Brexit-Wahl als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk
Unterhaus ruft die Briten am 12. Dezember zu den Urnen
Das britische Unterhaus hat gestern Abend mit 438 zu 20 Stimmen vorgezogene Neuwahlen am 12. Dezember genehmigt.
Am Montag, als Premierminister Boris Johnson solche Neuwahlen mit einer anderen Rechtsgrundlage herbeiführen wollte, für die keine einfache, sondern eine Zweidrittelmehrheit nötig gewesen wäre, hatte Oppositionsführer Jeremy Corbyn seine Zustimmung dazu noch verweigert, obwohl der EU-Rat zu diesem Zeitpunkt bereits der von ihm geforderten Verlängerung stattgegeben und so einen "harten" Brexit vor Neuwahlen ausgeschlossen hatte. Erst, als sich abzeichnete, dass Liberaldemokraten und schottische Separatisten Johnson heute zu einer einfachen Mehrheit verhelfen würden, lenkte auch der Labour-Chef ein.
Seine Partei liegt mit 22 bis 24 Prozent Stimmenanteil in den letzten drei Erhebungen sehr deutlich hinter Johnsons Tories, die letzte Woche noch etwas zulegten und jetzt auf 36 bis 40 Prozent kommen. Da im britischen First-Past-the-Post-Mehrheitswahlrecht der Abstand zur zweitstärksten Partei mehr über die zu erwartende Zahl der Sitze aussagt als der Stimmenanteil, könnten diese 36 bis 40 Prozent für eine klare Tory-Mehrheit in einem neuen Unterhaus durchaus reichen.
Labour wollte Wahlalter senken
Weil sie sich bei jüngeren Wählern bessere Chancen ausrechnet als bei älteren, hatte die Labour Party vor der gestrigen Abstimmung zusammen mit Liberaldemokraten und Schotten versucht, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken. Einen Antrag darauf ließ der stellvertretende Parlamentssprecher jedoch nicht zu. Boris Johnson hatte davor gedroht, seinen Antrag auf eine vorgezogene Neuwahl im Fall einer Annahme dieses Änderungsantrags ganz zurückzuziehen.
Ein anderer Änderungsantrag, der den Anteil jüngerer Wähler potenziell vergrößern sollte, bekam am Abend mit 295 zu 315 Stimmen keine Mehrheit. Mit ihm wollte die Labour Party erreichen, dass die Wahl nicht am Donnerstag den 12., sondern bereits am Montag den 9. Dezember stattfindet. Am 12. haben sich nämlich voraussichtlich schon viele Studenten in den Weihnachtsferien verabschiedet, die auf der Insel nicht zwei, sondern drei bis fünf Wochen dauern.
Die britischen Unterhausabgeordneten verabschieden sich noch früher in eine Pause, nämlich bereits am Mittwoch den 6. November. Der Grund dafür ist allerdings nicht das Weihnachtsfest, sondern der Wahlkampf, der danach offiziell beginnt. Seinen Deal will Johnson dem Unterhaus erst danach wieder vorlegen.
Das letzte Mal, dass in Großbritannien eine Parlamentswahl im Dezember stattfand, war vor fast hundert Jahren: 1923. Manche Beobachter in britischen Medien erwarten sich deshalb eine auch wetterbedingt niedrigere Beteiligung als zu anderen Jahreszeiten. Andere warnen, dass traditionell als Wahllokale genutzte Veranstaltungsräume bereits mit Weihnachtsfeiern ausgebucht sein könnten. Eine Sprecherin der Association of Electoral Administrators bestätigte das der BBC, meinte aber, Wahlberechtigte könnten in jedem Fall ihre Stimme abgeben - wenn auch möglicherweise an anderen als den gewohnten Orten.
Liberaldemokraten und schottische Separatisten erwarten Zuwachs
Die Liberaldemokraten, für die bei der letzten Unterhauswahl 2017 lediglich 7,4 Prozent der Wähler stimmten, dürfen (anders als die Labour Party) anhand ihrer Umfragewerte von 15 bis 19 Prozent mit einem Mandatszuwachs rechnen. Die Scottish National Party erwartet ebenfalls Gewinne, die in ihrem Fall auf Kosten der Tories gehen könnten. Auch deshalb, weil diese im Streit um den Brexit-Kurs gerade ihre dortige Regionalvorsitzende verloren.
Zehn der 21 im Streit um die gesetzliche Verlängerungsverpflichtung aus der Konservativen Partei ausgeschlossenen Tories wurden gestern wieder aufgenommen: Alistair Burt, Caroline Nokes, Greg Clark, Sir Nicholas Soames, Ed Vaizey, Margot James, Richard Benyon, Stephen Hammond, Steve Brine und Richard Harrington.
Sie dürfen deshalb bei der vorgezogenen Neuwahl in ihren Wahlkreisen als Tories kandidieren, wenn sie das möchten. Zwei davon - Burt und Soames - haben aber bereits verlautbart, dass sie sich lieber zur Ruhe setzen. Elf weiteren Ex-Tories - darunter die ehemaligen Finanzminister Ken Clarke und Philip Hammond sowie Ex-Justizminister David Gauke - verweigert Parteichef Johnson bislang eine Wiederaufnahme.
Gewinnt Johnson mit einer dann einheitlicheren Konservativen-Fraktion eine ausreichende Mehrheit, kann er sich seinen Deal von dieser im Dezember oder Januar genehmigen und das Vereinigte Königreich zum 31. Januar aus der EU ausscheiden lassen. Geht die Unterhauswahl trotz der aktuellen Umfragen anders aus, sind auch andere Szenarien denkbar: Etwa ein neues Referendum (das die Liberaldemokraten und die Labour Party fordern) oder erneute Verhandlungen mit der EU.
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