Brexit: Jetzt liegt es am Unterhaus
Boris Johnson und Jean-Claude Juncker haben sich auf einen neuen Ausstiegsdeal geeinigt
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat heute Mittag via Twitter etwas bekannt gegeben, was er vorher monatelang immer wieder explizit ausschloss: Einen Brexit-Deal, der von dem mit Theresa May vereinbarten abweicht.
Im neuem Abkommen, das der EU-Chefunterhändler Michel Barnier kurz darauf auf einer Pressekonferenz präsentierte, hat man seinen Angaben nach eine "gangbare Lösung" zur Vermeidung einer "harten Grenze" auf der irischen Insel verankert. Dazu soll in Nordirland eine "begrenzten Zahl von EU-Regeln" auch nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs weiter gelten.
Deutschland und Irland
Anders als Angela Merkel verlangt haben soll (vgl. Brexit: Scheitert neuer Deal an Merkel?) unterliegt Nordirland aber nach einem Austritt der britischen Zollhoheit. Auch Mitspracherechte des nordirischen Regionalparlaments hat Brüssel jetzt akzeptiert. Meldungen, dass die deutsche Bundeskanzlerin einen neuen Brexit-Ausstiegsdeal als "extrem unwahrscheinlich" bezeichnete, so lange dieser nicht zum Inhalt habe, dass Nordirland dauerhaft Teil des Zollgebiets der EU bleibt, hatten in Großbritannien ein sehr negatives Echo hervorgerufen. In Sozialen Medien hieß es dazu, man habe nicht zwei Weltkriege gewonnen, um ein Stück des UK an die Deutschen abzutreten.
Daran dass man sich doch noch einigte, könnte die irische Regierung größeren Anteil tragen als die deutsche: Ihr Außenminister Simon Coveney hatte sich am Montag bei einer Reise nach Luxemburg vorsichtig optimistisch gezeigt und gemeint: "Ein Deal ist möglich, er ist diesen Monat möglich oder sogar diese Woche". Sein Chef Leo Varadkar hatte bereits am 9. Oktober nach einem privaten aber seinem Eindruck nach "vielversprechenden" Treffen mit Johnson auf dem Tudor-Landhaus Thornton bei Liverpool von einem "Weg" zu einem neuen Abkommen gesprochen. Bei diesem Treffen soll es vor allem um die "Herausforderung des Zolls" gegangen sein.
Danach hatte der britische Brexit-Minister Steve Barclay in Brüssel Barnier besucht, der den Vertretern der 27 restlichen EU-Staaten anschließend "überraschende Fortschritte" mitteilte. Als nächstes lobte EU-Ratspräsident Donald Tusk "vielversprechende Signale" aus Irland und genehmigte "intensive" weitere Verhandlungen.
Unterhaus-Sondersitzung am Samstag
Juncker und Barnier empfahlen das daraus resultierende und ihrer Ansicht nach "faire und vernünftige" Abkommen heute den Staats- und Regierungschefs der übrigen EU-Mitglieder zur Annahme. Die gilt auf dem derzeit laufenden EU-Gipfel als ebenso gesichert wie die des EU-Parlaments, das nächste Woche dran ist. Anders sieht es mit der Zustimmung des britischen Unterhauses aus. Das soll auf einer außerplanmäßigen Sondersitzung am Samstag über den neuen Vertrag abstimmen.
Wie diese Abstimmung ausgeht, ist unklar. Von Johnsons Tories dürfte wohl - anders als beim May-Abkommen - der größte Teil der Abgeordneten zustimmen. Arlene Foster und Nigel Dodds, die Chefs der nordirischen Protestantenpartei DUP, zeigten sich dagegen unzufrieden mit dem Abkommen. Sie wollen aber noch einmal mit Johnson sprechen. Aber auch, wenn die DUP zustimmt, wäre Johnson auf Stimmen aus der Opposition angewiesen, da sein Bündnis nach Austritten über keine Mandatsmehrheit mehr verfügt (vgl. UK: Vorgezogene Neuwahlen am 14. Oktober?).
Johnson will sich "endlich wieder anderen Prioritäten wie dem Gesundheitssystem, dem Kampf gegen das Verbrechen, dem Umweltschutz und den Lebenshaltungskosten widmen"
Jeremy Corbyn und Nicola Sturgeon, die Chefs der beiden größten Oppositionsparteien Labour und SNP, wollen eine Zustimmung des Unterhauses verhindern, wie sie heute bekannt gaben. Corbyn fordert nun ein neues Referendum über den EU-Ausstieg, Sturgeon schon länger ein zweites über den Ausstieg Schottlands aus dem UK. In der SNP werden wahrscheinlich die meisten Mandatsträger der Anweisung ihrer Chefin folgen. Anders sieht es in der Labour Party aus. Hier ist die Autorität des Vorsitzenden weniger unumstritten und es gibt einige Dutzend Abgeordnete, die in der Vergangenheit für eine Anerkennung des Referendumsergebnisses vom 23. Juni 2016 plädierten.
Diese Abgeordneten dürfte Johnson im Sinn gehabt haben, als er Juncker heute sagte, er habe "Vertrauen in [s]eine Fähigkeit, eine Mehrheit im Unterhaus zu überzeugen". An die Parlamentarier selbst appellierte der Premierminister, sie sollten seinem "großartigen neuen Deal" zustimmen, damit er sich endlich wieder anderen Prioritäten wie dem Gesundheitssystem, dem Kampf gegen das Verbrechen, dem Umweltschutz und den Lebenshaltungskosten widmen könne.
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