Blutiger Konflikt zwischen Polizei und Landbesetzern
Auch die neue Regierung in Paraguay schiebt die schon lange anstehende Landreform hinaus, zwei Prozent der Menschen gehören 80 Prozent des Landes
Nach einem der blutigsten Zusammenstöße in der Geschichte Paraguays im Zusammenhang mit Landkonflikten werfen Bauernvertreter Präsident Fernando Lugo eine Wende nach rechts vor. Sie befürchten, dass er nun sogar Antiterrorismus-Gesetze zur Anwendung bringt gegen hunderte Landbesetzer, die Ende vergangener Woche in die tödlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei involviert waren.
Die Regierung rief derweil zum Dialog auf. Wie Kabinettschef Miguel López Perito gegenüber dem Nationalen Radiosender erklärte, solle ein "Runder Tisch" mit den Oppositionsparteien eingerichtet werden, um eine Lösung der Landfrage zu diskutieren. Von Einladungen an Vertreter der Bauernorganisationen erwähnte er nichts.
Bei den gewalttätigen Zusammenstößen Ende vergangener Woche in Curuguaty, rund 400 km nordöstlich der Hauptstadt Asunción gelegen, waren mindestens elf Bauern und sechs Polizisten getötet und Dutzende zum Teil schwer verletzt worden. Gegen zwölf Landlose wurde mittlerweile Haft angeordnet. Nach einem richterlichen Räumungsbescheid war am Freitagmorgen ein mehr als 200 Mann starkes Spezialkommando der Polizei auf das Landgut in Yvyrapytä vorgerückt, das seit Ende Mai von mehr als einhundert Familien besetzt wird. Ihrer Ansicht nach handelt es sich um öffentliches Land, das widerrechtlich privatisiert wurde. Sie deklarierten das rund 2.000 Hektar große Areal zum "Waldschutzgebiet". Nach gescheiterten Dialogversuchen eskalierte die Situation. Nach Medienberichten waren die Besetzer mit Pistolen und Gewehren bewaffnet.
Den Innenminister kosteten die Ereignisse den Job. Carlos Filizzola stellte seinen Posten zur Verfügung; zu seinem Nachfolger wurde Rubén Candia Amarilla ernannt, der ehemalige Generalstaatsanwalt der Vorgängerregierung unter Nicanor Duarte (2003-2008). Auch der oberste Polizeichef, Paulino Rojas, nahm seinen Hut. Seinen Posten übernahm Arnaldo Sanabria Morán, der pikanterweise die Räumungsaktion in Curuguaty geleitet hatte.
"Mit Überraschung registrieren wir Lugos Wende nach rechts, die er mit der Ernennung von Candia vollzieht, der bei seinem Amtsantritt angekündigt hat, das Gesetz und nicht das Räumungsprotokoll strikt durchzusetzen gegen jene Genossen, die Eigentum der Latifundien-Besitzer besetzt halten mit dem alleinigen Ziel die Aufmerksamkeit der Behörden auf den Beginn des Enteignungsprozesses zu lenken", erklärte Diógenes Lopez, Führer der Bauernorganisation Lucha por la Tierra in einem Interview mit Associated Press.
Zuvor hatte Candia in einer Pressekonferenz die Aufhebung der Anwendung des Räumungsprotokolls verkündet, da "es nicht Teil der Gesetzgebung ist". Das Räumungsprotokoll sieht vor einer Zwangsräumung die Feststellung der Anzahl von Männern, Frauen und Kindern, sowie Alten, Kranken und Schwangeren vor, sowie die Übergabe von warmer Kleidung, Lebensmitteln und Medikamenten an die Ärmsten. Es ist also eine Art Schutzmaßnahme. Lopez beklagte weiter, dass Lugo mit der Ernennung Candias dem Druck der Großgrundbesitzer, der großen Soja-Produzenten und Viehzüchter, die das Land unter sich aufgeteilt haben, nachgegeben habe. "Candia gehört der Oppositionspartei Partido Colorado an, vor allem aber war er es, der als Generalstaatsanwalt, mit Beratung US-amerikanischer Beauftragter, die Zustimmung des Kongresses zur Anti-Terrorismus-Gesetzgebung vorangetrieben hat."
Unklar ist noch, wer für die Gewalteskalation verantwortlich ist. Carpero-Anführer José Rodríguez bestätigte die Beteiligung von Angehörigen seiner Organisation an der Besetzung. Die Carperos (nach dem spanischen Wort "carpa" für Zelt), die sich an der Landlosenbewegung MST in Brasilien orientieren, sind in den vergangenen Jahren schnell gewachsen und haben sich zu einem ständigen Kopfschmerz für die Regierung entwickelt. Die Gruppierung zeichnet sich durch einen radikaleren Diskurs und ein gewaltsameres Vorgehen als die meisten anderen sozialen Bewegungen in Paraguay aus. Das Blutbad könne aber von Teilen der Polizei selbst angezettelt worden sein, um den Tod der Landlosen rechtfertigen zu können, so meint Rodríguez.
Gibt es ein politisches Interesse an der Gewalt?
Die strukturelle Gewalt, die dem Ganzen zugrunde liegt, wird weitgehend ausgeblendet: nämlich die enorme Ungleichverteilung von Land. Die Landfrage ist der seit Jahrzehnten schwelende zentrale soziale Konflikt – ohne dass eine Lösung in Sicht wäre. Als der frühere Bischof Fernando Lugo, der seine Wurzeln in der Befreiungstheologie hat, an der Spitze der Patriotischen Allianz für den Wandel (APC), einer Sammelbewegung aus sozialen Bewegungen und Parteien aller politischer Couleur 2008 die rechtskonservative Partido Colorado, die Paraguay 61 Jahre lang ununterbrochen regiert hatte, von der Macht ablöste, war eine der Hauptforderungen an seine Regierung denn auch, endlich eine Agrarreform durchzuführen, die diesen Namen verdiente.
Die Wasserversorgung in den ländlichen Gebieten wurde verbessert, zum ersten Mal in der Geschichte des Landes wird auch die indigene Bevölkerung des Landes angehört und als politischer Akteur ernst genommen, doch die Agrarreform lässt weiter auf sich warten. Auch hat Lugo hat bisher nie klar Position bezogen zur Frage der Landverteilung. Und die birgt sozialen Sprengstoff (Das böse Soja und die guten Menschen).
Zwei Prozent der Bevölkerung besitzen achtzig Prozent des Grund und Bodens. Das gehört zum Erbe der Diktatur von Alfred Stroessner (1954-89), der, um sich die Unterstützung der gesellschaftlichen Elite zu sichern, großzügig Land an regimetreue Anhänger verteilte. Der Bericht der Wahrheitskommission zur Aufarbeitung der Diktatur von 2008 spricht von fast sieben Millionen Hektar einer Gesamtfläche von 40 Millionen Hektar. In geringerem Ausmaß ging diese irreguläre Landvergabe auch nach Stroessners Tod weiter.
Das umkämpfte Land in Curuguaty gehört dem 83-jährigen Blas Riquelme, früherer Senator der Partido Colorado und ehemaliger Chef der paraguayischen Handelskammer. Auch er gilt als Profiteur der Stroessner-Diktatur. Bauernorganisationen haben ein Verfahren gegen ihn wegen illegaler Aneignung staatlicher Ländereien gefordert.
Bereits im Februar hatte es zum Teil gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Carperos und dem brasilianisch-stämmigen Soja-Produzenten Tranquilo Favero um ein 167.000 Hektar großes Gebiet in der Region Ñacunday in Alto Paraná in der Nähe der brasilianischen Grenze gegeben. Auch Favero wurde vorgeworfen, sich das Land in den Jahren der Diktatur widerrechtlich angeeignet zu haben. Damals mutmaßte Kabinettschef López Perito: "Es gibt ein politisches Interesse, dass es da zu Zusammenstößen kommt. (...) Meine Vermutung ist, dass jemand möchte, dass sich die Regierung die Hände mit Blut besudelt." Nun hat sie sie sich besudelt.