Blickkontakt

Ein neuer Chip soll dem Auto zum Sehen verhelfen

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Auch wenn es zum Deutschen Zukunftspreis 2002 dann doch nicht ganz gereicht hat, allein die Nominierung dazu ist für Rudolf Schwarte nur ein weiteres Zeichen, dass die Entwicklung seines Teams wegweisend sein wird. Die dreidimensionale Umfeldwahrnehmung soll in den kommenden Jahren in der Industrie, im Consumer-Bereich, besonders aber in der Automobilindustrie vollkommen neuartige Anwendungen ermöglichen, die bislang aufgrund der Kosten und Größe bisheriger Lösungen nicht zu realisieren waren oder nur Bilder in 2D lieferten.

Wichtigstes Element hierfür ist das Photonic-Mixer-Device (kurz PMD genannt), ein optoelektronischer Halbleiterchip, den der am Zentrum für Sensorsysteme an der Universität-GH-Siegen tätige und seit zwanzig Jahren im Bereich der Optoelektronik forschende Schwarte zusammen mit Bernd Buxbaum und Torsten Gollewski entwickelt hat.

Das Prinzip entspricht dem der Fledermaus: Sie verschafft sich einen Eindruck von ihrer Umgebung, indem sie Töne in den Raum aussendet und Entfernung zu Objekten anhand der Echolaufzeit interpretiert. "Unser PMD arbeitet allerdings optisch", erklärt Buxbaum. Eine Photodiode sendet hierzu speziell modulierte Lichtsignale, wie zum Beispiel Infrarotlicht, aus. Die Lichtteilchen (Photonen) werden von den angestrahlten Gegenständen reflektiert, treffen auf die Pixel-Elemente im PMD-Sensor und erzeugen dort Elektronen, deren Anzahl mit der Entfernung zwischen Objekt und Pixel korreliert.

Im Prinzip handelt es sich hierbei um einen einfachen Vergleichsprozess, denn der Chip weiß millimetergenau, wie lange das Lichtsignal für eine bestimmte Entfernung zur Kamera unterwegs sein muss, "indem er das elektronische Referenzsignal mit dem optischen Eingangssignal in Korrelation setzt ". Irritationen durch unerwünschtes Hintergrundlicht oder Sonneneinstrahlung kommen hierbei nicht mehr vor. Die PMD-Kamera muss dabei nicht wie Digitalkameras mit einer Auflösung im Megapixel-Bereich arbeiten.

"Wir brauchen keine Informationen, um das Bild schön darzustellen, sondern uns reichen einige Tausend Pixel, um dreidimensionale Informationen über das Umfeld zu erhalten", erklärt Buxbaum. Das ganze passiert zudem in Echtzeit, was bei herkömmlichen mechanischen Scannern nicht möglich ist, die nicht nur eine Million mal größer sind als der Halbleiterchip, sondern auch mehrere zehntausend Euro teuer.

Erstes großes Einsatzgebiet der PMD-Technik werden sogenannte Fahrerassistenzsysteme sein, die dem Fahrzeuglenker nicht die Verantwortung über die Steuerung seines Autos entziehen, ihn aber entlasten und in Notsituationen einschreiten sollen. Nach einer Studie des Marktforschungsunternehmens J.D. Power könnten in den nächsten Jahren bis zu zwölf Millionen Fahrzeuge weltweit pro Jahr mit solchen Systemen ausgerüstet werden. Audi gehört zu den ersten Autokonzernen, deren Entwicklungsabteilung sich aktiv mit PMD beschäftigt und hat im Mai diesen Jahres im Rahmen eines Joint Ventures mit Schwartes Team die PMD Technologies gegründet.

"Für uns im Automobilbereich ist das dreidimensionale Sehen in Echtzeit eine ganz entscheidende Komponente", erklärt Torsten Gollewski von Audi Electronics Venture und sieht bereits eine Revolution in den nächsten Jahren, "nämlich das sehende Auto, das vor allem im Bereich der Sicherheit vieles wird leisten können".

Schon ein einfacher Spurwechselassistent würde im Alltag für Fahrer und andere Verkehrsteilnehmer mehr Sicherheit bringen. "Eine kleine, im Rückspiegel integrierte PMD-Kamera überwacht hierbei den toten Winkel und gibt dem Fahrer, sobald er zum Überholvorgang ansetzt, einen haptischen Hinweis, wie zum Beispiel ein Vibrieren am Lenkrad, falls sich auf der linken Spur ein Fahrzeug gefährlich nähert oder sich beim Rechtsabbiegen noch ein Fahrradfahrer zwischen Bordstein und Auto befindet", erläutert Buxbaum das Prinzip, der inzwischen bei PDM Technologies arbeitet.

Weitere Anwendungen wären zum Beispiel eine Einparkhilfe oder das automatische Gas geben und Abbremsen im Stop-and-Go-Verkehr in der Stadt oder im Stau bei Schritttempo. Im "Pre-Crash" genannten Prinzip erhält das Auto eine visuelle Wahrnehmung, indem neben der nach hinten schauenden Kamera im Aussendspiegel auch eine nach Vorne ausgerichtete Kamera den Außenraum vor dem Fahrzeug erfasst. "Potentielle Unfallsituationen wie Auffahrunfälle oder Frontalzusammenstöße lassen sich so von der Kamera rechtzeitig erfassen und führen zu einer automatischen Notbremsung", erklärt Buxbaum. Außerdem ließen sich dadurch die Airbags um wichtige Millisekunden früher scharfstellen. Eine im Dachbereich unauffällig integrierte Kamera überwacht hierzu noch zusätzlich, in welcher Sitzposition sich die Insassen gerade befinden, um zu entscheiden, ob das Auslösen des Airbags und das Aufblasen zur vollen Größe die Person nicht schwer verletzen könnte.

"Für solche Sachen sind bisherige Lösungen einfach zu langsam, zu groß, zu teuer und gerade für den Einsatz im Fahrzeug nicht robust genug", erklärt Buxbaum den entscheidenden Vorteil der PMD-Technik. Da nahezu die gesamte wichtige Technik auf nur einem Chip untergebracht ist, der sich im gebräuchlichen CMOS-Halbleiter-Fertigungsprozeß kostengünstig herstellen lässt, soll eine solche PMD-Kamera nur rund 100 Euro kosten.

Frühestens 2004/2005 will Audi die ersten PMD-Chips in seinen Autos verbauen. Bis dahin dürften dann auch die ersten PMD-Lösungen in der Industrie Herstellungsvorgänge überwachen und zum Beispiel Staubsauger alleine durch die Wohnung steuern.