Boom trotz Krise: Animatoren haben gut zu tun

Medienschulen im Überblick. Folge 1: Animationsinstitut Ludwigsburg

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Die traditionelle Medienbranche kriselt noch, doch bei digitalen Medienproduktionen Dotcom hin, New Economy her – sieht es nicht schlecht aus. Gut ausgebildete Absolventen einer angesehenen Medienschule haben selten größere Schwierigkeiten, nach ihrem Studium einen Job zu finden. Festanstellungen sind gegenwärtig zwar nicht die Regel, doch können Absolventen sich meist aussuchen, ob sie projektweise Aufträge annehmen, ins Ausland gehen oder eine eigene Firma gründen wollen. In einer kleinen Serie stellt Helmut Merschmann einige Schulen und ihre Ausbildungsgänge vor.

Puca

Am Institut für Animation, visuelle Effekte und digitale Postproduktion der Filmakademie Ludwigsburg bei Stuttgart geht es betriebsam zu. Anscheinend verbringen die Studenten ihre Zeit den ganzen Tag vor dem Computer und gestalten witzige Filme, die auf Festivals wie dem Young Director Award Preise einheimsen. Diesen Eindruck gewinnt man zumindest angesichts von x-Box Racing Beats, einem Animationsfilm von Alexander Kiesl und Steffen Hacker, der ein Chicken Race zwischen zwei Jumbo-Jets auf einem Großflughafen zeigt und ganz nebenbei noch als Werbeträger für die Xbox fungiert.

Annie & Boo

Ein anderer Film, "Puca" von Tanja Boening zeigt den Jungschauspieler Stipe Erceg, bekannt aus "Die fetten Jahre sind vorbei" und "Yugotrip", in der Rolle eines effeminierten Grafen der Finsternis, der sein böses Spiel mit einem pubertierenden Mädchen treibt. Auch der Social-Spot No Limits von Heide Wittlinger, der sich gegen Kinderarbeit wendet, sowie Annie & Boo, ein vielfach ausgezeichneter, rein Computer animierter Film von Johannes Weiland (Studiosoi), stellen die hohe Qualität der Studentenarbeiten aus Ludwigsburg unter Beweis.

No Limits

Im Jahr 1991, parallel zur Gründung der Filmakademie Baden-Württemberg, ist die Animationsabteilung unter Federführung von Thomas Haegele entstanden. Seit 2001 hat sich der Studiengang zu einem eigenständigen Institut umgebildet, das in enger Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen der Filmhochschule steht. "Filmische Grundlagen", sagt Thomas Haegele, "sind auch für Animationsstudenten wichtig". Folglich nehmen seine Studenten auch an den Seminaren für Drehbuch, Filmgestaltung, Kamera und Regie teil. Bei ihren späteren Filmprojekten stellen sie sich in der Regel allerdings eher ein Team aus Kommilitonen zusammen.

Die vier Studienschwerpunkte

Das Ludwigsburger Animationsstudium ist in vier Schwerpunktbereiche unterteilt, für die sich Studenten nach dem zweiten Jahr entscheiden. Da wäre einmal die Abteilung Character Animation, wo künstlerisch-erzählende Animationsfilme in allen Produktionstechniken entstehen, also nicht nur digital hergestellte Animationsfilme, sondern auch klassische Stopptrick- und Puppenspielfilme. Bei der Character Animation geht es darum, eine Figur so lebendig wie möglich zu gestalten und eine gute Geschichte zu erzählen. Dafür muss der Animator quasi selbst schauspielern können – allerdings nicht mit dem eigenen Körper, sondern indirekt über die geschaffene virtuelle Figur.

Ein weiterer Bereich umfasst die Visual Effects, ohne die eine Postproduktion eines Spiel- oder Dokumentarfilms heutzutage nicht mehr auskommt. Visual Effects beinhalten zwar ebenfalls Animationselemente, doch müssen diese fotorealistisch gestaltet werden, denn sie sollen ja im Realfilm nicht weiter auffallen. Das verlangt eine Menge Akribie und Rechenpower. Benötigt ein Regisseur beispielsweise eine Massenszene für ein Fußballspiel und hat kein Geld für eine Hundertschaft Komparsen, wird das Stadium eben digital gefüllt. Die im Jahr 2000 entstandene BBC-Serie Walking with Dinosaurs ist ein berühmtes Beispiel für den opulenten Einsatz von visuellen Effekten (stammt aber nicht aus Ludwigsburg). Was früher einmal Spezialeffekte geheißen hat, sind heute digital erzeugte Visual Effects.

In einem dritten Bereich lernen Studierende in Ludwigsburg Content Creation. Hinter dem etwas ominösen Begriff verbirgt sich die inhaltliche Konzeption von charakterbasierten Animationsformaten, die am Animationsinstitut selbst nicht herstellbar sind, weil das zu aufwändig wäre. Bei Content Creation geht es nicht um die Umsetzung, sondern um die Idee und Konzipierung von Fernsehserien und Spielfilmen mit virtuellen Figuren, von Documentarys oder (als neuer inhaltlicher Schwerpunkt) von Computerspielen. Besonderes Augenmerk der Ausbildung liegt auf der Stoffentwicklung, dem Character Design und der professionellen Präsentation der Konzepte.

Der vierte Schwerpunkt nennt sich Technical Director und ist als zweijähriges Aufbaustudium konzipiert, für das sich Leute mit Informatik-Hintergrund und künstlerischen Ambitionen bewerben können. Überall, wo es um die Implementierung eines Mediums in ein anderes geht, beispielsweise bei Visual Effects für einen Spielfilm, bedarf es spezieller Konvertierungs-Software, um den Workflow zu gewährleisten. Hierfür ist ein Technical Director zuständig, zu dessen Aufgabenbereichen ebenso das Datenmanagement gehört.

Unbehagen im Uncanny Valley

Das Ludwigsburger Studium ist auf vier Jahre angelegt. In den ersten beiden Jahren werden die Grundlagen der verschiedenen Animationstechniken vermittelt und Einführungen in 3D-Software (3D Max, Softimage, Lightwave usw.), Chromakey, Character und Facial Animation sowie Stop Motion gegeben und an eigenen Arbeitsprojekten gleich erprobt. Im dritten Jahr sind die Studenten in eigene Animationsprojekte involviert beziehungsweise werden von ihren Kommilitonen für die Gestaltung von Visual Effects eingespannt. Gleichzeitig findet weiterer Unterricht etwa in Storyboarding und Avid-Schnitt statt. Internationale Fachdozenten aus der Praxis halten Seminare über Seriendramaturgie und Animation im Fernsehen ab oder lehren, wie Ed Hooks, "Acting for Animators". Ein neu eingerichtetes Artist-in-residence-Programm soll international renommierte Animatoren für ein Jahr an die Ludwigsburger Ausbildungsstätte binden. Das vierte Jahr besteht für die Studenten hauptsächlich aus der Arbeit am eigenen Abschlussfilm für das Diplom.

"Herr Blumfisch explodiert" von Mathias Schreck/Marc Hotz

Eine eigene Research-Abteilung, geleitet von Thomas Haegele, unterhält das Forschungsprojekt "Künstliche Darsteller", wo "wissenschaftliche Erkenntnisse über das Zusammenwirken einzelner Gesichtspartien im Zusammenspiel mit technischen Innovationen zur Entwicklung nützlicher Hilfsanwendungen führen" sollen. Das Problem der natürlichen Bewegung bereitet Animatoren seit jeher Kopfzerbrechen. Masahiro Mori hat schon in den späten 1970-er-Jahren auf ein Phänomen aufmerksam gemacht, das er uncanny valley nannte: Je anthropomorpher virtuelle Figuren gestaltet werden, das heißt je menschenähnlicher sie wirken, desto größer ist das Unbehagen beim Betrachter.

Je realistischer das Gesicht einer virtuellen Figur ist, desto schwieriger ist es, mit Mimik zu arbeiten. Es gibt diesen tiefen Graben. Kurz bevor ein Ausdruck realistisch wirkt, sieht er ein bisschen falsch aus. Wir sind sehr darauf trainiert in Gesichtern zu lesen, und wenn sie ein bisschen falsch aussehen, wirken sie zombiehaft. Bei Mickey Mouse akzeptiere ich sehr viel, nur wirklicher Realismus ist extrem schwierig. Die letzten zwei Prozent bedeuten viel mehr Arbeit als die 98 Prozent davor.

Thomas Haegele

Internationale Berufschancen und Ausbildungsmöglichkeiten

Die Berufschancen für Animatoren sehen gut aus. Festanstellungen gibt es inzwischen zwar selten, doch "Animatoren sind Nomaden", sagt Haegele und verweist darauf, dass seine Studenten gern gesehen Freelancer auch in Großbritannien, den USA und Asien sind. Claudius Urban, Student im dritten Jahr, hat fest vor, nach seinem Abschluss in Ludwigsburg ins Ausland zu gehen: "Animation ist eine eigene Welt. Ich will wenigstens ein Jahr Auslandserfahrung sammeln und bleibe, wenn es mir gefällt, auch gerne länger dort."

Auch einige Firmengründungen sind bereits aus dem Ludwigsburger Institut hervorgegangen wie beispielsweise Unexpected, Elektrofilm Stuttgart, Black Mountain, Mark 13 oder Studiosoi, die sich alle auf dem Markt behaupten können. Letztere haben sich erst vor zwei Jahren mit Hilfe von Existenzgründungs-Coaching am Animationsinstitut gegründet. Das Stuttgarter fmx-Festival, die wichtigste europäische Veranstaltung für "Animation, Effekte, Echtzeit und Content", wird ebenfalls von Angehörigen des Ludwigsburger Animationsinstituts organisiert.

"Oby" von Max Stolzenberg/Anja Perl

Animation lässt sich freilich nicht bloß in Ludwigsburg studieren. Auch an anderen Film-, Kunst- und Fachhochschulen herrschen ähnlich gute Bedingungen vor. An der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg existiert seit 1991 der neunsemestrige Studiengang Animation und bildet zum Animator, Zwischenphasenzeichner, Layouter, Hintergrundmaler, Storyboardzeichner und Figurendesigner mit der Ausrichtung auf Animationsregie und -produktion aus. An der Kunsthochschule Kassel wartet der Fachbereich Visuelle Kommunikation mit einer eigenen Trickfilm-Klasse auf, aus der viele namhafte Animationskünstler hervorgegangen sind.

Die German Filmschool bei Berlin bildet in einem Diplom-Studiengang zum "Digital Artist" aus mit den Schwerpunkten Animation Design, Digital Compositing und Virtual World & Game Design. Die Animation School Hamburg bietet eine vierzehnmonatige Qualifizierung für berufserfahrene oder begabte Grafiker. Auf dem Mediencampus Bayern wird zum Screen- und Computer Animation Designer ausgebildet. Last not least: die vielen Ausbildungsmöglichkeiten im Ausland, wie sie im Pixar School Directory aufgeführt werden.