Blutiger Wahlkampf in Spanien

Bei einer Anschlagswelle in Madrid sind drei Tage vor den Parlamentswahlen mindestens 180 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden

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In vier Zügen gingen am frühen Morgen im Pendlerverkehr fast gleichzeitig insgesamt 13 Bomben (drei wurden entschärft) hoch und richteten vor allem im zentralen Bahnhof Atocha, aber auch in den Stationen Santa Eugenia und El Pozo, verheerenden Schaden an. Offenbar waren die Bomben in Reisetaschen deponiert worden.

"Es war wie im Krieg", sagten Augenzeugen vor Ort. Der Zugverkehr wurde eingestellt und das Telefonnetz in der spanischen Hauptstadt ist zusammen gebrochen. Der scheidende Ministerpräsident José María Aznar berief ein Krisenkabinett ein und seine Volkspartei setzte den Wahlkampf aus, dem sich inzwischen die anderen Parteien angeschlossen haben, und eine dreitägige Staatstrauer wurde angeordnet.

Obwohl die Regierung sofort die baskische Untergrundorganisation ETA für den Anschlag verantwortlich gemacht hat, erklärte das Innenministerium, man ermittle in alle Richtungen. Dementiert hat der Innenminister inzwischen, es habe einen Droh- oder Bekenneranruf einer islamistischen Gruppe gegeben. Doch stets warnt die ETA mit mehreren Anrufen, wenn sie Anschläge auf Infrastruktureinrichtungen durchführt. Auch der Korrespondent der spanischen Zeitung El Pais in Berlin, die für ihre absolute Militanz gegen die Basken bekannt ist, sagte im Deutschlandfunk, dass ein derartiger Anschlag nicht dem Stil der ETA entspreche.

Der Auslandsprecher der baskischen Partei Batasuna (Einheit), Joseba Alvarez, hat es als "unmöglich" bezeichnet, dass der Anschlag von der ETA kommt. "Das ist eine Attacke ohne Hand und Fuß, der in keiner Form in die politische oder militärische Logik der Organisation passt." Die Führung der Partei trat vor die Presse und der Sprecher der seit einem Jahr in Spanien verbotenen Partei, Arnaldo Otegi, verurteilte den "wahllosen Anschlag auf die Zivilbevölkerung in der absolutesten Form" und sprach von einem "Massaker". Er sprach den "Opfern und der Bevölkerung von Madrid die volle Solidarität" der Partei aus, die der ETA politisch nahe steht. Otegi vermutete, hinter den Anschlägen stünden vermutlich islamistische Terroristen und sprach von einer "Operation des arabischen Widerstands".

Zwar hatte die ETA versucht, an Weihnachten einen Anschlag auf den Madrider Bahnhof Chamartin auszuführen, aber die beiden bei der Aktion verhafteten ETA-Mitglieder haben ausgesagt, dass sie mit Anrufen vor der Bombe warnen wollten. Dass die ETA ausgerechnet vor den Wahlen Anschläge ausführen würde, bei dem viele Menschen verletzt oder getötet werden könnten, ist zudem schwer vorstellbar und würde nur der konservativen Regierung in die Hände spielen. Erst letzten Sommer hatte der ETA-Führer Santiago Arróspide Sarasola, alias Santi Potros, den Anschlag auf einen Supermarkt 1987 in Barcelona als einen der "schwersten Fehler in der der Geschichte der ETA" bezeichnet. Den Drohanrufen der Organisation hatten die Sicherheitskräfte keine Beachtung geschenkt, 21 Menschen verloren bei dem blutigen Attentat das Leben.

Auch der britische Außenminister Jack Straw geht von einem Anschlag von islamistischen Tätern aus und nannte konkret Al-Qaida. Das ist auch viel wahrscheinlicher, weil sich Spanien am Krieg gegen Afghanistan und an der Besetzung des Iraks beteiligt hat. Im Irak wurden bereits acht Spanier ermordet, sieben Geheimdienstmitarbeiter des CNI und ein Kommandant der Guardia Civil. Zudem waren spanische Einrichtungen schon Ziele islamistischer Täter bei einer Anschlagsserie in Marokko vor knapp einem Jahr.

So könnten die Anschläge in Madrid jetzt doch noch zum Stolperstein für die konservative Volkspartei (PP) von Aznar werden und die für morgen angesetzten landesweiten Demonstrationen könnten sich zu Protesten gegen sie verwandeln. Denn sie war es, die Spanien gegen den Willen von 90% der Bevölkerung in den Irak-Krieg geführt hat. Viele könnten nun denken, dass dies das Ergebnis der fatalen Politik von Aznar ist und am Sonntag den Oppositionsparteien ihre Stimmen geben, denen bisher nach Meinungsumfragen keine Chancen auf einen Sieg eingeräumt worden ist.

Zu vermuten ist aber, dass die Baskenfeindlichkeit in Spanien neue Urstände zeitigen dürfte. Erneut dürfte ein scharfe Repressionswelle gestartet werden. Der neue Kandidat der PP für die Ministerpräsidentschaft hat das "a por ellos" (auf sie) schon ausgegeben, um von der verunglückten Politik seiner Partei abzulenken.