Brasilien: Wie steht es um den demokratischen Rechtsstaat?
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Der neue Präsident Bolsonaro hat bereits folgenschwere Dekrete erlassen: beim Mindestlohn, bei den Lehrplänen, gegen Lehrer, beim Waffengesetz und gegen NGOs
Gestern noch beauftragt mit fake news-Massenversand, heute Regierungsbeamtin: Taíse de Almeida Feijó hat einen gut dotierten Posten der zentralen Abteilung "secrataria geral da presidencia", einer Art Kanzleramt bei Brasiliens rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro bekommen. Damit gehört sie zu einer Reihe ehemaliger Mitarbeiter von Kommunikationsfirmen, die für den ehemaligen Hauptmann der Streitkräfte im vergangenen Jahr illegale Wahlkampfunterstützung geleistet hatten.
Die liberale Tageszeitung Folha de São Paulo und das Internetportal UOL hatten aufgedeckt, dass Feijós bisheriger Arbeitgeber AM 4 Inteligência Digital einer der Firmen war, die aus Privatspenden finanzierte Massen-fake news verschickt hatten.
Nun könnte sie dabei helfen, die Kommunikationsstrategie der Regierung zu professionalisieren. Das scheint nötig, denn in den ersten Wochen nach dem Amtsantritt am 1. Januar widersprachen Regierungsmitglieder immer wieder den Aussagen des neuen Staatschefs in sozialen Netzwerken. Gerade seine rechtsextremen Anhänger muss der Präsident weiter bedienen.
Die fake news gehen also weiter, jetzt mit Regierungssupport. Wie nach dem fatalen Dammbruch vom 25. Januar. An der Mine Córrego do Feijão nahe der Ortschaft Brumadinho im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais rollte eine Schlammlawine über Teile der Anlage des Minenkonzerns Vale und über benachbarte Siedlungen hinweg und schlug eine Schneise der Zerstörung, mindestens 115 Menschen kamen dabei ums Leben und die Umweltschäden sind noch unabsehbar.
Für Bolsonaro ist das keine gute PR, denn er gilt als Freund des Vale-Konzerns und hatte im Wahlkampf angekündigt, Minenkonzerne sollten sich ihre Bergbaulizenzen künftig selbst ausstellen können. Prompt wurden über Facebook fake news versendet, nach denen die Polizei angeblich zwei Tatverdächtige aus Venezuela und Kuba festgenommen habe, die ein Attentat auf den Damm verübt hätten. Eine Lüge.
Tatsächlich wurden zwei Mitarbeiter der deutschen Firma TÜV Süd in Brasilien festgenommen, da sie dem Damm noch im September 2018 die Unbedenklichkeit bescheinigt hatten. Das Kommunikationsteam könnte neben dem professionellen Bedienen der sozialen Netzwerke aber auch noch ganz andere Aufgaben bekommen. Das Microtargeting von Bolsanaro-Anhängern ist das eine, aber ins Visier genommen werden auch kritische Meinungsäußerungen.
Reaktionäre Dekrete
Denn auch wenn Präsident und Kabinettsmitglieder Widersprüchliches vermelden, so hat Bolsonaro bereits folgenschwere Dekrete erlassen.
Allein in den ersten 24 Stunden seiner Amtszeit erließ Jair Bolsonaro 17 folgenschwere Maßnahmen. Zum Beispiel die Kürzung des Mindestlohns und die ersatzlose Abschaffung von Ministerien, darunter das Ministerium für Arbeit. Der Nationale Rat für Ernährung und Ernährungssicherheit, der die Regierungspolitik gegen den Hunger koordinierte, verlor wichtige Rechte und Richtlinienkompetenz. Gewerkschaften sollen bedeutungslos werden.
An den Schulen bedeutet die Veränderung, dass nicht nur bestimmte Themen ab sofort nicht mehr vorkommen. Auch werden in Schulbüchern Quellenangaben entfernt. Lehrern drohen Disziplinarstrafen, wenn sie dem Konzept von der "Schule ohne Partei" nicht folgen und den Präsidenten im Unterricht kritisieren.
Bolsonaro hat Schüler aufgefordert, kritische Lehrer mit dem Smartphone zu filmen und zu denunzieren. Veränderungen auch an anderer Stelle: Das Waffengesetz wurde gelockert und Nichtregierungsorganisationen sollen genau durchleuchtet werden vom Schlüsselministerium "Secretaria do Governo", das dem Ex-Truppenchef Carlos Alberto dos Santos Cruz untersteht.
Den im Umweltbereich tätigen NROs hat der zuständige Umweltminister bereits eine dreimonatige Projektsperre verordnet. Im Regierungsapparat hat das Militär strategische Posten übernommen und stellt ein Drittel aller Minister, insgesamt sitzen 42 hohe Militärs in zentralen Positionen.
Und wie steht es um den demokratischen Rechtsstaat? "Das Wahlgericht hat Bolsonaros umstrittene Kampagne und den Massenversand von fake news über WhatsApp akzeptiert, ohne den Anzeigen nachzugehen", sagte Sergio Amadeu, Soziologieprofessor in São Paulo und Digitalisierungsspezialist.
Die Folha de São Paulo hatte in diesem Kontext Anzeige gegen vier Kommunikationsfirmen erstattet. "WhatsApp wäscht seine Hände in Unschuld, das Unternehmen lehnt jede Verantwortung ab", kritisierte Amadeu. Er hatte die Fraktion der Arbeiterpartei PT bei einer Anfrage an das Unternehmen unterstützt, bei der es um die Herausgabe von Metadaten gebeten wurde, daraus habe man Schlüsse auf den unrechtmäßigen Einsatz ziehen wollen.
Die Ankündigung von WhatsApp die Zahl der möglichen Weiterleitung von 20 auf 5 zu reduzieren, werde an dem Problem nichts ändern, Massenversender müssen dann vier Mal so viele Gruppen bedienen, das mag etwas länger dauern, ist aber kein probates Mittel gegen fake news-Spam.