Blauhelme und Cannabis für die Befriedung der französischen Vorstädte?
In der Pariser Peripherie tobt ein regelrechter Krieg von Drogenbanden. Politiker sind hilflos
Der Krieg hat allein 2007 24 Dealern und Bewohnern des "93" (Kennzeichen der Seine Saint Denis, "neuf-trois" gesprochen) das Leben gekostet. Ein Bürgermeister des verfemten Departements schlägt nun vor, die verängstigte Bevölkerung seiner Stadt mit friedensstiftenden Militärs, Typ UNO-Blauhelme, zu beschützen und zu beruhigen. Zudem hofft er, dass die Legalisierung von Cannabis die Bandenkriege entschärfen könnte.
Doch eine solche Legalisierung bleibt in Frankreich derweilen nur ein holder Traum. Ein Gesetz ist noch lange nicht in Sicht. Die französischen Politiker müssen allerdings schon ziemlich verzweifelt und hilflos sein, die Armee zur Hilfe zu rufen, um gegen die herrschende Gewalt in den sogenannten "sensiblen" Vierteln der Vorstädte, vorzugehen. Selbst automatische Waffen des Typs Uzi werden von den Dealergangs im Kampf um Territorien eingesetzt.
Eifrigster Verfechter des Einsatzes von blauhelmähnlichen Truppen in manchen brenzligen Vierteln ist Stéphane Gatignon, der Bürgermeister von Sevran, einem Städtchen 18 km nordöstlich von Paris. Der Grüne mit kommunistischer Vergangenheit will auch Cannabis legalisieren und die anderen Drogen entkriminalisieren.
Was den Einsatz von Militärs zur Friedensstiftung anlangt, denken auch manche Politiker der regierenden UMP über eine Umerziehung von schwierigen und gewalttätigen Minderjährigen durch die Armee nach. Die Legalisierung von Cannabis kommt bei den Konservativen natürlich nicht in Frage Motto: Dont even think of it!
"Drogendealer haben die Macht übernommen"
Derweilen geht der Drogenkrieg u.a. in Marseille, Lyon und eben den Pariser Vorstädten, munter weiter: In einem berüchtigt gefährlichem Viertel von Sevran, kam es Ende Juni wieder einmal zu einem Schusswechsel zwischen rivalisierenden Dealerbanden, der glücklicherweise keine Verletzten gefordert hat. Kurz nach diesem bewaffneten Scharmützel schritt die Polizei ein und konnte mit einer breit angelegten Aktion an der 150 Beamten beteiligt waren, 13 Personen festnehmen. Mehrere Arten von Drogen, Geld und Schusswaffen wurden beschlagnahmt.
Laut Innenminister Claude Guéant haben in Sevran, die Drogendealer kurzum die Macht übernommen. In dem Städtchen der Seine-Saint-Denis finden regelmäßig bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Dealerbanden statt. Claude Dilain, der sozialistische Bürgermeister von Clichy-sous-Bois, wo die entzürnte Jugend 2005 drei Wochen lang einen international aufsehenerregenden Aufstand (11. Nacht: 1408 verbrannte Autos) probte, meint im Wochenmagazin Le Nouvel Observateur, dass Sevran zur Zeit schlimmer dran sei als seine zu tristem Renommée gelangte Stadt.
Innenminister Guéant winkt das Begehr des Bürgermeisters von Sevran nach dem Einsatz der Armee allerdings ab: "In einem republikanischen Staat liegt es selbstverständlich an der Polizei zu intervenieren und nicht an der Armee." Der Innenminister hat aber offenbar schon die Waffen gestreckt, indem er gleichzeitig verkündet, dass die Dealerbanden in manchen Vierteln die Macht übernommen haben. Reichlich seltsame Kommunikationspolitik für einen Innenminister, der ja in einem "republikanischen Staat" Chef der Polizei und Gendarmerie ist.
Angst auch im Pausenhof
Der verzweifelte Bürgermeister von Sevran weist den Innenminister darauf hin, dass die Polizei natürlich nicht rund um die Uhr vor Ort sein könne, und sobald ein Polizist den Rücken kehre, der Drogenhandel und die einhergehendenden bewaffneten Rivalitäten, um den besten Verkaufsplatz wie gehabt weitergingen. Selbst Schulen und Kindergärten sind vor einem Fehlschuss des tobenden Bandenkrieges nicht gefeit. So mussten die Kinder schon mehrmals ihre Pause im Schulgebäude verbringen, denn Eltern und Lehrer wollten sie nicht im Pausenhof wissen, wo ganz in der Nähe jederzeit ein Schusswechsel zwischen Banden losgehen kann. Wie bereits schon geschehen.
In Sevran ist jedermann von der herrschenden Gewalt verängstigt, wie der Bürgermeister die Dramatik der Situation beschreibt. Der sozialistische Kandidat für die PS-Vorwahlen für die Staatspräsidentschaft, François Hollande, meint aber wie der Innenminister, dass der Einsatz der Armee unangebracht sei: "Die Rolle der Armee ist es im Falle von kriegerischen Außenkonflikten präsent zu sein." Doch nehme er den verzweifelten Aufschrei des Bürgermeisters von Sevran sehr wohl wahr:
Der Umstand, dass die Kinder sich nicht einmal mehr in den Pausenhof vorwagen können, ist unerträglich.
Doch wird auch hier keine Lösung in Aussicht gestellt. Die UNO wird wohl kaum Blauhelmsoldaten in die französischen Vorstädte entsenden. Mit seinem Wunsch nach Blauhelmen für Sevran wollte der Bürgermeister vor allem wohl die mediale Aufmerksamkeit auf die tobenden Bandenkriege ziehen. Operation gelungen.
Militärische Disziplin für minderjährige Rückfalltäter
Seine Parteikollegin Segoléne Royal, ebenfalls Kandidatin bei den sozialistischen Vorwahlen für die Präsidentschaft 2012, vermeint hingegen, dass ein wenig militärische Disziplin für ungebändigte Minderjährige nicht schaden könnte. Das hatte sie auch schon 2007 in ihrer Präsidentschaftskampagne (Ségolène Superstar) gegen Sarkozy vorgeschlagen.
Nun will sie die militärische "Zähmung" minderjähriger Rückfalltäter in ihrer Region, Poitou-Charentes, dessen Präsidentin sie ist, testen. Sie denkt, dass das Gefängnis für Jugendliche nichts anderes sei als "eine Schule der Kriminalität".
Sie kommen noch straffälliger aus dem Gefängnis heraus, als sie hineingekommen sind. Wir müssen also Alternativen für das Gefängnis finden.
Auch so manche in der regierenden UMP fassen militärische Erziehungsmaßnahmen für schwierige Minderjährige ins Auge: So will der Mann für Sicherheitsfragen der UMP, Eric Ciotti, dem Präsident Sarkozy im Januar 2011 einen Sicherheitsbericht anvertraut hatte, eine Art Zivildienst für minderjährige Straftäter einführen, der eventuell "militärisch eingerahmt" sein könne.
Die Militärs selbst sind allerdings von derlei Ansinnen nicht sonderlich angetan: "Dies ist eindeutig nicht ein Job für Militärs. Eine Armee muss die Sicherheit des Landes und seine Unabhängigkeit garantieren und für die Verteidigung der Interessen, den Friedenserhalt und die Sicherheit in der Welt sorgen", wie der ehemalige Verteidigungsminister Hervé Morin, bereits 2007, auf die von der Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal vorgeschlagenen militärischen Pädagogik geantwortet hatte:
Die Militärs sind nicht dazu da, um die Jugendkriminalität im Zaum zu halten. Es sind andere Staatsdienste, die dafür zuständig sind. Man sollte nicht die Zuständigkeitsbereiche verwechseln.
Ein jüngster Versuch im Mai, bei dem zehn schwererziehbare Schüler der Sekundarstufe ("college") eine Woche lang in einer Militärkaserne, Uniform, Weckruf um 5:30 und Hindernislauf eingeschlossen, den Ordern der Armee gehorchen mussten, ist ordentlich danebengegangen. Während dieser Versuchswoche kam es zu Gewalttätigkeiten zwischen den Schülern selbst, aber auch gegen die Militärs. "Das Ganze war äußerst schwer handzuhaben", wie ein hoher Militärvertreter bekennt.
Gesundheitsgefährdende Prohibition
So wie die in den 20-er Jahren in den USA die berühmt-berüchtigte Alkoholprohibition ein Flop war, scheint auch in der Grande Nation in den Jahren 2000 das Verbot von Cannabis nicht viel zu fruchten. Es scheint sogar viel eher der gegenteiligen Effekt aufzutreten: Mit dieser Politik ist Frankreich zum europaweit größten Cannabiskonsumenten geworden: Laut Europe Ecologie und dem französischen Observatorium der Drogen zählt Frankreich zur Zeit 4 Millionen Cannabiskonsumenten - wovon 550.000 täglich zum Joint greifen.
Die Stimmen zur Aufhebung dieser gewaltförderdernden Prohibition von Cannabis werden nun immer lauter. Zudem führe dieses Verbot und der damit einhergehende Krieg gegen die Drogendealer zu wohnortabhängigen Diskriminierungen von Franzosen, die aus der Immigration abstammen, zweite oder dritte Generation eingeschlossen, wie das Onlinemedium Rue 89 analysiert.
Die aus der Immigration abstammenden Franzosen wohnen oftmals in den berüchtigt schwierigen, sogenannten "sensiblen" Vierteln. Die Prohibition betreffe vor allem ethnischen Minderheiten, die in den Vorstädten Tag für Tag Leibesvisitationen durch die Polizei über sich ergehen lassen müssten, weil diese nach einem Stückchen Cannabis suchen.
"Cannabistros" als Lösung?
Der ehemalige sozialistische Innenminister Daniel Vaillant ist davon überzeugt, dass die Prohibition eine Niederlage sei, und wünscht sich eine "kontrollierte Legalisierung". Cannabis könne, wie Tabak, über die üblichen Vertriebswege oder beispielsweise in noch zu schaffenden "cannabistros" verkauft werden. Gleichzeitig solle natürlich Werbung dafür und der Verkauf an Minderjährige verboten sein.
Zudem schlägt der ehemalige Innenminister Lionel Jospins einen staatlich kontrollierten Anbau von Cannabis vor. Eine Formel, die laut Vaillant bereits zu Zeiten der französischen Kolonien existiert hat. Wie der "Kif" in Marokko und das Opium in Indochina. Eine kontrollierte Legalisierung würde allerdings nicht das Problem der Schattenwirtschaft regeln, bekennt der ehemalige Innenminister. Doch beende man damit endlich die herrschende Heuchelei rund um das Cannabis.
Die französische Drogenexpertin Anne Coppel, die meint, dass die französische Drogenpolitik zu den archaischsten Europas zähle, fragt sich allerdings, was im Falle eines staatlichen Monopols mit den Personen geschehen soll, die von dieser Schattenwirtschaft leben? Sie zitiert die holländischen "Coffee Shops" als mögliche Lösung, wo es ehemalige Dealer sind, die diese Cannabisbars betreiben.
Eine andere Politik ist nötig
Auch auf internationaler Ebene wird über die Legalisierung und die Konsequenzen daraus ernsthaft nachgedacht: Der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan gehört einer Kommission an, die denkt, dass man die kontrollierte Legalisierung von Cannabis versuchen sollte, um den Dealern den "Grasteppich" unter den Füssen wegzuziehen.
Diese Kommission setzt sich auch für die medizinisch kontrollierte Verteilung von Heroin ein. Es bestehe ein dringender Handlungsbedarf. Die Prohibition habe tödliche Konsequenzen nach sich gezogen und destabilisiere ganze Wohnviertel.
Der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert. Man muss diese Politik ändern.
Wann Frankreich allerdings den Kiffern ein wenig Luft lassen wird, indes man auf die offizielle und legale Droge Alkohol stolz ist, steht in den Sternen geschrieben. Sind sich doch auch die Sozialisten in der Legalisierungsfrage uneinig. Wie vieler Toter dank der Bandenkriege bedarf es noch, um die Grande Nation von ihrer "archaischen" Vogel-Strauss-Drogenpolitik abzubringen?
Mit einem Präsidenten namens Sarkozy wird sich sicher nichts daran ändern. Ob es mit den Sozialisten an der Macht weniger verlogen zugehen würde, ist mehr als fraglich. Was die französische Bevölkerung angeht, so ist diese laut Meinungsumfrage zu 63% gegen eine Entkriminalisierung von Cannabis.