Bombenanschläge in Algerien, Selbstmordattentäter in Marokko
Im Maghreb haben sich Terrorgruppen unter dem Mantel von al-Qaida zusammengeschlossen
Die Anschläge in Algier, die bislang 33 Menschen das Leben kosteten und über 200 verletzt haben, kommen nicht überraschend, nachdem im Januar diesen Jahres die Gründung von "Al Qaida im islamischen Maghreb" von der algerischen "Salafistischen Gruppe für Verkündigung und Kampf" (GSPC) bekannt gegeben worden war. Ein neuer Dachverband für alle militanten islamistischen Gruppen in Tunesien, Libyen, Algerien und Marokko, der nicht nur für die aktuellen Anschläge in Algerien die Verantwortung übernommen hat, sondern gleich auch noch für eine ganze Reihe anderer.
Noch im Februar dieses Jahres hatte der tunesische Islamexperte Slaheddine Jourchi den Namenwechsel der GSPC als Zeichen ihres Niedergangs gedeutet. "Ich glaube nicht, dass die Gruppe eine Zukunft im arabischen Maghreb hat." Gewalt als Mittel der Politik sei nicht mehr populär, die Maghrebstaaten auf einem Weg der Reformen und viele ehemalige militante Islamisten hätten das Angebot einer Amnestie angenommen und dem Kampf abgeschworen.
Eine ähnliche Einschätzung teilten wohl auch die Vertreter der staatlichen Behörden, gerade in Algerien und Marokko. In beiden Ländern waren im Laufe der letzten Jahre Islamisten zu Hunderten verhaftet worden, nicht-staatliche Moscheen, wo radikale Imame predigten, wurden geschlossen, Aufklärungskampagnen gestartet und Bewohner der Vorstadtslums in feste, neue Häuser umgesiedelt. Die Behörden glaubten, oder taten zumindest so, als habe man nicht nur die Organisationsstruktur der Dschihadisten, sondern auch ihre Rekrutierungsbasen zerstört.
Die Ereignisse der letzten Tage in Algier und Casablanca zeigen jedoch, dass die militanten Islamisten noch lange nichts besiegt sind und jeder Zeit, auch im großen Rahmen, zuschlagen können. Dass nach der Gründung von "Al Qaeda im islamischen Maghreb" Algier der Ort des ersten großen, spektakulären Anschlags wurde, ist eher Zufall. In Marokko wurden seit den Bombenattentaten im Mai 2003 in Casablanca auf spanische und hebräische Einrichtungen alleine 50 geplante Attentate auf Ziele im In- und Ausland verhindert. Die Dschihadisten, die sich diese Woche in Casablanca in die Luft jagten, wollten nur der Verhaftung entgehen. Wer weiß, wo sie sich ursprünglich in die Luft hätte jagen wollen.
Die Bomben von Algier am Mittwoch waren einfach das erste Attentat, das von der Polizei nicht vereitelt werden konnte. Mit lokalen Gegebenheiten hat Al Qaida bekanntermaßen nichts zu tun. Es geht um einen internationalen, weltweiten Kampf gegen den imperialistischen Westen und alle Feinde des Islams. Dabei gibt es keine Unschuldigen mehr. Wer sich nicht wehrt, wer sich nicht ihrem Dschihad gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt anschließt, ist ihr Feind und hat den Tod verdient. Eine moderne, perfide und unmenschliche Rationalität.
In den Maghreb-Ländern gab es bereits seit einiger Zeit Indikatoren für eine Eskalation der Gewalt. In Algerien wurden im Laufe der letzten 12 Monate Transporte von ausländischen Firmen, darunter auch Halliburton aus den USA, beschossen und dabei insgesamt fünf Menschen getötet. Im Februar 2007 gab es Angriffe auf vier Polizeistationen, bei denen sechs Menschen ums Leben kamen. Noch einen Tag vor den Bombenattentaten am Mittwoch in Algier hatten sich Militär und Islamisten im Südwesten des Landes schwere Scharmützel mit insgesamt 13 Toten geliefert.
In Tunesien war es im Januar zu einem tödlichen Schusswechsel zwischen Polizei und Islamisten gekommen. In Marokko verwundete ein Selbstmordattentäter im März drei Menschen, als er sich einer Verhaftung durch die Polizei in einem Cybercafe entzog. Im Januar wurden in der nordmarokkanischen Stadt Tetouan 26 Verdächtige verhaftet, die als Märtyrer in den Irak reisen wollten. Im Dezember zerbrachen die spanischen Behörden in Ceuta, der spanischen Enklave auf marokkanischem Territorium, eine Zelle von Marokkanern, die Anschläge auf den Weihnachtsmarkt und spanische Militäreinrichtungen verüben wollten.
Alles deute auf eine Revitalisierung von Al Qaida im Maghreb, sagt Mohammed Daif von der Universität in Rabat. "Die GSPC hat sich Zeit gelassen, ihre Zellen wieder aufzubauen", erklärt der Politikwissenschaftler. "Als man sich stark genug fühlte, hat man den neuen Namen Al Qaida im Maghreb angenommen, unter dem sich jetzt alle salafistischen Organisationen der Region gruppieren." Dazu gehören, neben der bereits 1998 gegründeten GSPC aus Algerien, die libysche Islamische Kampftruppe (GICL), die Islamistische Kampftruppe aus Tunesien (GICT) sowie die Islamistische Gruppe Marokkanischer Kämpfer (GICM). Alles Organisationen, deren Mitglieder in Afghanistan ausgebildet wurden und gekämpft haben und an verschiedenen Anschlägen im In- und Ausland, darunter auch an den Zugattentaten in Madrid, beteiligt gewesen sein sollen.
Lose Kooperationen hat es zwischen diesen Gruppen immer wieder gegeben, aber nun scheint es, dass sie der zunehmenden Verfolgung durch Polizei und Militär mit einer gemeinsamen Strategie und Logistik begegnen wollen. In entlegenen, nur schwer zugänglichen Gegenden der Sahara soll es verschiedene Ausbildungslager geben. Besonders der Norden von Mali soll als sicherer Aufenthaltsort für die auf rund 500 Mitglieder geschätzte GSPC (die selbst von 5000 spricht) gelten. In dieser bergigen Region gibt es zahlreiche Höhlen, in denen man sich vor den US-Spionagesatelliten verstecken kann.
Nicht umsonst hat die US-Armee in Afrika eine "Antiterror-Task-Force" eingerichtet. Regelmäßig werden Manöver abgehalten. Vor zwei Jahren wurde dabei eine "Terroristengruppe" von Mauretanien aus durch Mali und Niger bis in den Tschad gejagt. Gleichzeitig arbeiten die USA mit den Regierungen von Marokko, Algerien und Tunesien in einer "Trans-Sahara-Partnerschaft". Durch die Kooperation der Militärs der afrikanischen Staaten mit US-Truppen soll eine Ausbreitung des Terrorismus verhindert werden (Islam in Afrika).
In Europa macht man sich nach den Attentaten in Algerien und Casablanca jedoch Gedanken, ob eine neue Terrorwelle über das Mittelmeer schwappen kann. "Die Schlüsselfrage ist", sagte der Terrorismus erfahrene französische Richter Jean-Louis Bruguiere, "ob der Kampf weiter internationalisiert wird und es Attacken in Frankreich oder Spanien gibt." Für den marokkanischen Universitätsprofessor Jamal Benhayoun ist das eine rhetorische Frage. Dchihadisten haben in den letzen Jahren immer wieder bewiesen, dass ihr Kampf international ist und keinerlei Grenzen kenne. "Heute Algier und Casablanca, morgen Paris, London oder Berlin" (Marokko: Brutstätte von Terroristen?).