Brabant-Anschläge: Hat sich "der Riese" seinem Bruder offenbart?
Flämischer TV-Sender veröffentlicht neue Informationen zur Terrorwelle im Belgien der 80er Jahre
28 Menschen wurden ermordet, 20 verletzt. Das war in der Zeit zwischen 1982 und 1985, als eine "Killerbande" mordend durch die belgische Provinz Brabant zog. Bisher konnten die Verbrechen nicht aufgeklärt werden. Nun gibt es Bewegung in dem Fall.
Laut dem flämischen Privatsender VTM, der ausgiebig über die "Bande von Nijvel" berichtet, hat sich einer der angeblichen Mörder auf dem Todesbett seinem Bruder offenbart und seine Beteiligung an den Taten gestanden. Der Fall ist auch deshalb heute noch von besonderem Interesse, weil eine Verwicklung mit den Stay-behind-Strukturen der Nato im Raum steht.
Rückblende: "In Belgien gab es eine Reihe ungeklärter Ereignisse - eine bewaffnete Bande beging bis Mitte der 80er Jahre zahlreiche Morde, und wir wissen bis heute nichts darüber." Das sagte der damalige belgische Verteidigungsminister Guy Coeme im Hinblick auf einen Zusammenhang zwischen den Anschlägen und den belgischen Stay-behind-Strukturen kurz nachdem deren Existenz bekannt wurde.
Mit Stay-behind war ein geheimes Untergrundnetzwerk der Nato gemeint, das in vielen europäischen Ländern von dem "Verteidigungsbündnis" installiert wurde, um im Falle einer Invasion durch Russland auf eine schlagkräftige Untergrundarmee zugreifen zu können. Aufgabe von Stay behind bzw. Gladio, wie die Geheimarmee der Nato noch bezeichnet wurde, war es, hinter den feindlichen Linien einen Partisanenkrieg gegen die Besatzer auszuführen.
Nachdem 1990 die Öffentlichkeit von Gladio erfahren hat, trat Coeme abends im belgischen Fernsehen auf und sagte, er habe trotz seiner Position als Verteidigungsminister nie etwas über die Existenz von Gladio gewusst. Er sagte, er wolle wissen, "ob es eine direkte Verbindung zwischen den Aktivitäten dieses geheimen Netzwerkes und der Welle von Verbrechen und Terror gibt, unter der unser Land während der letzten Jahre sehr gelitten hat".
Auch nach aufwendigen Untersuchungen gelang es den Behörden nicht, für Aufklärung zu sorgen. Die Überfälle, unter anderem auf mehrere Supermärkte und Restaurants, liefen rätselhaft ab. Immer gingen die Täter äußerst brutal vor, töteten auch Frauen und Kinder, dabei fiel die Beute gering aus und wurde teilweise sogar später ungeöffnet in einem Sack in einem Kanal wiedergefunden.
Am vergangenen Samstag ließ der flämische Privatsender VTM nun einen Mann zu Wort kommen, der angeblich der Bruder eines der drei Täter ist, der die Anschläge ausgeführt hat. Der Mann sagte weinend, dass sein Bruder kurz vor seinem Tod seine Beteiligung gestanden habe. Ein privates Bild von seinem Bruder, das der Mann zur Verfügung gestellt hat, soll eine enorme Ähnlichkeit mit einem Phantombild haben, über das die Polizei verfügt.
Bei dem Bruder handelt es sich angeblich um jenen der drei Täter, der in den belgischen Medien aufgrund seiner Körpergröße als "Riese" bezeichnet wurde. Dieser "Riese", sei damals Mitglied einer heute nicht mehr existierenden Gendarmerie mit Namen "Rijkswacht" gewesen. In sie eingegliedert war ein Spezialkommando, das nach dem Terroranschlag auf die Olympischen Spiele von 1972 gegründet wurde.
VTM mutmaßte in dem Beitrag, dass die Kenntnisse, die "der Riese" bei seiner Spezialausbildung erhalten habe, bei den Anschlägen dienlich gewesen sein könnte, da die Täter militärisch professionell vorgegangen sind.
Die Ermittlungen waren massiv blockiert worden
Was diese Enthüllungen nun für die weiteren Ermittlungen bedeuten werden, ist derzeit noch unklar. Allerdings sollte beachtet werden: Die damaligen Ermittlungen, die sich über viele Jahre hinzogen, wurden massiv blockiert. In der Forschungsarbeit des Historikers Daniele Ganser zu den Geheimarmeen der Nato heißt es in dem Kapitel zu Belgien, dass die Chefs der beiden belgischen Geheimdienste, SDRA8 und STC/Mob, sich vehement weigerten, die Identitäten der belgischen Stay-behind-Leute dem Untersuchungsausschuss zu offenbaren. Selbst Vorschläge, die Namen nur an drei Richter weiterzugeben, die dann diese im Geheimen mit den Namen der für die Anschläge verdächtigen Personen abgleichen hätten können, wurde nicht nachgekommen.
Nicht einmal die Bereitschaft bestand, auch nur die Geburtsdaten der Stay-behind-Agenten den Richtern zu übergeben. Wie Ganser darlegt, haben die Senatoren im Untersuchungsausschuss über Monate den Druck auf die Geheimdienstchefs hoch gehalten. Der Kampf um Aufklärung gipfelte in der Veröffentlichung einer codierten Meldung, die vermutlich Gladio in der führenden belgischen Tageszeitung "Le Soir" am 28. März 1991 veröffentlichte. Laut Ganser waren folgende Zeilen zu lesen:
Gebt uns die Namen! Niemals!, antworten die Gladiatoren. Die Stunde der Wahrheit ist gekommen. Hier ruft Brüssel. Liebe Freunde der Operation Stay-behind, die Abteilung SDRA8 versichert euch der sehr hohen Wertschätzung und dankt euch für die Ergebenheit eurem Land gegenüber. Sie garantiert, dass der Druck und die Drohungen leer sind und die Unternehmen geehrt werden. Adolphe geht es gut.
Ganser bemerkte:
Der Gladio-Untersuchungsausschuss war gedemütigt. Die Senatoren konnten nur noch ermitteln, dass der Artikel in Le Soir im Auftrag von Legrand [Anmerkung Telepolis: einer der Geheimdienstchefs] gedruckt wurde und dass 'dies als eine Form des kollektiven Widerstands gegen die Absicht des Ausschusses betrachtet werden kann, an die Namen zu kommen.' Der Satz 'Adolph geht es gut' diente als Hinweis, dass die Stellungnahme tatsächlich von höchsten Stellen der Stay-behind-Organisation kam.
Daniele Ganser
Trotz der Blockadehaltung sickerten nach und nach Informationen durch, die eine Verwicklung des belgischen Sicherheitsapparats in die Anschläge nahelegten.
In einer BBC-Dokumenation zu Gladio kommt der ehemalige Gendarm Martial Lekeu zu Wort, der selbst tief in die Netzwerke des Sicherheitsapparates verstrickt war und auf eine Verbindung dieser Netzwerke zu den Anschlägen gestoßen war.
Ich war überrascht, dass keine Verhaftungen vorgenommen wurden, und ich weiß, dass ich selbst berichtete, was da vor sich ging, dass man dort Morde wie diese respektiere, willkürliches Morden oder in einen Supermarkt zu gehen und dort Leute zu töten, sogar Kinder. Ich glaube, sie töteten etwa 30 Menschen. Und ich sagte einem Mann, den ich traf: 'Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Mitglieder der Gendamerie darin verwickelt sind?' Seine Antwort war: 'Halten Sie den Mund. Sie wissen es, wir wissen es. Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten. Machen Sie, dass Sie rauskommen.'...
Martial Lekeu
Leseempfehlung: Ganser, Daniele: Nato Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung. Orell füssli 2005. Kapitel: Der geheime Krieg in Belgien. Seite 202-235.
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