Bretton Woods II
Wahnsinn mit Methode
Der Zustand des internationalen Finanzsystems sorgt unter Fachökonomen für Kopfschütteln: in den USA explodieren private wie öffentliche Verschuldung, die USA konsumieren die weltweite Überschussproduktion und lassen sich das von den Exporteuren finanzieren. Während den Professoren ein Abbau der Ungleichgewichte unumgänglich scheint, sanken die langfristigen Dollar-Zinsen zuletzt sogar noch weiter und der Dollar-Aussenwert legte gegenüber dem Euro kräftig zu. Das widerspricht zwar allen Gesetzen der Ökonomie, ist aber schon so lange Realität, dass sich mit Bretton Woods II nun ein Name für die neue "monetäre Weltordnung" etabliert hat. Demnach hätten die USA und China ein System fixer Wechselkurse geschaffen, dass es den Chinesen erlaubt, so viel in die USA zu exportieren, wie nötig ist, um 200 Millionen Chinesen von der Landwirtschaft in produktivere Bereiche zu holen. Da die produktive chinesische Wirtschaft jährlich aber maximal 20 Millionen Menschen aufnehmen kann, sollte das System noch für wenigstens zehn Jahre stabil bleiben – das "Twin Defizit" der USA müsste also weder beseitigt werden, noch sollte es bis auf weiteres Anlass zur Sorge geben.
Während die BW2-These an der Wall Street begeistert aufgenommen wird, wundert es auch nicht, dass die jüngste Mini-Aufwertung des chinesischen Yuan es auf die Titelseiten der internationalen Zeitungen geschafft hat. Neuerlich sind sich die Experten uneinig, so könnte das einerseits den Anfang vom Ende von BWII bedeuten, andererseits aber auch dessen Fortbestand garantieren.
Seltsame Bereitschaft, die US-Defizite zu finanzieren
Nach makroökonomischem Grundwissen ist alles klar: Die USA hätte ihre erdrückende Schuldenlast längst mit einer gröberen Rezession bezahlen müssen, denn seit Jahren geben sie sich einem Konsumrausch hin und importieren mehr als doppelt so viel, als sie exportieren. Diese ökonomische Realität wird mit im Ausland aufgenommenen Geldern finanziert, die nach Auffassung der US-Notenbank FED einfach wegen der besseren Ertragschancen in die USA fließen.
Während die restliche Welt ihren Konsum einschränkt und spart (Europa) oder investiert (Asien), tendiert die Sparquote in den USA inzwischen gegen Null, so dass auch die Auslandsinvestitionen der USA mit ausländischen Mitteln finanziert werden müssen. Diese sind freilich wesentlich billiger: Tatsächlich rentieren amerikanische Anlagen im Ausland mit vier Prozent und somit wesentlich höher als die ausländischen Investitionen in den USA, die laut den Statistiken der BIZ im Schnitt magere 2,6 Prozent Jahresrendite abwerfen.1
Wegen dieser geringen Rendite, die für Hartwährungsländer zudem wegen der Dollarabwertung negativ werden kann, sollten ‚effiziente’ internationale Finanzmärkte längst nicht mehr bereit sein, das Budget-Defizit und den privaten Konsum weiterhin zu derart günstigen Konditionen zu finanzieren. Das würde drastisch höhere Zinsen und einen massiven Dollareinbruch bedeuten, wobei dem durchaus auch ein echter ‚Chrash’ an den Finanzmärkten vorausgehen könnte - welche nun schon für eine ungewöhnlich lange Zeit (seit 1987) ausgeblieben sind! Aber während diese längste ungebrochene Aufschwungphase der bekannten Geschichte seit Anfang der 90er Jahre ungebrochen anhält, staunen die Professoren und befürchten das Schlimmste.
China und die USA
Sehr zur Erleichterung der Wall Street hat sich inzwischen allerdings eine Theorie etabliert, die unter dem Stichwort Bretton Woods II, eine Erklärung dafür bietet, was in der Weltwirtschaft tatsächlich vorgeht - und warum es noch für wenigstens eine Dekade genau so weitergehen könne.
Jedenfalls traten die durchaus renommierten US-Ökonomen Michael Dooley, Peter Garber und David Folkerts-Landau (DGF) - allesamt übrigens im Solde der Deutschen Bank - bereits seit September 2003 den Krisenpropheten entgegen, die wegen des ausufernden Twin-Defizits bei US-Handelsbilanz und -Budget den baldigen Kollaps von Dollar und US-Schuldtiteln prophezeien. "Bretton Woods" steht dabei für das System fixer Wechselkurse, auf das sich die USA und Großbritannien schon 1944 im gleichnamigen US-Wintersportort geeinigt hatten. Damals löste der Dollar das britische Pfund als Welt-Leitwährung ab, an die alle anderen wichtigen Währungen mit fixen Wechselkursen gebunden waren. Die FED hatte sich seinerseits verpflichtet von ausländischen Notenbanken präsentierte Dollars gegen eine festgelegte Menge Gold zu tauschen. Als die USA in den 6oer Jahren aber den Vietnam-Krieg mit Hilfe der Notenpresse finanzierten und ihre Inflation in die Welt exportierten, waren sie 1972 gezwungen, den Goldstandard – und damit das Bretton Woods-System fixer Wechselkurse - aufzugeben.
DGF zufolge bestehe heute wieder ein informelles, aber dennoch stabiles System mit fixen Wechselkursen. Im Zentrum stehen die USA und die Peripherie – die bei Bretton Woods I von Deutschland und Japan gebildet wurde –, wird von China angeführt. Um soziale Unruhen zu vermeiden, müsse China etwa 200 Millionen Arbeitskräfte von der landwirtschaftlichen Produktion in moderne Wirtschaftssektoren überführen. Das könne mit einer Jahresrate von maximal 10 bis 20 Millionen geschehen, weshalb China noch für eine, wenn nicht zwei Dekaden die bisherige Strategie exportgetriebenen Wachstums – und damit Bretton Woods II - aufrecht erhalten müsse.
Das System könne so lange bestehen, so lange es den Interessen der Teilnehmer dient, meinen die Autoren. Chris P. Dialynas, Managing Director bei PIMCO, einem der weltgrößten Bondhändler, beschreibt bei einem Investorentreffen die neue finanzielle Weltordnung BW II als halb-offizielle Wechselkursvereinbarung zwischen den USA und den asiatischen Exportnationen:
Die Notenbanken der USA und Japans produzieren Geld, das vor allem über Hypothekarkredite an US-Konsumenten weitergereicht wird. Die Amerikaner können damit über fixierte Wechselkursrelationen zu niedrigen Prisen asiatische Exportgüter konsumieren, während Asien mit den im Export verdienten Dollars US-Anleihen kauft und so US-Konsum und US-Budgetdefizit finanziert. Am Anfang stehen die expansive Geldpolitik der USA und eine hohe Sparneigung in Asien (und auch in der EU), während es die viel zu niedrige Fixierung des Wechselkurses ist, die den Kreislauf am Laufen hält.
Nun hat sogar die Bank für Internationalen Zahlungsverkehr (BIZ), die einflussreiche "Zentralbank der Notenbanken", der Theorie in ihrem jüngsten Jahresbericht eine Diskussion gewidmet. Die BIZ konnte sich allerdings nicht zu einem abschließenden Urteil durchringen, was von BW II zu halten sei. Man stellt allerdings dezidiert fest, dass die Ungleichgewichte langfristig unhaltbar sind. Nur wie ihr Abbau erfolgen werde, sei ungewiss, denn man befinde sich in einer historisch einzigartigen Situation globalisierter Finanzmärkte, wobei zudem mit dem Boom der Hedge Fonds neue und unberechenbare Marktteilnehmer dazugekommen sind. Jedenfalls soll in den Gängen der ebenso einflussreichen wie unbekannten Basler Finanzinstitution, wo sich die Notenbanker der Welt alle zwei Monate zu diskreten Gesprächen treffen, die Angst vor einem weltweiten Finanzcrash nicht vollständig gebannt zu sein.
DGF argumentieren hingegen, dass die Notenbanken Chinas und anderer Exportnationen noch für Jahrzehnte bereit sein werden, die US-Defizite über Käufe von US-Staatsanleihen zu finanzieren – und somit das Krisenszenario verhindern. Denn um nicht aus den Exportmärkten gedrängt zu werden, müssten Chinas Konkurrenten dem Beispiel folgen, so auch Europa, das laut DGF künftig ebenfalls dazu übergehen müsse, Dollar-Papiere zu kaufen, um seine Währung zu schwächen. Andernfalls würden die Hartwährungsländer die Folgen des Arrangements weiterhin alleine tragen, und ihre Sachgüterproduktion durch die ungünstigen Währungsrelationen weder am Heimatmarkt noch in den USA besonders erfolgreich absetzen können.
Der öknomische Zwang
Wie bedeutend der Dollarkurs für die europäische Wirtschaft aber tatsächlich ist, zeigen die jüngsten Umfragen zum Wirtschaftsklima: Kaum wurde der Dollar zuletzt ein wenig stärker, hellte sich die Stimmung unter den zuvor noch recht depressiven deutschen Managern überraschend und deutlich auf, und auch die Prognoseinstitute hoben ihre durchwegs düsteren Wachstumsprognosen zuletzt wieder ein wenig an. Wobei die Situation noch dadurch verschärft wird, dass BW II auch eine gewaltige Kreditexpansion in China bewirkt, die dazu führt, dass viele chinesische Unternehmen ihre Kredite in den Verkaufspreisen kaum berücksichtigen und am Weltmarkt dadurch noch günstiger anbieten können. Außerdem fließen große Mengen der europäischen Ersparnisse in die USA, was den europäischen Konsum reduziert. Nicht zuletzt treibt das im BW II-Gebiet konzentrierte Wirtschaftswachstum den Öl- und andere Rohstoffpreise hoch und heizt so auch im stagnierenden Europa die Inflation an.)
Voraussetzung für das Funktionieren von BW2 ist das Vertrauern der Finanzmärkte, das sich in der Höhe der Risikoprämien ausdrückt, die für höhere Risiken geboten werden müssen. Diese Prämien bewegen sich seit Jahren auf historischen Tiefstständen, wobei unklar ist, ob die Finanzmärkte die Risiken zu recht als geringer einschätzten oder ob einfach die überschießende Liquidität dazu geführt, zu viel Nachfrage nach Risiko zu erzeugen.
Das Finanzsystem bilden internationalen Großbanken sowie diverse Investment- und Hedge-fonds, für die hinter Tausenden von Terminals Trader sitzen, die versuchen, durch aktives Handeln Gewinne oder günstige Preise zu erzielen. Sie halten dabei zumeist gegenläufige, in Summe oft ausgeglichene Positionen, mit denen zu minimalen Transaktionskosten täglich aber Hunderte von Millionen umgesetzt werden. Dazu kommen ‚Carry-Trades’, wobei die billig erhältlich Liquidität in höher rentierliche Anlagen oder Währungen investieret und die Differenz eingestrichen wird. Das schaukelt sich zu so gewaltigen Umsätzen hoch, dass die Käufe der Notenbanken dagegen vergleichsweise bescheiden anmuten. So werden an den internationalen Devisenmärkten täglich Transaktionen im Wert von rund 1,5 Billionen Dollar durchgeführt.
Der Job der Trader ist es zumeist zu ahnen, wie die anderen Marktteilnehmer auf die aktuelle Top-Meldung der Informationsagenturen Bloomberg und Reuters reagieren. "Reale" Geschäfte, die an den Märkten nur einen Bruchteil der Umsätze ausmachen, beeinflussen über die Marktpsychologie die Preise. So reagierten die Märkte zuletzt extrem sensibel auf Äußerungen von Notenbankern über ihre künftige Neigung, Dollars zu kaufen. Und da die Oppositionsparteien in den BWII-Staaten – so vorhanden – regelmäßig die effektiven oder möglichen Verluste aus einer Dollarabwertung thematisieren, sehen sich häufig auch Regierungsvertreter genötigt, Umschichtungen aus dem Dollar anzukündigen.
Diskussion über den Zeitpunkt des Zusammenbruchs
Seit Jahren steigt an den Finanzmärkten zudem der Stress, wenn die USA ein neues Rekord-Leistungsbilanzdefizit bekannt geben, sobald der Immobilienmarkt zu hohe Preissteigerungen meldet. Alles, was die Händler an die verdrängten Risiken erinnert, bringt die Marktteilnehmer ins Dilemma. Bei einem radikalen Kippen der Stimmung in einen echten Crash, wie es zuletzt 1987 vorgekommen ist, fürchtet jeder, ins fallende Messer zu greifen und plötzlich mit gewaltigen Verlusten zurück zu bleiben. Seither werden Verkaufswellen schnell als günstige Einstiegschancen gesehen und die Märkte stabilisieren sich sehr rasch. Die Vorsichtigen haben daher in den letzten Jahren wohl zu viele Gewinne liegen lassen, um nun noch in großer Anzahl im Amt zu sein - umso beruhigender wirkt die BWII-These auf die Märkte.
Freilich haben sich inzwischen auch etliche Top-Ökonomen zu Wort gemeldet und die BW II-Hypothese mit ungewöhnlich harschen Worten kritisiert. An vorderster Front stehen dabei Fred Bergsten, der Chef des Institute for International Economics (IIE), dem offiziellen Beratergremium der G8, Barry Eichengreen vom National Bureau of Economic Research, und Nouriel Roubini von der Stern-Businessschool, aber auch internationale Finanzinstitutionen wie die OECD und die Bank für Internationalen Zahlungsverkehr (BIZ) beteiligen sich an der Kritik. Die Diskussion dreht sich inzwischen vor allem darum, wie lange die wechselseitige Abhängigkeit der USA und ihrer BW II-Handelspartner noch bestehen könne. Etliche Kommentatoren nennen dabei als wahrscheinlichsten Termin für einen Zusammenbruch den Jahresbeginn 2006, die Zeit von Alan Greenspans Rücktritt. Denn derzeit, davon ist jedenfalls Steven Roach, Chefökonom von Morgan Stanley, überzeugt, würden die Finanzmärkte davon ausgehen, dass Greenspan sofort als Käufer aufzutreten werde, sollte es bei US-Staatsanleihen oder bei Anleihen der ‚State sponsored’-Hypothekarinstituten, die inzwischen fast so viele Anleihen ausstehen haben wie die US-Regierung, zu einer Verkaufswelle kommen.
Die akademischen BW II-Kritiker konzentrieren sich hingegen überwiegend auf folgende Aspekte: Laut DGF kommen rund ein Viertel des chinesischen Wirtschaftswachstums aus dem Exportsektor. Allerdings gehen - inklusive Hong Kong - nur 30 Prozent der chinesischen Exporte in die USA; und selbst wenn man auch Exporte in Länder einrechnet, deren Währungen gleichfalls an den Dollar gebunden sind, erhöht sich diese Quote gerade einmal auf 40 Prozent. Für viele Beobachter also viel zu wenig, um die negativen Folgen, die BWII für China haben kann, aufzuwiegen.
So muss China die Dollar-Käufe durch den gleichzeitigen Verkauf von chinesischen Anleihen monetär ‚sterilisieren’. Allerdings sind die dafür nötigen Summen mit jährlich rund 10 Prozent des Sozialprodukts zu gewaltig, um vom chinesischen Kapitalmarkt verkraftet zu werden. Roubini schätzt, dass das Volumen an in Asien gehaltenen Fremdwährungsreserven von derzeit etwa zwei Billionen Dollar bis 2010 auf sieben Billionen ansteigen müsste. Diese Masse an Renminbi, die die chinesische Nationalbank für die Dollaranleihen bezahlt, kann nur in China ausgegeben werden, strömt daher sofort zurück und heizt über exzessive Kreditvergaben die Inflation an. Die chinesische Zentralbank nimmt deshalb Geld aus dem Markt, indem gleichzeitig riesige Mengen an Renmimbi-Anleihen an die vier großen Staatsbanken verkauft werden, die diese überhaupt nicht brauchen können. Das reichte aber schon bisher nicht aus, um den chinesischen Kreditboom einzubremsen, der offensichtlich bereits zur Bildung eine Reihe von spekulativen Blasen geführt hat.
Außerdem führen die künstlich niedrigen Langfristzinsen in den USA zu übermäßigen Investitionen in zinssensitiven Sektoren (wie vor allem dem privaten Wohnbau) und vermindern Investitionen in Bereichen, die mit den chinesischen Exporteuren konkurrieren. Der damit verbundene Arbeitsplatzverlust führt einerseits bereits jetzt zu steigendem Protektionismus, andererseits verlieren die USA dadurch die Chance, ihre Auslandsschulden mit eigenen Exporten zu bezahlen, was das Handelsbilanzproblem der USA nur immer größer werden lässt.
Entsprechend wird aber auch das Risiko für die asiatischen Notenbanken immer größer, im Falle eines Kollaps gewaltige Verluste zu erleiden. So rechnen Goldstein und Lardy auf Basis der offiziellen chinesischen Dollarbestände vom Jahresende 2004 bei einer Aufwertung des Renmimbi gegenüber dem Dollar um nur 15 Prozent mit Kapitalverlusten im Ausmaß von sechs Prozent des chinesischen Innlandsproduktes – wobei Ökonomen aber von einer Unterbewertung im Ausmaß von 30 bis 50 Prozent ausgehen.
Gleichzeitig werden auch Euro-Europa und die anderen Länder mit floatenden Währungen nicht auf unbegrenzte Zeit bereit sein, die Hauptlast des derzeitigen Arrangements zu tragen. Um zu vermeiden, dass ihre Exportindustrien von China & Co aus den Märkten gedrängt werden, können sie entweder wie die Asiaten beginnen, die US-Defizite zu finanzieren, was DGF erwarten, oder sie können gleichfalls auf protektionistische Maßnahmen setzen, was für viele Beobachter wesentlich wahrscheinlicher ist. Nicht zuletzt wird auch noch das Argument des "First-mover-Vorteils" ins Treffen geführt. Denn die ersten, die sich aus dem System verabschieden, werden die geringsten Verluste verzeichnen – so dass man gespannt sein darf, in welchem Ausmaß die asiatischen Notenbanken die jüngste Dollarstärke genutzt haben, um sich von ihren Beständen zu trennen.