"Brexit liefern, das Land einigen, und Jeremy Corbyn besiegen"
Boris Johnson wird neuer britischer Premierminister
Heute kurz nach 13 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit hat die britische Tory-Partei das Ergebnis der Mitgliederabstimmung über ihren neuen Vorsitzenden bekannt gegeben. Wie erwartet gewann das Rennen Boris Johnson, der den amtierenden Außenminister Jeremy Hunt mit 92.153 zu 64.652 Stimmen besiegte.
Ihm konnte auch die Aufnahme eines lautstarken Beziehungsstreits durch eine Remainer-Nachbarin nichts anhaben, die deshalb sogar die Polizei alarmierte. Vielleicht hat die Affäre um verschütteten Rotwein auf dem cremefarbenen Sofa seiner deutlich jüngeren Freundin Johnson sogar genützt, weil sie ihn menschlicher und seine Gegner puritanischer erscheinen ließ.
In der kurzen und durchaus unterhaltsamen Rede, die der exzentrisch frisierte Urenkel des letzten osmanischen Innenministers nach der Bekanntgabe seines Sieges hielt, dankte er Theresa May und Jermey Hunt, von dem er meinte, sein Rivale habe viele gute Ideen, die er "natürlich alle stehlen" werde. Die drei Ziele, die Johnson nun verwirklichen will, sind seinen Angaben nach: "Den Brexit liefern, das Land einigen, und Jeremy Corbyn besiegen."
Neue Minister
Ob Hunt nun Außenminister bleibt, wird sich zeigen. Boris Johnson verlautbarte bereits während seines Wahlkampfs, dass er in seinem Kabinett keine Minister brauchen kann, die einen so genannten "Hard Brexit" zu WTO-Konditionen im Zweifelsfall verhindern wollen. Etwas später kündigten Justizminister David Gauke , Finanzminister Philip Hammond und Erziehungsministerin Anne Milton ihren freiwilligen Rückzug für den Fall an, dass Johnson den Mitgliederentscheid gewinnen sollte. Andere könnten folgen, wenn Theresa May das Amt des britischen Premierminister an Johnson übergibt.
Als mögliche Nachfolger von Gauke ist der ehemalige Brexit-Minister Dominic Raab im Gespräch, der in der Vorauslese um den Vorsitz einen noch strikteren Brexit-Kurs vertrat als Johnson, aber ausschied. Finanz- oder Außenminister könnte dem Telegraph zufolge ein anderer unter May ausgeschiedener Brexit-Minister werden: David Davis. Ein dritter Name der gehandelt wird, ist der des beliebten und exzentrischen Brexiteers Jacob Rees-Mogg.
Spekulationen über weitere Verlängerung und vorgezogene Neuwahlen
Die aus dem Kabinett ausgeschiedenen Minister bleiben Parlamentsabgeordnete - und einige von ihnen werden dort zusammen mit Remainer-Tories und der Opposition versuchen, gegen den Willen Johnsons ein weiteres Verschieben des Ausstiegstermins zu erzwingen. Medienberichten nach denkt man sogar daran, den Antrag dazu von der britischen Königin stellen zu lassen, falls der Premierminister sich weigert. Ob die greise Monarchin dabei mitmachen würde, lässt sie bislang offen.
Andere Spekulationen gehen in Richtung vorgezogener Neuwahlen, die Johnson mit seinem Verweis auf Jeremy Corbyn angedeutet haben könnte. Sie wären den aktuellen Umfragen nach ein Risiko, könnten dem Premierminister aber eine deutlichere als die aktuell sehr knappe Regierungsmehrheit bescheren, wenn es ihm gelingt, seine Torys als "realistischere" Brexit Party zu präsentieren. Gelingt ihm das nicht, müsste er sich vielleicht auf eine Koalition mit Nigel Farages Brexit Party einlassen, die sogar stärkste Partei werden könnte.
Die Labour Party, bei der das ebenfalls nicht ausgeschlossen ist, hat mit dem Brexit ein ähnliches Problem wie die Tories: In der Metropole London sind ihre Wähler (die dort häufig nicht mehr aus der Arbeiterklasse, sondern aus dem Juste Millieu kommen) mehrheitlich für einen Verbleib in der EU, in Nordengland dagegen für einen Ausstieg. Deshalb könnte die Partei sowohl an die Brexit Party als auch an die Liberaldemokraten verlieren. Die fahren einen strikten Remainer-Kurs und haben seit heute mit Joanne Swinson eine neue Chefin, die diesem Milieu noch deutlich stärker entgegenkommt als ihr Vorgänger Vincent Cable.
Deshalb befindet sich das Vereinigte Königreich aktuell in der ungewöhnlichen Situation, dass nicht nur zwei, sondern vier Parteien eine halbwegs realistische Chance darauf haben, stärkste Partei zu werden. Im britischen First-Past-the-Post-Mehrheitswahlrecht, in dem bei vier relativ starken Parteien auch Stimmenanteile von deutlich unter 50 Prozent für einen Gewinn des Wahlkreises reichen können, haben sie dadurch sogar mit Ergebnissen um die 20 Prozent Chancen auf eine absolute Mehrheit - wenn sie viel Glück haben.
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