Breitscheidplatz: Wie lief der Anschlag genau ab?

Seite 3: Puzzlestück eines anderen Tatablaufes als dem offiziell dargestellten?

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Die Beobachtungen von Andreas Schwartz könnten ein Puzzlestück eines anderen Tatablaufes als dem offiziell dargestellten sein.

Im Abgeordnetenhaus von Berlin hat Schwartz zusammen mit Astrid Passin, deren Vater auf dem Breitscheidplatz starb, gegenüber den Vertretern der Fraktionen im Amri-Untersuchungsausschuss daran erinnert, dass der Tathergang bisher nicht zweifelsfrei ermittelt ist. Passin äußerte die Befürchtung, dass bei Zeugen und Ermittlern mit der Zeit die Erinnerungen verblassen könnten. Für die Angehörigen habe es eine große Relevanz zu wissen, was genau passiert sei. Sie sprach dabei ausdrücklich auch für die Familie des getöteten polnischen LKW-Fahrers Lukasz Urban.

Eine der ungeklärten Fragen ist, woher der mutmaßliche Attentäter Anis Amri die Pistole hatte, mit der Urban getötet wurde. Und mit der er vier Tage später in Italien auf Polizisten geschossen haben soll, woraufhin er erschossen wurde.

Mit der Spur Italien eröffnet sich zugleich ein wahres Mysterium des Anschlages vom 19. Dezember 2016. Denn Amri flieht über Emmerich in Nordrhein Westfalen, Niederlande, Belgien und Frankreich nach Italien - und ausgerechnet dorthin, wo einen Tag vor dem Anschlag, am 18. Dezember 2016, ganz in der Nähe der LKW, den er zur Tatwaffe machte, Richtung Berlin gestartet war. Das beschäftigt inzwischen den Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Soll es etwa nur ein großer Zufall gewesen sein, dass Amri dort in Sesto San Giovanni auftauchte? Aber was wollte er gerade dort? Wollte er jemanden treffen? Kannte er den Ort und war schon einmal dort gewesen?

Der Sattelschlepper Marke Scania, mit dem der Attentäter in den Weihnachtsmarkt fuhr, besaß das zulässige Maximalgewicht von 40 Tonnen. Leer wiegt das Fahrzeug etwa 20 Tonnen. Das Höchstgewicht erreichte es aufgrund der Ladung: Stahlträger. Die Ladung soll bei Sesto San Giovanni aufgenommen worden sein. Stimmt die offizielle Version vom spontanen Einzeltäter Amri, hätte er sich am 19. Dezember 2016 am Friedrich-Krause-Ufer in Berlin zufälligerweise ein Fahrzeug mit dem Höchstgewicht ausgesucht. Er konnte ja nicht ins Innere des Aufliegers schauen. 40 Tonnen richten aber einen größeren Schaden an als 20 Tonnen.

Wenn es aber kein Zufall war, dass sich der Attentäter nach der Tat dorthin begibt, wo seine Tatwaffe ihren Ausgangspunkt hatte, drängen sich andere Tathypothesen auf. Wäre es demnach nicht Amri gewesen, der in Berlin den LKW ausgesucht hatte, sondern hätte jemand anderes das Tatfahrzeug dort in Mailand ausgewählt, als Tatwaffe bestimmt und dann die Information, dass der geeignete LKW auf dem Weg in die deutsche Hauptstadt ist, nach Berlin übermittelt? Eine solche Tathypothese würde bedeuten, es hätte Mittäter in Italien gegeben und Amri wäre Teil einer größeren Täterorganisation gewesen.

Der Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat jedenfalls beschlossen, der Spur Italien nachzugehen. Das Gremium will die Akten zum Tod Amris anfordern und auch die Polizeibeamten als Zeugen befragen, die den Tunesier am 23. Dezember 2016 in Mailand kontrolliert und erschossen haben. Der Ausschuss hat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause die Bundesregierung aufgefordert, in diesem Sinne gegenüber der italienischen Regierung initiativ zu werden und das Prozedere zu klären. 1