Bock als Gärtner?

Spiele-Industrie will Raubkopierer als unbezahlte Demo-Verteiler nutzen

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Man stelle sich vor: Das PC-Spiel, das man von einem Freund gerade in Form einer kopierten CD erhalten hat, funktioniert einwandfrei. Zunächst. Gerade, wenn man sich in das Spiel "eingearbeitet" hat, also etwa die Bedienung der Waffen beherrscht, die Gesetze der jeweiligen virtuellen Welt verstanden hat und die ersten Gegner umgelegt hat - sprich wenn das Ganze anfängt, Spaß zu machen - beginnt die Software zu spinnen, sicher gezielte Schüsse gehen ins Nichts oder bewirken einfach keine Verletzung der Spielfigur. Solche Phänomene mussten jüngst Spieler erleben, die das Game Operation Flashpoint nicht von der Original-CD aus in Gang setzten (was man bekanntlich nicht nur aus illegalen Gründen tut, sondern beispielsweise auch, weil das Original stark verkratzt und somit defekt ist).

Bewirkt werden solche Fehlleistungen des Programms von einem Kopierschutz-System namens "Fade", welches mit "Operation Flashpoint" im größeren Stil getestet wurde. "Fade", vorgestellt in einem Artikel des New Scientist, funktioniert kurz gefasst so: Der Kopierschutz baut Fake-Kratzer in die Original-CD ein, die beim Kopiervorgang durch die Fehlerkorrektur des Brennprogrammes beseitigt werden. Wenn man das Spiel nun startet, sucht dessen Start-Routine nach den Kratzern der Original-CD und erkennt durch deren Abwesenheit die Kopie. Das Game erlaubt dem Spieler nun, einige Zeit zu spielen - irgendwann aber treten die erwähnten seltsamen Störungen auf, die ein sinnvolles Weiterspielen natürlich verhindern. Ganz offensichtlich der Versuch, das Phänomen "Raubkopie" durch die Hintertür in eine Werbekampagne zu verwandeln und den unwissenden "Piraten" auf diese Weise dazu zu verdammen, Demo-CDs zu produzieren, die den Hersteller des so beworbenen Produkts nicht einmal etwas kosten.

In exakt dieses Horn stößt denn auch Bruce Everiss vom "Flashpoint"-Hersteller Codemasters :

Das Schöne daran ist, dass diese immer schlechter werdende Kopie auf die Weise zum PR-Werkzeug wird. Die Leute gehen dann los und kaufen sich eine Original-CD.

Macrovision hat das von "Codemasters"-Gründer Richard Darling entwickelte "Fade" mittlerweile in sein "SafeDisc"-Anti-Piraterie-System entnommen und droht jetzt schon für nächstes Jahr mit einem "SafeDVD" betitelten Nachfolger, der dann dazu führen soll, dass der kopierte Film "an einer entscheidenden Stelle" plötzlich stoppt.

Es stellen sich allerdings einige technische Fragen im Zusammenhang mit "Fade". Interessant wäre etwa, wie ein RAW-Programm a lá "Clone CD" auf eine solcherart "geschützte" CD reagiert. Was passiert, wenn man bei Nero die Funktion "Lesefehler schreiben" aktiviert? Wie viele DVD's werden überhaupt kopiert (man bedenke das Größenverhältnis zwischen den 4,7 GB großen Rohlingen und den in der Regel um die 9 GB großen Film-DVD's - welches dazu führt, dass der Film ausgelesen wird und über ein Authoring-Programm sowieso eine ganz neue DVD erstellt wird). Andererseits ist das mittelfristig sowieso egal, da natürlich gerade "Fade" den einen oder anderen Hacker bis aufs Blut provozieren muss. Für Operation Flashpoint kursieren bereits mehrere Patches im Netz, die Fade aushebeln.

Die interessanteste Frage ist aber sicherlich die, wie id Software - um einmal die Firma zu nennen, die bewusst ganz anders mit ihrem Kundenkreis umgeht als die bislang erwähnten - durch die Veröffentlichung von komplett ungeschützten Spielen wie etwa der "Doom"-Serie oder "Quake/Quake 2" zu dem Giganten der Spieleindustrie schlechthin werden konnte. Wie ausgerechnet die Spiele dieser Firma Verkaufsauflagen erreichen konnten, von denen "Codemasters" auch weiterhin nur träumen werden, und wie "id" gleichzeitig die bei den Zockern beliebteste Firma schlechthin werden konnte. Die Antwort liegt eigentlich auf der Hand - aber Leute wie Herr Darling werden nie und nimmer draufkommen.