Brasiliens Rechte urteilt sich an die Macht zurück
Seite 2: Kritik an Verfahren in Brasilien und im Ausland
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Auch in Brasilien war die Kritik an dem Prozess gegen Lula zuletzt lauter zu vernehmen. Ende Januar kamen in Porto Alegre zahlreiche Juristen zusammen, um das Verfahren zu diskutieren. Einige von ihnen hatten ihre Kritik in einem Sachbuch mit dem Titel "Vermerke eines angekündigten Urteils: der Prozess gegen Lula" zusammengefasst.
Der Jurist Jacson Zilio, der - wie auch der umstrittene Lula-Richter Sergio Moro - Strafrecht an der Bundesuniversität des Teilstaates Paraná (UFPR) lehrt, konstatierte "schwere juristische Probleme" im Ermittlungsverfahren und dem folgenden Prozess. "Eines der größten Probleme sind die juristischen Defizite in diesem Prozess und der Missbrauch des Strafrechtes zu politischen Zwecken", sagte Zilio. Er sieht den demokratischen Rechtsstaat in Gefahr, "weil Strafprozesse sowie Verfahren im rechtlichen Ausnahmezustand durchgeführt werden". Der Jurist Juarez Cirino, ebenfalls von der UFPR, kommentierte: "Die Opposition scheiterte bei den letzten Wahlen und wäre auch bei der kommenden Abstimmung gescheitert, deswegen haben sie den Wahlkampf sozusagen in den Gerichtssaal verlegt."
Auch in Deutschland gab es durchaus Kritik an dem Lula-Verfahren. Die ehemalige SPD-Justizministerin (1998-2002) Herta Däubler-Gmelin bezeichnete den Prozess als Teil eines "sozial- und wirtschaftspolitischen Rollbacks". Auch die Amtsenthebung von der Lula-Nachfolgerin Dilma Rousseff am 31. August 2016 sei dem Muster der neuen Form des Staatsstreichs gefolgt, so Däubler-Gmelin.
"Rousseffs Beschwerde gegen das Impeachment ist im Übrigen trotz seiner offensichtlich ungenügenden rechtlichen Fundierung vom zuständigen Obersten Gerichtshof Brasiliens schlichtweg liegen gelassen, nicht behandelt und schon gar nicht aufgehoben worden", merkte die ehemalige Bundestagsabgeordnete an. Die Vermutung sei nicht unberechtigt, dass das oberste Gericht des südamerikanischen Landes die Beschwerde erst nach dem Ende der Amtszeit "des unbestreitbar korrupten derzeitigen Präsidenten Michel Temer aufgreifen will". Dann würde es wohl in der Substanz für erledigt erklärt werden.
Politjustiz führt zu Radikalisierung
In Brasilien und auf internationaler Ebene wurde das Urteil vom Mittwoch nicht nur wegen der Verzerrung der politischen Gegebenheiten mit Protest und Sorge aufgenommen. Erwartet wird auch, dass der von den Anhängern Lula da Silva beklagte "juristische Feldzug" in zunehmende politische Gewalt gegen die politische Linke mündet.
Unter dem Eindruck des offensichtlich politisch motivierten Verfahrens hatten Anhänger Balsonaros in den vergangenen Tagen bereits einen Buskonvoi Lula da Silvas im Süden Brasiliens beschossen. Nach Berichten der PT und lokaler Medien schlugen drei Projektile in zwei der Busse ein. Mit dem Konvoi war der PT-Kandidat auf Wahlkampftour. Verletzt wurde zwar niemand (http://www.eluniversal.com.mx/mundo/disparan-contra-autobus-de-la-caravana-de-lula-da-silva), anders als bei ähnlichen Angriffen in den Tagen zuvor. Vertreter der Arbeiterpartei sprachen von einem direkten Anschlag auf den Ex-Präsidenten.
Lula und die PT haben sich angesichts des parlamentarisch und juristisch forcierten Verlustes der politischen Macht ebenfalls politisch radikalisiert, ohne jedoch wie die rechten Gegner auf physische Gewalt zu setzen. In einem Interview mit dem ehemaligen ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa beklagte Lula da Silva, der zu Regierungszeiten stets den Schulterschluss zur Oligarchie gesucht hatte, nun "Verbindungen zwischen den Interessen der brasilianischen Elite und ausländischen Eliten, vor allem aus den Vereinigten Staaten". Das Innenministerium in Brasília empfange inzwischen "direkte Anweisungen aus den USA", legte er nach: "Brasilien war ein Land, das alle Möglichkeiten hatte, die Demokratie zu konsolidieren, aber ich glaube, dass die US-Amerikaner nicht daran gewöhnt waren, dass sich Lateinamerika in gewissem Maße unabhängig macht."