Blick in die Vergangenheit des Universums

Die ferne Milchstraße SDP.81, durch die Gravitationslinse zu einem Einstein-Ring verformt ALMA (NRAO/ESO/NAOJ)/Y. Tamura (The University of Tokyo)

Astronomen ist ein Schnappschuss aus der Jugendzeit des Universums gelungen - mit bisher unerreichter Auflösung

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Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich selbst fotografieren, als Sie nicht 40, sondern 6 Jahre alt waren. Und das sogar noch mit einer Schärfe und Auflösung, die Kameras in Ihrer Kindheit gar nicht besaßen. Tatsächlich ist selbst ein Blick in den Spiegel aus 50 Zentimetern Entfernung eine kleine Reise in die Vergangenheit: Denn was Sie sehen, passiert gar nicht exakt in diesem Moment, sondern ist in Wahrheit schon 3 Nanosekunden her. Das ist die Zeitspanne, die das Licht von ihrem Gesicht zum Spiegel und zurück zu Ihren Sehnerven gebraucht hat.

Um sich selbst weiter in der Vergangenheit zu sehen, ist der Spiegel leider viel zu nah. Astronomen hingegen haben immer mit dem Problem riesiger Entfernungen zu kämpfen. Was normalerweise die Erkenntnis der Welt erschwert, kann sich hier als Vorteil erweisen. Denn die Betrachtung eines Milliarden Lichtjahre entfernten Himmelsphänomens verrät uns, wie das Universum vor ebenso vielen Jahren beschaffen war. Das macht die Forscher neugierig auf möglichst weit entfernte, zugleich aber möglichst helle Objekte, etwa Quasare.

Manchmal jedoch haben die Astronomen auch Glück. Masse verzerrt den Raum, das wissen wir seit Einstein. Gerade Linien sind dann nicht mehr gerade. Auch das Licht folgt dieser Verzerrung, nimmt also unter Umständen große Umwege auf sich. Große Massen verzerren den Raum stärker als kleine.

Aus der Optik wissen wir, was sich mit geänderten Lichtwegen anstellen lässt: Es lassen sich Linsen daraus konstruieren, durch die kleine Objekte optisch größer aussehen. Allerdings haben die Astronomen die Konstruktion ihrer Linsen nicht selbst in der Hand. Sie müssen darauf warten, bis sich eine passende Konstellation findet.

SDP.81, durch die Gravitationslinse betrachtet (Bild: ALMA (NRAO/ESO/NAOJ); B. Saxton NRAO/AUI/NSF)

Eine solche haben Forscher des ALMA-Konsortiums nun ausgemacht: Sie sind auf einen perfekten Einstein-Ring gestoßen, die optische Abbildung der weit entfernten Galaxis SDP.81 durch eine andere Galaxis im Vordergrund. Ein Einstein-Ring entsteht (siehe Video), wenn sich das abgebildete Objekt, die Gravitationslinse und die Erde exakt auf einer Linie befinden.

Die Aufnahme ermöglicht gleich mehrere interessante Aussagen. Zum einen konnten die Forscher Bereiche der Galaxis mit einer Auflösung von nur 200 Lichtjahren rekonstruieren - obwohl das Objekt aus der Frühzeit des Universums (Alter: 2,4 Milliarden Jahre) stammt. Hier machten die Forscher kalte Molekularwolken aus, in denen sich dereinst Sterne bilden werden. Es gelang auch, Masse und Rotation der Galaxis zu berechnen. SDP.81 ist demnach instabil und wird sich mit der Zeit zusammenballen - wobei es zu verstärkter Sternenformation kommen wird.

Die Forscher machten feine Strukturen in SDP.81 aus, die sie als kalte Molekularwolken identifizieren (Bild: ALMA (NRAO/ESO/NAOJ)/Mark Swinbank (Durham University)

Das Bild verrät aber auch etwas über die Galaxis im Vordergrund. Normalerweise müsste nämlich in der Mitte des Einstein-Rings das Zentrum von SDP.81 zu sehen sein. Es sei denn, im Zentrum der Vordergrund-Galaxis befindet sich ein massives Schwarzes Loch. Aus der Schwäche der Darstellung von SDP.81 schließen die ALMA-Forscher, dass das Schwarze Loch in der Vordergrund-Galaxis tatsächlich massiv sein muss - es ist zwischen 200 und 300 Millionen Sonnenmassen schwer.