Blaues Umweltsiegel für nachhaltige Fischerei im Verdacht

Seite 2: Bumerang: Steigende Nachfrage an nachhaltig gefangenem Fisch

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der MSC entstand 1996 als gemeinsames Projekt des WWF und dem Unilever-Konzern, damals mit einer der weltgrößten Fischverarbeitungen im Unternehmensgeflecht. Umwelt-NGOs und Akademiker kamen mit Fischereiverbänden und Vertretern des Handels zusammen, um an einem Bündel von Kriterien zu feilen, die künftig nachhaltige und gut gemanagte Fischereien charakterisieren sollten und letztendlich zur Grundlage des 2000 erstmalig vergebenen MSC-Ökosiegels wurden.

2006 kam es zu einem Abkommen des MSC mit Wal-Mart, in dem sich der Handelsgigant verpflichtete, bis zum Jahre 2011 jeden in seinen Filialen verkauften Fisch aus MSC-zertifizierten Fischereien zu beziehen. Für Kritiker war das ein Pakt mit dem Teufel, doch Wal-Marts Engagement rettete den MSC vor dem drohenden Bankrott. Andere große Handelsketten zogen nach. Mit dieser Entwicklung wuchs auch der Druck auf den MSC, große Fischereien schneller zu zertifizieren. In der Folge kam es zu einer regelrechten Explosion von MSC-Zertifizierungen.

Noch im Januar 2010 war die portugiesische Sardinenfischerei mit dem MSC-Siegel als nachhaltig zertifiziert worden. Im Januar 2012 wurde die Zertifizierung aufgrund der zu niedrigen Biomasse des Bestands erstmalig ausgesetzt, ein Jahr später erneuert, und im August 2014 wieder suspendiert, dieses Mal bis auf absehbare Zeit wohl endgültig: Der Sardinenbestand vor Portugal ist eingebrochen. Die Fänge liegen auf einem historischen Tiefstand. Bild: Bernd Schröder

Im März 2015 waren 256 Fischereien in 36 Ländern der Erde MSC-zertifiziert. Und der Bedarf an nachhaltig zertifizierter Ware wächst auch weiterhin. MSC-zertifizierte Fischereien fangen 8.8 Millionen Tonnen wilde und kommerziell verwertbare Seelebewesen jährlich, rund 10% der weltweiten Gesamtfangmenge. Die Verbraucher haben 2014-2015 4.5 Milliarden USD für essbare Meerestiere mit dem MSC-Ökosiegel ausgegeben, das mittlerweile 17000 verschiedene Produkte ziert.

Beim MSC heißt es, wie viel zertifizierter Fisch mit dem blauen Label verkauft wird, sei eine kommerzielle Entscheidung der Einzelhändler und nicht unter Kontrolle des MSC. Für den ist das Geschäft mittlerweile zum Selbstläufer geworden.

Meeresbiologen und Umweltschützer bewerten die weitere Ausdehnung der Zertifizierungsmaschinerie auf immer neue Bestände als bedenklich. Denn längst werden Arten mit dem Ökosiegel versehen, die man stattdessen besser in Ruhe ließe. Etwa den zu Mehl und Öl verarbeiteten Antarktischen Krill: Über die Folgen seiner Entnahme aus dem Nahrungsnetz vor Ort ist wenig bekannt.

Und unberührt davon, dass einige Arten allein durch ihre Lebensweise nicht in der Lage sind, einem hohen und anhaltenden Fischereidruck zu widerstehen, wird ihre Befischung als nachhaltig zertifiziert, selbst wenn sie als ökologisch und wirtschaftlich fragwürdig angesehen werden muss. Filetpreise von 50 EUR das Kilo sind dabei eine nicht zu unterschätzende Triebkraft. Wie beim Orange roughy, im Deutschen auch als Granatbarsch bekannt, dessen Befischung vor Neuseeland gerade das Zertifizierungsverfahren gemäß den Nachhaltigkeits-Standards des MSC erfolgreich durchlaufen hat. Die MSC-Zertifizierung von neuseeländischem Hoki, einer anderen Art der Tiefsee, war zuvor bereits von Umweltschutzgruppen kritisiert worden.

Ein weiterer Kritikpunkt an der Arbeit des MSC ist das Einspruchverfahren, bei dem die Beweislast beim Beschwerdeführer liegt, nicht beim Zertifizierer. Eine 2013 publizierte Studie befasste sich mit 19 formalen Einsprüchen, die über einen Zeitraum von 15 Jahren bei der Zertifizierung von über 170 Fischereien eingebracht und an deren Ende alle außer einer Zertifizierung aufrecht erhalten wurden. Die Verfahren sind teuer und kompliziert. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die MSC-Prinzipien zu milde seien und Raum zu Auslegungen böten, außerdem erlaubten sie eine überaus großzügige Interpretation durch externe Zertifizierer und vom MSC beauftragte Schlichter.

Kritiker machen auf andere Mängel bei manchen der Zertifizierungen aufmerksam. So werden ursprünglich nicht nachhaltige Fischereien zertifiziert, mit dem Anreiz, dass sie nachhaltig werden könnten, würden die erkannten Unzulänglichkeiten abgestellt und zum Beispiel eine anfänglich nicht vorhandene adäquate Befischungsregelung entwickelt und umgesetzt. Der MSC ist überzeugt, dass dieser Ansatz funktioniert. Beim WWF zeige die Erfahrung jedoch, dass dies in vielen Fällen nicht zutreffe.

Nachtrag: Der WWF hält seine Kritik aufrecht, wie er im September 2018 schrieb: "Der MSC hat in den zwanzig Jahren seines Bestehens dazu beigetragen, einen weit verbreiteten Umweltstandard für Fischereien zu schaffen. Der WWF sieht inzwischen jedoch deutliche Mängel beim MSC, wie auch die wachsende Zahl der vom WWF eingereichten Beanstandungen einzelner MSC-Zertifizierungen zeigt. WWF fordert rasche Reformen des MSC. Angesichts des zunehmenden Drucks auf die Weltmeere muss der MSC sicherstellen, dass sein Standard dem derzeitigen Stand der Wissenschaft und den besten weltweit verfügbaren Methoden entspricht."