Blockchain als Mode

LegalFling-Website. Screenshot: heise online

Von der automatisierten Lizenzgebührforderung bis zum rechtssichereren Ehe-Ersatz

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Nachdem 1945 die erste Atombombe gezündet wurde, explodierten in den Köpfen der Menschen auch die Erwartungen an die neue Technologie: Sie sollte ihrer Vorstellung nach unter anderem Automobile betreiben (woran beispielsweise die deutsche SPD so fest glaubte, dass sie 1956 in ihr Atomprogramm schrieb, die "Entwicklung von Kernkraftmaschinen anstelle der Dieselmotoren und anderer Verbrennungskraftmaschinen für feste und fahrbare Kraftstationen, für Schiffe, Flugzeuge und Verkehrsmittel [müsse] den Platz Deutschlands in der Reihe der Industrievölker sichern").

Ähnlich umfassende Erwartungen projiziert man heute auf die Blockchain-Technologie, die der Kryptowährung Bitcoin zugrunde liegt. In einer vom Internet-Branchenverband in Auftrag gegebenen YouGov-Umfrage erklärten im letzten Jahr neun Prozent der befragten mittleren und höheren Manager mittelständischer Unternehmen, die Technologie in der eigenen Firma einsetzen zu wollen, weitere 17 Prozent dachten über den Einsatz nach. Und ein knappes Drittel der Befragten ging davon aus, dass die Technologie in den nächsten zehn Jahren für "grundsätzliche Veränderungen" sorgen wird.

Energiebedarf bislang kaum ein Thema

Die Ideen, die in diesem Zusammenhang kursieren, beschränken sich nicht nur auf den Einsatz von Bitcoin oder Ethereum als Zahlungs- oder Thesaurierungsmittel. Auch in vielen anderen Bereichen werden Vorteile durch Blockchain propagiert. Ein potenziell hoher Energiebedarf, der solche Vorteile in wirtschaftliche Nachteile verwandeln könnte (vgl. China: "Geordneter Ausstieg" aus dem Bitcoin) ist bislang kaum ein Thema.

Besonders häufig tauchen Blockchain-Ideen im Zusammenhang mit Immaterialgüterrecht auf: Der ehemalige Foto- und Filmkonzern Eastman Kodak, dessen Aktie nach einer Insolvenz 2012 fast 90 Prozent ihres Werts verloren hatte, verspricht Fotografen mittels Nutzerkonten auf einer neuen Kodakone-Plattform beispielsweise neue Einnahmen aus der "Nachlizensierung" von Bildrechten im Internet, die er mit Kodakcoin-Kryptomünzen eintreiben und auszahlen will. Nachdem er bekannt gab, das Initial Coin Offering (ICO) für diese Digitalmünzen am 31. Januar durchführen zu wollen, verdoppelte sich der Aktienkurs kurzfristig.

Automatisierte Lizenzgebührforderungshilfe

Auch die in Berlin ansässige Firma Copytrack wirbt mit den Buzzwords Blockchain und ICO für ihr neues "Global Copyright Register". In der Vorverkaufsphase sammelten sie dafür von zusammengerechnet gut 2.900 Investoren über vier Millionen US-Dollar ein. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben "in über 140 Ländern aktiv" und "generierte" [sic] im letzten Jahr aus nicht oder nicht ausreichend lizenzierten Digitalbildern "ein Schadenvolumen von über 20.000.000 US-Dollar".

Die gebührenfinanzierte Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG, deren Zukunft sich in einer Volksabstimmung am 4. März entscheidet (vgl. Schweiz: Umfragemehrheit für Ende der Rundfunkgebühren), hat mit dem Telekommunikationsanbieter Swisscom und dem Fernsehsender Welt der Wunder eine mit Blockchaintechnologie und "Smart Contracts" funktionierende "Micro Licensing Coin" entwickelt, mit der Lizenzen im Fernsehrechtehandel automatisch abgegolten werden sollen.

Das soll theoretisch einfacher und kostengünstiger sein. Experten, die aktuell mit theoretisch automatisiert arbeitenden Archivierungstools der SRG arbeiten müssen, berichten jedoch von Mängeln in der praktischen Anwendung.

Big Data

Automatisch archivieren mit Blockchain will der Düsseldorfer Metro-Konzern, der dafür mit der Hamburger IT-Firma Deepshore kooperiert. Das System ist angeblich nicht nur "gesetzeskonform" und "revisionssicher", sondern erlaubt auch eine "umfassende Auswertung" und "Analyse", der Daten, die an den Ladenkassen anfallen. Durch den "technisch völlig neuen Ansatz" sollen sich "die Grenzen zwischen dem klassischen Archiv und einem Datawarehouse auflösen".

Andere Firmen und Organisationen prüfen derzeit, wie sie mit Blockchain Wahlfälschungen eindämmen, Sozialbetrug durch Mehrfachidentitäten verhindern und Korruption bekämpfen können. Eine der originellsten Ideen für den Einsatz der Technologie hatte das niederländische Unternehmen LegalFling: Es will damit beweissicher Verträge darüber festlegen, wann eine Person welchen geschlechtlichen Handlungen mit einer anderem Person zugestimmt hat (vgl. LegalFling: Zustimmung zum Sex in der Blockchain dokumentieren).

Update: Copytrack sieht sich selbst nicht als "Abmahndienstleiter", "sondern als "Bildrechtsportal, welches eine faire Einigung zwischen Urheber und Rechteverletzer anstrebt". Dazu führt das Unternehmen aus:

"Die Abmahnung ist die Mitteilung eines Verletzten an einen Verletzer, dass er durch eine im Einzelnen bezeichnete Handlung einen Urheberrechtsverstoß begangen habe, verbunden mit der Aufforderung, dieses Verhalten in Zukunft zu unterlassen (bei Wiederholungsgefahr) oder gar nicht erst zu begehen (bei Erstbegehungsgefahr) (vgl. Dreier, a.a.O., § 97a Rn. 3). Ein solches Begehren wird zu keiner Zeit durch Copytrack gegenüber Mandanten geltend gemacht. Copytrack versendet im Sinne des Urhebers Angebote zu Nachlizenzierung und ggf. Schadensersatzforderung. Auch unsere Schadensersatzforderungen stellen keine Abmahnung im Sinne des § 97a UrhG dar, da auch sie weder eine Aufforderung zur Unterlassung, noch zur Beseitigung der streitgegenständlichen Fotografie von Webseiten der Rechteverletzer enthält." (Copytrack)