Brasilien: Wie steht es um den demokratischen Rechtsstaat?

Seite 2: Es formiert sich Widerstand

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Die Köpfe der rechtsextremen Altright-Bewegung feiern den Sieg von Bolsonaro als einen Sieg der internationalen Faschisten-Kooperation. Gleich nach der Stichwahl im vergangenen Oktober verkündete Steve Bannon stolz, er könne sich jetzt auf die Wahlen in Europa konzentrieren.

In der zweiten Januarhälfte traf er sich aber noch einmal mit Brasiliens einflussreichstem faschistoiden Blogger Olavo de Carvalho für weitere Absprachen. Für sie ist die geopolitische Rolle Brasiliens bei ihrem Kampf gegen "rote" Regierungen von zentraler Bedeutung, das betrifft insbesondere die Nachbarländer Venezuela und Bolivien. Bolsonaro hatte angekündigt, sein Land für eine US-Militärbasis zu öffnen. Ausgerechnet aus dem brasilianischen Militär kam aber Kritik an diesem Plan.

Ein lautstarker Kritiker von Bolsonaro im Parlament gab unterdessen dem Druck von rechts nach: Der schwule Bundesabgeordnete Jean Wyllys der kleinen Linkspartei "Partei Sozialismus und Freiheit" (PSOL) war im Oktober zum dritten Mal in das Parlament gewählt worden, hatte sein Mandat dann aber überraschend nicht angetreten. Der prominente Vertreter der LGTBI-Bewegung erklärte über soziale Netzwerke, dass er nach zahlreichen Morddrohungen um sein Leben fürchte und Brasilien deshalb verlasse.

Er bezeichnete es als unerträglich, dass wenige Tage zuvor bekannt geworden war, dass die Ehefrau und die Mutter des flüchtigen mutmaßlichen Mörders seiner Parteifreundin und Stadtverordneten von Rio de Janeiro, Marielle Franco, im Büro des Abgeordnetenbüros von Flavio Bolsonaro, einem der politisch aktiven Söhne des Präsidenten, angestellt waren. Diese Verbindung zwischen Präsidentenfamilie und dem Hauptverdächtigen des Mordes hatte Wyllys als unerträglich bezeichnet. Der Präsident kommentierte den Rückzug von Wyllys per sozialem Netzwerk aus Davos mit "Ein großartiger Tag!"

Bolsonaro muss trotzdem mit Widerstand rechnen

Wyllys entgegnete darauf: "In Brasilien hat sich ein menschenverachtendes Lügennetzwerk mit fake news gegen den demokratischen Rechtsstaat durchgesetzt." Eine Richterin am Landgericht von Rio de Janeiro hatte öffentlich über die sozialen Medien erklärt, "wer dem prophylaktischen Erschießen nicht entrinnen würde, denke ich, das wäre Jean Wyllys". Die gleiche Richterin trat bereits in Erscheinung, als sie unter ein Foto des linken Guilherme Boulos von der Obdachlosenbewegung MTST schrieb, "nach dem Dekret von Bolsonaro" werde dieser "mit Kugeln empfangen werden". Diese Richterin ist noch immer im Amt, obwohl Anzeigen gegen sie vorliegen.

Doch Bolsonaro muss trotzdem mit Widerstand rechnen. Als Nachrücker kommt der schwarze Homosexuelle David Miranda, der für die PSOL im Stadtrat von Rio de Janeiro sitzt. Verheiratet ist er mit dem US-Journalisten Glenn Greenwald, der die von Whistleblower von Edward Snowden enthüllten Spionagepraktiken der Geheimdienste veröffentlichte (vgl. "Sie haben das Drehbuch für den Kalten Krieg wieder heraus gekramt").

Unter den neuen Abgeordneten auf Bundes- und Bundesstaaten-Ebene finden sich so viele aufmüpfige Homosexuelle und schwarze Frauen wie nie zuvor in Brasilien. Am Freitag schlossen sich die 98 Parlamentarierinnen und Parlamentarier der Arbeiterpartei (PT), von PSOL, von der Sozialistischen Partei Brasiliens (PSB) und der ökologischen "Rede" zum Block "Volkseinheit" zusammen.

Bisher nicht beteiligen sich daran die Abgeordneten der sozialdemokratischen demokratischen Arbeiterpartei (PDT) und die kommunistische PCdoB. Die Mehrheit im Parlament stellen rechte Parteien, aber diese sind untereinander zerstritten und ein progressiver Block kann durchaus Erfolge erzielen, wenn er geschickt agiert.

Überwachungstechnik dürfte in Brasilien jetzt auch eine Konjunktur erfahren. Im Januar reiste eine Abgeordnetengruppe von Bolsonaros rechtsextremer "Sozial-Liberaler Partei" PSL nach China, um sich über den Einsatz von Technik zur Gesichtserkennung im dortigen "sozialen Punktesystem" zu informieren.

Außerdem gilt seit kurzem ein Dekret, welches die Befugnis des Geheimdienstes ausweitet, IT- und Kommunikations-Technik sowie spezialisierte Dienstleistungen zur Bespitzelung anzuschaffen, ohne vorher durch eine öffentliche Ausschreibung darauf aufmerksam zu machen. Eine Einladung zum Shoppen für Schlapphüte.