Bomben aus der Wildnis
Der Unabomber und sein Kampf gegen die wissenschaftlich-technische Elite
Um den Unabomber ist es ruhig geworden. Der Prozeß gegen ihn hat jetzt in Sacramento begonnen, daher taucht sein Fall wieder ein wenig auf, erinnert man sich an den Mann in der Wildnis, der auszog, dem technisch-industriellen Gesellschaftssystem den Kampf anzusagen. Viele Beweise sprechen gegen den einstigen Angehörigen der Elite der Informationsgesellschaft, so daß der Prozeß wohl weniger um die Schuld des Angeklagten gehen wird als möglicherweise um seine persönlichen Motive, die ihn dazu gebracht haben, aus der Gesellschaft, der Konsumkultur und der Wissenschaft auszusteigen, um ein primitives Leben als Einsiedler in Montana zu führen und von dort aus die Welt zu erlösen. Noch plädiert er auf unschuldig, die Verteidigung will ihn als psychisch Kranken für unzurechnungsfähig erklären.
Siehe auch Maschinenstürmer im Netz
Ein wenig höhnisch wird berichtet, daß der Prozeß seitens der Medien, aber auch innerhalb des Gerichtssaals mit dem Einsatz eben jener Technik vonstatten gehen wird, die Ted Kaczynski gerade abgelehnt hat, weil sie die individuelle Freiheit abtöte. Beweismittel liegen auf CD-ROM vor und werden bei Bedarf auf Monitoren gezeigt. Es gibt einen Monitor für den Richter und sowohl Verteidigung und Anklage verfügen über einen Touch Screen Monitor. Vor dem Gerichtsgebäude befinden sich die üblichen Ü-Wagen der Sender mit Satellitenschüsseln. Gerichtsprozesse sind in den USA wichtige Medienspektakel, wenn sie ein nationales Interesse hervorrufen. Sie geben einen Einblick in die großen Prominenten der Nation, reduzieren die Gesellschaft auf die Handlung einzelner, schaffen ein übergreifendes Ereignis und eine Art Selbstbewußtsein der Nation. Kaczynki selbst hatte als radikaler Luddist gelebt: kein Auto, nur ein Fahrrad, kein Telefon, kein Radio, kein TV, keinen Computer und natürlich kein Internet, nur Bücher und Zeitungen. Gelebt hat er von wilden Kaninchen und aus einem Garten, den er mit seinen eigenen Exkrementen gedüngt haben soll.
Die Wissenschaft schreitet blind voran, ohne Rücksicht auf das wirkliche Wohlergehen der menschlichen Rasse oder jeden anderen Maßstab. Sie gehorcht lediglich den psychologischen Bedürfnissen der Wissenschaftler sowie der Regierungsbeamten und der Manager, die die Gelder für die Forschung zur Verfügung stellen.
Aus dem Manifest des Unabombers
18 Jahre lang hatte er unerkannt die amerikanische Gesellschaft und natürlich vor allem das FBI in Atem gehalten, das wegen ihm erstmals das Internet benutzte, um Hinweise über den einzigen Terroristen durch die Mitarbeit der Öffentlichkeit zu erhalten, der erst durch den Bombenanschlag von Oklahoma überboten wurde. Drei Menschen wurden durch Paketbomben getötet und 23 verletzt. Anders als aber als die religiösen und rechten Eiferer, die vor allem in Montana gedeihen oder sich dort zurückziehen, kommt der Unabomber aus einer intellektuellen Szene und hat, wiederum anders als hierzulande die RAF, nicht politische und wirtschaftliche Machthaber ins Visier genommen, sondern weitgehend die wissenschaftlich-technische Elite selbst, aus der er selbst stammt und die für ihn den industriellen Komplex aufrechterhält.
Die Anschläge, die nach altem anarchistischen Muster Aufmerksamkeit und dann eine Massenbewegung auslösen sollten, waren in seinen Augen nicht Aktionen eines politischen Revolutionärs, sondern zielten auf die wirtschaftliche und technische Veränderung. Das erklärt auch, warum er nach der ersten erpreßten Veröffentlichung seines Manifestes The Industrial Society and its Futureund vor allem nach seiner Ergreifung und Identifizierung soviel Aufmerksamkeit auf sich zog. Fast war es so, als würde Silicon Valley, geboren aus den sechziger Jahren, sich plötzlich gegen sich selbst wenden, von der High-Tech lediglich die Herstellung von Briefbomben behalten und ansonsten die Virtualität gegen das einfache Leben in der Natur eintauschen. Und die immer stärker grassierende Sehnsucht nach Gemeinschaften, die im Cyberspace ihre mittlerweile auch kommerziellen Blüten treibt, hat den wilden Anarchisten getrieben, auch wenn er selbst einsam lebte.
Abnormale Bedingungen unserer modernen Industriegesellschaft sind unter anderem eine extrem hohe Bevölkerungsdichte, die Isolation des Menschen von der Natur, die exzessive Beschleunigung des gesellschaftlichen Wandels und der Zusammenbruch der natürlichen kleinen Gemeinschaften wie die Großfamilie, das Dorf oder der Stamm.
Aus dem Manifest des Unabombers
Als Kaczinsky letztes Jahr aufgrund eines Hinweises seines eigenen Bruders gefaßt wurde, kam es in der scientific community natürlich auch zu Überlegungen, ob ihr Berufsstand durch den genialen, aber "verückten Wissenschaftler" in Kritik geraten könne. Mit 20 Jahren machte er seinen ersten Abschluß an der Harvard University, mit 25 Jahren hatte Kaczynski sich schon promoviert und lehrte dann einige Jahre Mathematik an der angesehenen University of California in Berkeley, bis er 1969 dieser den Rücken kehrte, in die Wälder verschwand und 1978 mit seinen ersten Anschlägen begann. Obwohl die maschinenstürmerische und anti-technische Haltung des Unabombers in den USA auf großes Interesse stieß, weil sich immer mehr Menschen unwohl fühlen, kam es bislang nicht zu einer Anklage gegen die Wissenschaftler, auch wenn diese immer mehr Frankenstein-Methoden zur Manipulation des Lebens entwickeln.
Die Kritik an der Konsumgesellschaft, am Kapitalismus und an der instrumentellen Rationalität als Grundlage der Industriegesellschaft war zur Zeit der Studentenrevolte weit verbreitet. Man wollte aus der Gesellschaft, die die Menschen durch "repressive Entsublimierung" verführte und bei der Stange hielt, aussteigen, verweigerte den Konsum, zog sich aus den Städten zurück, wollte auch mit dem Einsatz von Drogen das Bewußtsein verändern und versuchte in Kommunen ein einfaches und kollektives Leben ohne Konkurrenz zu führen. Kaczynski, offenbar seit je ein Einzelgänger, gut amerikanisch auf die individuelle Freiheit ausgerichtet und vermutlich schon damals jenseits von links und rechts, wie es heute chic ist, zog aus diesem Zeitgeist für sich wahrscheinlich die Konsequenzen. Die Sehnsucht nach dem Ausstieg aus der technisch-wissenschaftlichen Gesellschaft und nach dem Natürlichen wurde durch die einsetzende Kritik an den ökologischen Gefahren im Laufe der 70er Jahre gewissermaßen bestätigt. Wenn das "System" so weitermacht, zerstört es die Grundlagen des Lebens. Die revolutionäre Eschatologie kehrte sich in eine Apokalypse um, wobei Wissenschaft und Technik als eine der wichtigsten Agenten dieses lebensfeindlichen Systems galten. Will man Kaczinsky für "verrückt" erklären, so würde man gleichzeitig eine ganze Generation zu Paranoiden machen, die damals etwas anderes wollten und an eine tiefgreifende Veränderung glaubten. Und die, wie Cameron und Barbrook in ihrem Manifest sie bezeichnen, "kalifornische Ideologie" hat in Kaczynski ihren Renegaten gefunden, der den Weg in die Technik und in die Akzeptanz des Neoliberalismus als realitätstüchtige Form des einstigen Anarchismus und Hippietums nicht mitvollzogen hat und in dem sie möglicherweise wieder an ihre verleugnete Herkunft erinnert wird.
Natürlich sahen sich die Angehörigen der wissenschaftlich-technischen Elite durch den Unabomber auf einmal in ihren Elfenbeintürmen bedroht. Man weiß nicht, wie er seine Opfer auswählte, aber Naturwissenschaftler und Computerexperten wie Patrick Fischer, LeRoy Bearnson oder David Gelernter gehörten zu seinen Zielen, um den Betrieb zu stören. Auch der mittlerweile verstorbene Psychologe James McConnel, der in 60er Jahren durch Experimente mit Würmern Aufsehen erregte, gehörte zu den auserwählten Opfern. Dieser trainierte Würmer in einem einfachen Labyrinth und verfütterte dann ihre Überreste an "unwissende" Würmer, die sich dann angeblich etwas schneller als eine Kontrollgruppe zurechtfanden. Man könne ganz einfach auch bei Menschen derartige Verhaltensveränderungen und Lernfortschritte erzielen, war die Meinung des bekannten Behavioristen. Als Opfer ausersehen wurde auch Thomas Mosser, der in der Werbung arbeitete, weil es sein Beruf war, so der Unabomber in einem Brief, "Techniken zur Manipulation von Einstellungen der Menschen zu entwickeln."
Natürlich versucht die Verteidigung den Angeklagten vor dem relativ sicheren Tod zu bewahren, indem sie ihn als verrückt und unzurechnungsfähig behandelt sehen will. Ein Psychiater der Verteidigung hat ihm bereits "paranoide Schizophrenie" bescheinigt, weswegen er nicht rational urteilen und für seine Handlungen verantwortlich sein könne. Vorstellungen einer Manipulation seines Geistes und der Vernichtung durch die Kräfte der technologischen Gesellschaft würden ihn plagen. Er habe auch Angst, für verrückt erklärt zu werden. Bislang hat er sich verweigert, von Psychiatern der Anklage sich untersuchen zu lassen. Was für ihn selbst möglicherweise die Rettung vor dem Todesurteil sein könnte, verhindert aber sicher eine vernünftige Auseinandersetzung mit seinen Motiven, die er durchaus auf rationale Weise in seinem Manifest vorgelegt hat. Die fundamentale Kritik an der von der Technik getriebenen Konsum- und Industriegesellschaft will man denn auch in den Medien offenbar durch seine "Verrücktheit" gar nicht erst zu Kenntnis nehmen: sie ist einfach schon verrückt und muß daher nicht weiter beachtet werden.
Seine Gedanken, so etwa bei CNN, gingen öfter von logischen und überlegten Vorstellungen ins Irrationale über. Und Robert Bly machte in der Time deutlich, daß der Protest gegen die Technologie wahrscheinlich Zeugnis von einer "ernsthaften Form der geistigen Krankheit" ablege. Sein Leben zeige ein Regressionsmuster zu immer kindlicherem Verhalten, das Bly insgesamt der Gesellschaft attestiert: "Gegen andere von Verstecken aus vorzugehen, geschieht immer öfter, besonders im Internet. Hier verbreiten sich häßliche und feindselige Worte von Menschen, die niemand sehen kann. Das moralische Verhalten des Erwachsenen in der Gemeinschaft hing immer davon ab, daß andere Erwachsene ihn sehen konnten." Aber die Vorstellung, die Gesellschaft durch Morde verbessern zu können, werde in unserer Kultur systematisch kultiviert, was man an den ganzen Actionfilmen sehe: "Seine Isolation, in der er gegen die Technik kämpfte, ist mit der vergleichbar, die die in die Technik eingetauchten Menschen umgibt. Es ist möglich, daß die Frauen und Männer, die sich der Technik als der einzigen Lösung verschrieben haben, eine ebenso tiefe Phantasie wie die des Unabombers ausleben." Man darf gespannt sein, in welche Richtung die Diskussion über den "mad scientist" sich bewegen wird.