Breitscheidplatz: Wie lief der Anschlag genau ab?
Seite 2: Das Interview mit Andreas Schwartz
- Breitscheidplatz: Wie lief der Anschlag genau ab?
- Das Interview mit Andreas Schwartz
- Puzzlestück eines anderen Tatablaufes als dem offiziell dargestellten?
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Wie haben Sie den Anschlag erlebt?
Andreas Schwartz: Ich war etwa ab 19:30 Uhr auf dem Breitscheidplatz, habe dann an einer Hütte gestanden, hatte mir etwas bestellt und habe mit den Leuten dort ganz normal freundlich gesprochen. Es war dort an der Hütte nicht allzu viel los. Mit einem Mal gab es, wie soll ich das beschreiben, es war wie so ein Donnergrollen. Es ist ein ganz komisches Geräusch gewesen. Manchmal kennt man das ja von Bahnhöfen, wenn die Züge durchfahren, Güterzüge, das holtert und poltert.
In dem Moment, als ich mich dann wegdrehte in die Richtung, wo das Geräusch herkam, sah ich mit einem Mal zwei Lichter auf mich zukommen. Ein LKW, der auf den Platz raste. Ich sah, wie Menschen überrollt worden sind, ich sah Menschen sterben, ja, es war zu viel, zu heftig. Aber ich sah auch, wie zwei Mann im LKW waren. Einer griff dem anderen ins Lenkrad.
Das habe ich dann dem BKA auch ein halbes Jahr später mitgeteilt in einer Zeugenvernehmung, einer offiziellen Zeugenvernehmung. Das LKA hat es nicht geschafft, mich zu vernehmen. Dann kam das BKA auf mich zu. Am 1. Juni 2017 war das BKA bei mir zuhause, wollte eigentlich nur ein normales Gespräch führen und daraus wurde dann eine intensive Zeugenvernehmung, die weit über zwei Stunden ging.
Sie haben den LKW auf sich zurasen sehen: Wie haben Sie reagiert?
Andreas Schwartz: Ich stand im ersten Moment wie angewurzelt, konnte nicht glauben, was man sieht. Im wirklich letzten Moment bin ich weggesprungen, sonst hätte mich der LKW erfasst, und bin in eine Hütte rein gesprungen und dabei habe ich mir den Rücken schwer verletzt. Ich bin dann aus der Hütte wieder raus und bin zu zwei Männern hin gekrabbelt, die aber schon tot waren. Und dann bin ich zu der Frau hin gekrabbelt, ich hatte sie dann bei mir auf dem Schoß. Die Augen riss sie weit auf und dann kippte der Kopf beiseite und die Frau war tot. Das war die Anna. [Bagratuni]
Wie ging es dann mit Ihnen weiter?
Andreas Schwartz: Ich weiß nur noch, dass mich einer am Nacken gepackt hat, an der Jacke hochgezogen hat, weg von der Frau und gesagt worden ist: 'Wir übernehmen.' Ich habe dann bloß noch gesagt: 'Ihr braucht nicht mehr übernehmen, die Frau ist tot.' Sie wurde dann auch zugedeckt, das habe ich auch noch gesehen. Aber was dann passiert ist - keine Kenntnis mehr.
Im Nachhinein habe ich dann erfahren, weil ich jemanden von der Feuerwehr kenne, der mir erklärt hat, wie das ablief: Die Menschen wurden dann in Kategorien eingestuft: Es gab die Toten, es gab die Sterbenden, es gab die Schwerverletzten und es gab die Traumatisierten. Die Gestorbenen hat man erst einmal liegen lassen, diejenigen, die im Sterben lagen, auch. Geholfen wurde den Leuten, die schwer verletzt dalagen, wo man noch Hoffnung hatte.
Aber wie bin ich nach Hause gekommen? Ich weiß es einfach nicht. Mein Psychologe sagt, das ist eine Teilamnesie, die in mir drin ist, da fehlt etwas. Ich sag mal so, ab dem Punkt, als ich da weggezogen worden bin, weiß ich nicht, wo ich hingebracht wurde. Mir wurde dann gesagt, es wurden Sammeltransporte gemacht und die Leute wurden mit Rettungswagen nach Hause gefahren.
Ich weiß nur, dass ich am nächsten Morgen mit blutverschmierten Klamotten, meine Straßenschuhe an, meine Jacke, meine Hose, alles blutverschmiert, in meinem Bett lag. Mein Wohnungsschlüssel steckte außen in der Tür.
Können Sie sich erinnern, ob schon Polizei auf dem Breitscheidplatz da war?
Andreas Schwartz: Man hat Blaulicht ohne Ende gesehen, das habe ich wahrgenommen.
Mich interessiert, ob zum Beispiel von Zeugen Personalien aufgenommen wurden und Zeugenaussagen festgehalten wurden.
Andreas Schwartz: An so etwas kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Ich bin drei Tage später selber zu einer Polizeistation und habe versucht, Hilfe zu bekommen, weil ich völlig neben mir stand.
Zwei Männer
Sie sind selber zur Polizei?
Andreas Schwartz: Ich bin selber zur Polizei und habe gesagt, ich bin Opfer vom Breitscheidplatz.
Und ja auch Augenzeuge. Wurde keine Aussage aufgenommen?
Andreas Schwartz: Nichts, gar nichts. 'Sie sind registriert', hat er mir gesagt, sie würden sich bei mir melden.
Der LKW fuhr auf also Sie zu, und Sie hatten einen Bruchteil von Sekunden Zeit zu schauen. Vielleicht können Sie das einfach noch einmal beschreiben: Sie haben zwei Männer gesehen ...
Andreas Schwartz: Genau. Also der LKW kam direkt auf mich zu. Zu diesem Zeitpunkt war die Frontscheibe noch intakt, das heißt, man konnte durchsehen. Ich sah den Fahrer, und ich sah einen stehenden Beifahrer, gebeugt über das Armaturenbrett, also über den Mitteltunnel rüber gebeugt, wie er ins Lenkrad gegriffen hat. Das habe ich klar und deutlich gesehen. Das Bild ist in mir drin.
Das BKA hat mich in der Vernehmung gefragt: Können Sie uns das beschreiben? Dann habe ich ihnen eine Skizze gemacht, und sie haben gesagt: Ihre Skizze ist glaubwürdig. Ich habe das aufgemalt, da ich ja selber LKW-Fahrer bin. Es sind Bruchteile von Sekunden, aber man sieht es. Ich sag mal so: das, was ich gesehen habe, hat sich in mir reingesetzt und - sehen, springen, retten, so war es, hab mich gerettet vor dem LKW, sonst hätte er mich erfasst.
Was war denn Ihr Eindruck, warum der stehende Beifahrer in das Lenkrad greift?
Andreas Schwartz: Mein Eindruck ist: Der Beifahrer hat dadurch Schlimmeres verhindert. Hätte der nicht ins Lenkrad gegriffen, hätten sich die 40 Tonnen weiter durch den Weihnachtsmarkt gebohrt. Der wäre da nicht ausgetreten, der wäre weiter geradeaus durch, wäre vielleicht am anderen Ende zum Stehen gekommen. 40 Tonnen, die stoppt man nicht so schnell.
Und die Holzhütten, die hat er ja weggerissen ohne irgendwas. Ich bin und bleibe der Meinung, dass dieser Beifahrer Schlimmeres verhindert hat. Es sind leider zwölf Menschen ums Leben gekommen.
Auf dem Beifahrersitz wurde ja dann der tote Speditionsfahrer gefunden. Konnten Sie erkennen, dass jemand eine Pistole gehalten hat?
Andreas Schwartz: Ich habe nur die Umrisse von dem Fahrer gesehen. Eine Pistole habe ich da nicht gesehen. Den Beifahrer konnte man sehr gut erkennen, da er ja direkt vor der Frontscheibe stand. Und vom Fahrer sieht man ja nur den Kopf und ein bisschen den Oberkörper.
Zwischen 40 und 60 Stundenkilometer
Welche Geschwindigkeit hat der LKW ungefähr gehabt?
Andreas Schwartz: Der muss so zwischen 40 und 60 Stundenkilometer drauf gehabt haben, so in dem Dreh. Genau kann ich das nicht sagen. Er kam mit einer ganz schönen Wucht rein.
Und von welcher Straße kam er?
Andreas Schwartz: Von der Kantstraße.
Sie haben zuerst dieses Grollen gehört?
Andreas Schwartz: Ja, so ein Holtern, Poltern. Das ist schwer zu beschreiben. Wie wenn Güterwagen ineinander stoßen.
Schlagartige Stille
Mehrere Zeugen beschreiben, dass es dann plötzlich ganz still war.
Andreas Schwartz: Ja, es war mit einem Mal schlagartig Totenstille. Nicht lange, vielleicht eine Minute, weil es ja dann auch schon los ging. Die Rettungsdienste waren ganz schnell da, die Polizei war ganz schnell vor Ort.
Jemand soll einen Schuss gehört haben?
Andreas Schwartz: Richtig. Das war die Frau aus der Hütte, die auch plattgemacht worden ist, wo frische Kartoffelchips hergestellt wurden. Mit dieser Frau habe ich mich am Jahrestag [des Anschlages] unterhalten, sie hat mich wiedererkannt. Und sie hat gesagt, sie hat damals einen Schuss wahrgenommen.
Also die Polizei war nicht bei Ihnen, Sie sind zur Polizei, wurden aber nicht vernommen. Wie kam es, dass dann ein halbes Jahr später im Juni 2017 das Bundeskriminalamt (BKA) auf Sie zukam?
Andreas Schwartz: Das BKA ist auf mich zugekommen, weil die Beamten durch die Medien auf mich aufmerksam geworden sind, haben sie gesagt. Dann sagte ich: Wieso durch die Medien? Ich bin doch offiziell registriert beim Lageso. [Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales] Ich habe ihnen die Unterlagen vorgelegt. Der Beamte war verwundert, was da schiefgelaufen ist. Und ich bin kein Einzelfall. Es gibt noch mehr Leute, wie er sagte, bei denen Sachen schiefgelaufen sind.
Er meinte, es gibt noch mehrere Zeugen, die nicht vernommen wurden?
Andreas Schwartz: Richtig.
Haben Sie seither noch einmal etwas gehört vom BKA?
Andreas Schwartz: Nein, seitdem nicht mehr.
Ihr Fall wurde ja auch in den Medien schon zwei-, dreimal dargestellt. Ihre Beobachtung der zwei Männer im Führerhaus habe ich bisher keiner einzigen Berichterstattung entnommen. Haben Sie das auch geschildert?
Andreas Schwartz: Ich habe es Ihren Kollegen auch geschildert, aber sie haben es nicht gesendet. Warum es nicht gesendet wurde, kann ich nicht sagen. Ich selber habe es ja bei Facebook veröffentlicht, und dann war da einer, der kam mir vor wie so ein Verschwörungstheoretiker. Der ist der Meinung, Breitscheidplatz, den Anschlag hat es nie gegeben. Ich finde das gegenüber den Opfern und den getöteten Menschen respektlos.
Ich habe das vorhin so verstanden, dass auch der BKA-Mann überrascht war von der Aussage, da waren zwei Männer im Führerhaus des LKW, also dass der Beifahrer noch lebte.
Andreas Schwartz: Genau und deswegen wurde es dann so eine lange Zeugenbefragung.
Haben Sie von irgendeinem anderen Augenzeugen so etwas Ähnliches mal gehört? Oder hat der BKA-Mann erzählt, dass er so etwas schon mal gehört hat?
Andreas Schwartz: Nein. Der BKA-Mann sagte, er stehe noch am Anfang seiner Ermittlungen. Er sagte aber, meine Aussage stütze seine Theorie. Da muss irgendetwas Wahres dran sein. Und warum hat sich das LKA nicht an mich gewandt, warum muss erst das BKA kommen?
Was ist denn seine Theorie?
Andreas Schwartz: Das hat er nicht gesagt.
40 Tonnen
Der Sattelschlepper hatte im Prinzip ja das maximale Gewicht von 40 Tonnen - und zwar auch deshalb, weil er Stahlträger geladen hatte. Ist das wieder nur Zufall, dass der Täter sozusagen sich einen LKW mit dem Höchstgewicht aussucht? Er konnte ja nicht in die Ladung gucken.
Andreas Schwartz: Spekulieren kann man hin und her: Wo hat der LKW-Fahrer zum Beispiel die Ladung aufgenommen? Ist er da von Komplizen oder wie auch immer beobachtet worden? Das weiß man ja alles nicht. Ich will mich in diese Spekulationen gar nicht reinhängen. Meiner Meinung nach war der polnische LKW-Fahrer nur Mittel zum Zweck.
Faktum ist: Dieser 40-Tonner, der hat sich da durchgebohrt, ohne mit der Wimper zu zucken. Das Gewicht spielt eine sehr große Rolle. Ich bin der Meinung, durch das beherzte Eingreifen des polnischen LKW-Fahrers, der ins Lenkrad gegriffen hat, ist noch Schlimmeres verhindert worden.
Dann ist er ja fast ein Held?
Andreas Schwartz: In meinen Augen ist er ein Held. Für mich ist er der wahre Held. Er hat sein Leben gelassen und hat noch versucht, Schlimmeres zu verhindern. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich verstehe nicht, wie da ermittelt worden ist. Die offizielle Variante ist: Er soll ja schon am Friedrich-Krause-Ufer erschossen worden sein, soll die ganze Zeit tot im LKW auf dem Beifahrersitz gesessen haben. Das sind Widersprüche in sich und viele Ungereimtheiten.