Bringt die Wirtschaftskrise einen klimapolitischen Backlash?
In dieser Krise entscheidet sich, ob eine Dekarbonisierung gelingt oder nicht - Ein Kommentar
Die beginnende Rezession wegen der weltweiten Covid-19-Pandemie trifft gerade auch das "fossile Kapital", konkret: die petrochemische Industrie, den Flugverkehr und die Autoindustrie. Gegenwärtig stützen die Regierungen der Industriestaaten diese Sektoren mit Krediten, Beihilfen und - wo das nicht mehr hilft - mit formellen Verstaatlichungen. Ihre "Konjunkturprogramme" und "Rettungsschirme" zielen aber darauf ab, diese Branchen wiederherzustellen - nicht sie abzuwickeln oder umzuwidmen, was aus ökologischen Gründen unabdingbar ist. Kommt der Klimaschutz unter die (SUV-)Räder, verspielen wir unsere letzte Chance, die Erderwärmung unter Kontrolle zu bekommen.
Auch wer seine Vergangenheit kennt, ist unter Umständen dazu verdammt, sie zu wiederholen. Geht es nach dem Willen zahlreicher deutscher Politiker und Lobbyisten kommt eine neue Abwrackprämie. Dies fordern jedenfalls die Hersteller BMW, VW und Daimler, aber auch viele Politiker, besonders solche aus den "Auto-Bundesländern" Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen.
Von "Investitionen in das Konsumverhalten" (VW-Manager Stefan Sommer) und "Innovationsprämien" (BMW-Vorstandsvorsitzender Oliver Zipse) ist die Rede. Stephan Weil (SPD), der niedersächsische Ministerpräsident und Aufsichtsrat bei VW, hält eine Kaufprämie für nötig, um der Industrie ein "Comeback" zu ermöglichen. Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) wiederum meint gegenüber der FAZ: "Den modernen Verbrennungsmotor jetzt ganz auszuklammern, hieße, bestehende Strukturen und Arbeitsplätze massiv zu gefährden."
Die Christdemokraten regieren in dem Bundesland übrigens zusammen mit den Grünen, die offenbar auch an den "bestehenden Strukturen und Arbeitsplätzen" nicht rühren wollen. Die Ministerin Hoffmeister-Kraut fordert sogar, die Strafzahlungen der Hersteller an die EU auszusetzen, die sie bezahlen müssen, weil sie die sogenannten CO2-Flottengrenzwerte nicht eingehalten haben. Sonst könne die Industrie in Zahlungsschwierigkeiten geraten.
Erinnern wir uns: Knapp zwei Millionen Neuwagen wurden in den Jahren 2009 und 2010 mit staatlichen Geldern bezuschusst, um der darbenden Automobilindustrie aus der Finanzkrise zu helfen. Schon damals wurde die Subventionierung ökologisch verbrämt und "Umweltprämie" genannt. Nun spricht Stephan Weil von einer "Öko-Abwrackprämie", weil durch sie neue - und damit angeblich emissionsärmere - Autos auf die Straße kämen. Wie das gewährleistet werden soll, ist allerdings unklar.
Nach der Finanzkrise 2008 gab es pro Neukauf 2500 Euro vom Staat, insgesamt fünf Milliarden Euro. Gefördert wurde mit der vermeintlichen Umweltprämie allerdings alles, was vier Räder hatte und neu war - völlig unabhängig von den Treibhausgas-Emissionen des Fahrzeugs oder den Emissionen, die bei seiner Herstellung angefallen waren. Weil Neuwagen bis heute deutlich schwerer und mit stärkeren Motoren ausgestattet sind, wurden durch den Verkehr in Deutschland bis zum Jahr 2016 sogar mehr Treibhausgase ausgestoßen. So führte die Abwrackprämie zu einer enormen Ressourcenverschwendung - mit Steuergeldern geförderte Obsolenz, ein ökologisch-ökonomischer Irrsinn sondergleichen.
Entscheidende Weichenstellungen
Gut möglich, dass nun dieselben Strategien zur Überwindung der Krise wieder angewandt werden. Um die Wirtschaft anzukurbeln, müssen nun einmal Schornsteine und Auspuffe rauchen. Immer noch hängen Wirtschaftswachstum einerseits und Ressourcenverbrauch und THG-Emissionen andererseits eng zusammen. Aus der CDU kommen bereits Forderungen, die europäischen Klimaziele zeitlich zu strecken. Auch Polen und Tschechien machen sich dafür stark und sägen am (ohnehin wenig ambitionierten) Investitionsprogramm "Green Deal", durch das die EU klimaneutral werden soll.
Je länger die Krise andauert, je größer die Arbeitslosigkeit wird, umso lauter werden die Stimmen, die argumentieren, "dass wir uns Klimaschutz jetzt nicht leisten können". Das allerdings wäre buchstäblich fatal. Gegenwärtig befindet sich die Menschheit auf einem katastrophalen Entwicklungspfad in Richtung von 3 Grad Celsius mehr (im Vergleich zum vorindustriellen Niveau) oder noch mehr.
Um die Erderwärmung entsprechend des Abkommens von Paris auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, müssten die Emissionen sogar noch stärker sinken, als es gegenwärtig wegen der Corona-Pandemie der Fall ist - und zwar dauerhaft! Gelingt es nicht, die Erwärmung zu begrenzen, steht uns der Kollaps ganzer Öko - und Agrarsysteme bevor, steigende Nahrungsmittelpreise, riesige Fluchtbewegungen, mittelfristig ein Abgleiten in Krieg und Barbarei.
Anders gesagt: Investitionsprogramme wie etwa das chinesische nach der Finanzkrise 2008, das auf fossile Energien setzte, können uns höchstens noch ein paar Jahre Schein-Normalität verschaffen. Spätestens dann werden die katastrophalen Folgen der atmosphärischen Erwärmung auch auf das Wirtschaftswachstum, den Weltmarkt und das Staatensystem durchschlagen.
Allerdings ist der diplomatische Prozess für internationale Klimaabkommen praktisch zum Erliegen gekommen. Nationalstaatliche Konkurrenz statt internationaler Zusammenarbeit, das gilt für die Klimakrise ebenso wie für die Coronavirus-Pandemie. Das eigentlich geplante Treffen von Glasgow wurde wegen der Pandemie um ein Jahr verschoben. Das erspart den Teilnehmern aber lediglich die Peinlichkeit, der Welt den nächsten bedeutungslosen Formelkompromiss zu präsentieren. Kein einziges Land unter den wichtigen THG-Verursachern hat bisher auch nur einen neuen Verhandlungsvorschlag unterbreitet. Und gegenwärtig können nicht einmal Klimabewegungen wie Fridays for Future ihren Protest auf die Straße tragen.
Schon wieder "Sozialismus für die Reichen"?
Die Coronavirus-Pandemie hat das Abrutschen einer bereits erlahmenden Weltwirtschaft beschleunigt. Wird sie sich wieder erholen, wenn der Virus unter Kontrolle ist oder steht uns eine lange Depressionsphase bevor? Tatsächlich hat die Krise die Automobilindustrie hart getroffen, der Absatz ist im März im Vergleich zum Vorjahresmonat fast um die Hälfte eingebrochen. Noch schlimmer geht es der Luftfahrt und Reisebranche insgesamt.
Die drohende Pleitewelle führt dazu, dass immer mehr Fluggesellschaften staatlich gefördert oder übernommen werden. Die USA bringen ein Rettungspaket in Höhe von 23 Milliarden Euro auf den Weg. Die Vereinigten Staaten stützen im Rahmen der Coronavirus Aid, Relief, and Economic Security-Gesetze (CARES) fossile Industrie angeblich mit insgesamt 433 Milliarden Euro. Wo Beihilfen und Kredite nichts mehr nutzen, kommen die Firmen in staatlichen Besitz. So etwa die Allitalia, in Deutschland könnten Condor und sogar die Lufthansa die nächsten sein. Der angekündigte Wirtschaftsstabilisierungsfonds soll ausdrücklich Fluggesellschaften und Reiseveranstalter zugutekommen.
In Norwegen und Australien gibt es dieselbe Tendenz. Die bislang angekündigten Konjunkturmaßnahmen der diversen Staaten stellen die Zusagen während der Finanzkrise 2008 weit in den Schatten. Wir stehen vor einem beispiellosen staatlichen Eingriff "in die Märkte". Bundesfinanzminister Olaf Scholz betont, dass das staatliche Engagement nur vorübergehend sei. Überhaupt will man sich aus den Geschäftsentscheidungen heraushalten.
Nach der Abwrackprämie das nächste Déjà-vu, der nächste Flashback zurück zur Finanzkrise: Der Staat übernimmt Unternehmen in sein Eigentum, aber verzichtet darauf, den Managern und Kapitaleignern Vorschriften zu machen. Diese müssen weder das unternehmerische Risiko tragen (zu dem das Scheitern am Markt nun einmal gehört), noch die Verantwortung für die gesellschaftlichen Folgen ihre Geschäfte, die nur als "Externalität" auftauchen.
Tatsächlich schütten einige Unternehmen, die ohne Staatsgelder möglicherweise bereits pleite wären, immer noch Dividenden aus - wie nach der Finanzkrise 2008 ein "Sozialismus für die Reichen", auf den dann bekanntlich "Sparprogramme für die Armen" folgte.
Ein bescheidener Vorschlag
Dabei wäre die Gelegenheit eigentlich günstig, den kränkelnden fossilen Industrien Sterbehilfe zu leisten. Dazu wäre vielleicht nicht einmal eine - Achtung Trigger! - Enteignung nötig. Es genügt, die staatliche "Rettung" an klare Bedingungen zu knüpfen. Danach können die vorhandenen produktiven Kapazitäten in der Industrie für ökologisch und ökonomisch und sozial Sinnvolles verwendet werden, beispielsweise für den Ausbau eines emissionsarmen Schienenverkehrs, den öffentlichen Nahverkehr, für Gebäudesanierungen und Netze und Anlagen für erneuerbare Energie. Wo eine solche Konversion aber nicht möglich ist, müssen die Industrien abgewickelt werden.
Immerhin müssten wir so die Beschäftigten dann nicht einer chaotischen Pleitewelle überlassen, in der sie ihre Arbeit verlieren, sondern die Freisetzungen könnten begrenzt und gesteuert werden. Wo sie unvermeidlich ist, könnte wenigstens eine Umschulung der Beschäftigten organisiert werden.
In Krisenzeiten entscheidet sich, wie es weiter geht, das ist eine Binsenweisheit. Selbst die Weltbank fordert, bei den Investitionen das Ziel der Dekarbonisierung nicht aus dem Blick zu verlieren. Auch die Bundesrepublik Deutschland wird voraussichtlich nicht länger um Infrastruktur-Investitionen herumkommen, um die Wirtschaft einigermaßen zu stabilisieren. Werden dann Autobahnen oder Eisenbahngeleise gebaut? Wird eine staatseigene Lufthansa weiterhin Wochendtrips in europäische Städte für 99 Euro anbieten?
In dieser Krise entscheidet sich, ob eine Dekarbonisierung gelingt oder nicht, und damit, so pathetisch es klingt, das Schicksal der Menschheit.
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