit widersprüchlichen Aussagen von Bush, Blair und Vertretern der jeweiligen Regierungen. Laut Informationen der Tageszeitung The Guardian hängt deshalb auch die Unterstützung einiger wichtiger arabischer Frontstaaten an einem seidenen Faden. Saudi-Arabien hat bisher die Nutzung seines Luftraums ebenso wie einer erst kürzlich fertiggestellten amerikanischen Militärbasis verweigert. Bei dieser soll es sich um eine "Weltraumtechnikstation" voll mit den neuesten Gadgets handeln, darunter riesige Touch-Screens, auf denen sich der Flug jedes einzelnen Bombers beobachten ließe. Die Amerikaner würden diese Basis gerne als Kommandostation für Luftangriffe auf Ziele in Afghanistan verwenden. Neben den Saudis verweigern auch die meisten anderen Golfstaaten bislang die Nutzung amerikanischer Stützpunkte auf ihrem Territorium als Ausgangsbasis für militärische Aktionen gegen Afghanistan. Selbst Oman, das enge Beziehungen zu Großbritannien unterhält und wo gerade 20.000 britische Soldaten in gemeinsamen Manövern trainieren, will diese Form der Unterstützung nicht gewähren.
Unter den arabischen Nationen verhärtet sich immer mehr die Haltung, dass jede militärische Handlung nur auf der Basis eines UN-Beschlusses erfolgen kann. Die bisherige Resolution 1373 des UN-Sicherheitsrats enthält jedoch nur Vorschriften über die Unterdrückung terroristischer Finanznetzwerke und die Pflicht, Terroristen Unterschlupf zu verweigern. Die USA wiederum sind allem Anschein nach nicht bereit, sich vom UN-Sicherheitsrat die Legitimation für einen Militärschlag zu holen, weil sie befürchten, dass ihnen im Zuge des diplomatischen Hick-Hacks der Handlungsfreiraum eingeschränkt werden könnte. Daher die Strategie der Vorlage von "Beweisen", die allerdings nichts beweisen, was nicht schon CNN kurz nach dem Anschlag als gegeben präsentierte: die Schuld Osama Bin Ladins.
Die Vermutung liegt nahe, dass erste Militärschläge bereits erfolgt wären, wenn dieses Problem des internationalen Rechts nicht im Weg stünde. Sympathisanten des islamischen Fundamentalismus und der Taliban könnten im Falle von nicht durch internationales Recht gedeckten Militärschlägen der USA und Großbritanniens die ganze Region destabilisieren. Damit wäre eine Entwicklung eingeleitet, von der vor allem die Terroristen profitieren würden, nämlich in der arabischen Welt den Eindruck zu nähren, dass es sich tatsächlich um einen Kulturkampf des christlichen Westens gegen den Islam handelt. Blair kann im britischen Unterhaus seine Unterstützung für britische Moslems und gemäßigte Moslems ausdrücken so oft er will, doch was nun zählt, sind nicht so sehr geschickt gewählte Worte, als weise Handlungen.