Bolivien: Wie die Corona-Pandemie der Putschregierung zum Machterhalt dient
De-facto-Führung begründet Verschiebung von Wahlen mit Pandemie. Opposition blockiert Straßen. Corona-Hilfslieferungen dienen Propaganda
In Bolivien spitzt sich der innenpolitische Konflikt zwischen der De-facto-Regierung und den Anhängern des gestürzten Präsidenten Evo Morales wieder zu. Seit zehn Tagen halten Gegner der Führung von Interimspräsidentin Jeanine Áñez Blockaden von Überlandstraßen aufrecht, um den politischen Druck zu erhöhen und eine rasche Neuwahl zu erzwingen.
Morales war im November vergangenen Jahres aufgrund eines Konfliktes über den Ausgang der damaligen Präsidentschaftswahl ins Exil gezwungen worden. Die Vorwürfe gegen den indigenen Politiker sind bis heute ebenso umstritten wie die Selbsternennung der rechtsklerikalen Senatorin Áñez zur Präsidentin.
Áñez warnte nun, es gebe keine Alternativen zwischen einem bedingungslosen Dialog oder der totalen politischen Blockade des Landes. Während Morales und seine Bewegung zum Sozialismus (Movimiento al Socialismo, MAS) die Proteste aufrechterhält und den Ton verschärft, gibt es aus der bolivianischen Linkspartei durchaus auch Stimmen, die für eine Aufhebung der Proteste plädieren - sofern die Parlamentswahlen nicht erneut verschoben werden.
Der seit dem Putsch schwelende Konflikt zwischen der De-facto-Regierung und der MAS eskaliert wieder, nachdem die Wahlbehörde eine erneute Verschiebung der Neuwahlen angekündigt hat. Die Abstimmung wurde zuletzt auf den 18. Oktober angesetzt, nachdem sie wegen der Corona-Pandemie bereits vom 3. Mai dann auf den 6. September verschoben worden war. Einzelne Vertreter der Wahlbehörde TSE stellen nun auch den Oktober-Termin in Frage.
Am Dienstag dieser Woche wurden nach Angaben der bolivianischen Autobahnverwaltung mehr als sechzig Blockaden von Straßen registriert, die für die Versorgung der Städte wichtig sind. Die Protestteilnehmer stellen sich entschieden gegen die erneute Verschiebung der Wahlen und fordern nun auch den Rücktritt von Áñez.
Propagandaschlacht
Soziale Verbände positionieren sich auf beiden Seiten des Konfliktes: Der Nationale Verband der bolivianischen Genossenschaften forderte den Gewerkschaftsdachverband COB auf, die Blockaden binnen 48 Stunden aufzuheben. Andererseits stellte der Verband der Bergbaugenossenschaften des Departements La Paz der De-facto-Führung, der Wahlbehörde und dem Parlament ein 72-Stunden-Ultimatum für eine Lösung des Disputs. Der Verband der Nachbarschaftsräte der Stadt El Alto, die an den Regierungssitz La Paz angrenzt, will sich ab Donnerstag den Protesten anschließen.
Die De-facto-Regierung macht für die Blockaden Evo Morales verantwortlich, der aus dem argentinischen Exil den Wahlkampf seiner Partei leitet. Sie bat in einem offenen Brief unter anderem an die Vereinten Nationen und die Europäische Union um Hilfe gegen die Proteste, ohne die Art dieser erbetenen Unterstützung konkret zu definieren.
Die Lage habe ein "unhaltbares Niveau" erreicht und sich "drastisch verschlechtert", so die Politikerin Karen Longaric, die das Außenministerium kontrolliert. Nach Berichten bolivianischer Medien sind die Städte des Landes von der Versorgung wichtiger Güter abgeschnitten.
Der Konflikt ist inzwischen zu einer Propagandaschlacht ausgeartet. Die De-facto-Regierung versuche medizinische Hilfsgüter wie Sauerstoffflaschen für Covid19-Patienten vorsätzlich über blockierte Straßen nach Santa Cruz und La Paz zu bringen, obwohl andere Routen passierbar gewesen wären, schrieb Morales auf Twitter. Dies sei "eine Provokation, die auf Gewalt abzielt".
Die politische Führung um Áñez wirft der MAS-Opposition vor, Leben zu gefährden. De-facto-Innenminister Arturo Murillo sagte im Interview mit CNN, "das politisch Korrekte wäre, den Demonstranten eine Kugel zu verpassen".