Böses auf Befehl
Warum es uns leichter fällt, andere Menschen auf Befehl von oben zu quälen
Bei der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen durch Soldaten oder anderweitig einer Befehlsgewalt ausgesetzten Individuen wird der Satz oft als Entschuldigung gebraucht: "Ich habe doch nur auf Befehl gehandelt." Zum weitaus größten Teil handelt es sich dabei um eine Ausrede, eine Begründung, die zum einen aus dem Wissen darüber entsteht, dass die betreffende Handlung gegen soziale Normen verstößt, zum anderen aus der Angst vor Bestrafung.
Doch es gibt auch eine Komponente, die Forscher das Handlungs-Bewusstsein nennen. Damit ist der bei manchen psychischen Krankheiten gestörte Sinn dafür gemeint, eine bestimmte Folge selbst verursacht zu haben.
Handlungs-Bewusstsein und Zeitspanne
Dieses Handlungs-Bewusstsein direkt - also durch Befragung der Probanden - zu messen, ist problematisch. Und zwar deshalb, weil die allermeisten Menschen auch einen Sinn für das sozial Erwünschte haben und Verantwortung für eigene "böse" Taten schon deshalb tendenziell ablehnen. "Das kann ich gar nicht gewesen sein, das passt überhaupt nicht zu mir" - lässt sich diese Antwort immer auf das soziale Gewissen zurückführen oder steht ein Mensch tatsächlich zum Teil außer sich, wenn er auf Befehl handelt?
Das lässt sich interessanterweise auch indirekt untersuchen - und damit genauer, wie es ein Forscherteam jetzt im Fachmagazin Current Biology schildert. Der Grad des Handlungs-Bewusstseins korreliert nämlich interessanterweise mit der Zeitspanne, die der Mensch subjektiv zwischen Handlung und Folge empfindet.
Wenn wir einen Lichtschalter betätigen - eher selten eine böse Tat -, dann scheint uns das Ergebnis (Licht geht an) unmittelbar zu folgen. Bekannt ist, dass dieser empfundene Zeitraum wächst, je negativer die Folge unserer Handlung ist. Das menschliche Bewusstsein will seinem Besitzer offenbar Abstand zu der von vornherein als negativ eingeschätzten Folge einräumen.
Freie Wahl oder auf Befehl handeln
In ihrer Arbeit untersuchen die Forscher nun, wie sich diese Zeitspanne verändert, wenn ein Mensch auf Befehl handelt. Dazu entwarfen sie zwei Versuche. In Experiment 1 teilten sie die Probanden paarweise auf, wobei die Teilnehmer abwechselnd die Rollen von "Täter" und "Opfer" übernehmen mussten. Die Täter konnten den Opfern entweder Geld wegnehmen oder diesen schmerzhafte Elektroschocks verabreichen, um ihr eigenes Einkommen zu erhöhen.
Durch den Täter-Opfer-Wechsel kannte jeder Teilnehmer die Folgen seiner Taten. Das Ergebnis: In etwas mehr als der Hälfte der Fälle übten die Täter ihre Option, dem Opfer finanziell oder physisch zu schaden, auch aus. Wer selbst einen Elektroschock bekommen hatte, war anschließend auch signifikant öfter dazu bereit, Schmerzen zu verursachen.
Anschließend bauten die Wissenschaftler eine Änderung ein: Die Täter hatten nun nicht mehr die freie Wahl, sondern mussten auf Anweisung des Versuchsleiters handeln. Danach verglichen die Forscher die subjektiv empfundene Zeit, die zwischen der Aktion (Knopf drücken) und der Folge (Schmerzempfindung des Opfers) vergangen war.
Das Ergebnis: Diese Zeit verlängerte sich signifikant, wenn die Täter unter Befehlsgewalt standen. Ihr Handlungs-Bewusstsein war durch den erteilten Befehl also offenbar geschwächt. Dabei war dieser Effekt umso stärker, je empathischer ein Täter im Persönlichkeitstest abgeschnitten hatte.
Begleitende Gehirnaktivität
Schließlich untersuchten die Forscher auch noch die Gehirnaktivität ihrer Probanden im EEG. Auch dabei zeigte sich ein interessanter Effekt: Die Gehirnaktivität unter Befehl entsprach eher einer passiven Bewegung (jemand anders hebt Ihren Arm an) als einer aktiven (Sie heben selbst Ihren Arm an). Offenbar wechselt das Gehirn, wenn es Befehle Dritter erhält, tatsächlich in eine Art Passiv-Modus, in dem sich das Handlungs-Bewusstsein verringert.
Die Wissenschaftler vertreten deshalb die These, dass sich auch der Gesetzgeber daran orientieren müsse - und zum Beispiel dem Befehlsgeber eine höhere Verantwortung aufbürden müsse als dem Befehlsempfänger.