Britische Richtlinien zur korrekten Berichterstattung über Verkehrsunfälle

Bild: Charles Edward Miller/CC BY-SA-2.0

Beachtet werden soll für die verkehrspolitische Korrektheit, dass im Verkehr immer Menschen beteiligt oder verantwortlich sind, obgleich erste autonome oder mit Autopiloten ausgestattete Fahrzeuge schon auf den Straßen fahren

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In Deutschland gilt für Medien und Journalisten der Pressekodex des Presserats, der ethische Richtlinien der Berichterstattung festlegt. Beispielsweise zum Opferschutz, zur Unschuldsvermutung oder zur Achtung der Menschenwürde. Umstritten war beispielsweise seitens der Migrationsgegner das Diskriminierungsverbot, das im März 2017 verändert wurde: Die Zugehörigkeit von Verdächtigen und Tätern zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten soll jetzt nicht mehr nur bei einem "begründbaren Sachbezug", sondern abgeschwächt nur noch "in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte."

Die "Richtlinie 11.3 - Unglücksfälle und Katastrophen" ist knapp:

Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.

Hier ist nur von den Opfern die Rede. In Großbritannien hat nun die Active Travel Academy zusammen mit Verkehrs-, Rechts- und Medienexperten sowie dem Ethikrat des Nationalen Journalsitikverbandes, Vertretern von RoadPeace und Cycling UK einen Entwurf von Richtlinien für die Berichterstattung über Verkehrsunfälle vorgelegt. Man könnte von verkehrspolitischer Korrektheit sprechen, die eingefordert wird, um die Sicherheit auf den Straßen zu fördern. Es würde Richtlinien für die Berichterstattung über Selbstmorde, Kinder und Flüchtlinge geben, aber nicht für Verkehrsunfälle, weswegen man diese Lücke schließen will.

Das deutsche Wort "Unfall" führt danach auch in die Irre, hat es doch auch Nähe zum englischen "Accident", was wiederum mit Zufall, Versehen oder Missgeschick konnotiert ist. Unfall ist ebenso ethymologisch mit Unglück, Missgeschick oder einem unverantwortbaren Ereignis verknüpft. In den Richtlinien wird hingegen verlangt, nicht von "Acccident", sondern von "Collision" oder "Crash" zu sprechen, also eher von Zusammenstoß, Aufprall oder eben Kollision.

Hinter einem Unfall steht immer ein Mensch

Hintergrund ist, dass erinnert werden soll, dass hinter einem Verkehrsunfall immer ein Mensch steht, der ein Fahrzeug gefahren hat und für eine Kollision verantwortlich ist. Zitiert wird ein Straßenpolizeichef, nachdem nur sehr wenige Unfälle wirklich Unfälle seien: "Alle Verkehrszusammenstöße beinhalten eine Art von Fehleinschätzung, Irrtum oder direkt gefährlicher Aktion von einem oder mehreren Fahrern bei einem Zusammenstoß." Wenn man hingegen von einem Unfall berichtet, würde man suggerieren, es handele sich um ein unvermeidbares Ereignis. Journalisten sollten aber nicht über die Ursache eines Ereignisses spekulieren.

Publizisten, so heißt es weiter, müssten immer im Gedächtnis behalten, "dass jeder, der eine Straße benutzt, ein Mensch ist". Das müsse bei einer Berichterstattung über Verkehrskollisionen einfließen. Verkehrsopfer seien vor allem Menschen, keiner sei mehr wert als andere. Die Medienberichterstattung über Verkehrskollisionen habe nämlich die Möglichkeit "zu beeinflussen, wie Menschen ihre Verantwortung und die anderer Straßenbenutzer bei alltäglichen Fahrten sehen, und zu gestalten, wie sehr Autofahrer aufeinander und auf die verletztlichsten Straßenbenutzer achtgeben."

Gefährliches Verhalten oder Übertreten der Regeln, beispielsweise Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit, dürften nicht als akzeptabel geschildert oder die Folgen verharmlost werden. Stets müsse die Anwesenheit von menschlichen Akteuren erwähnt werden. Man dürfe nicht schreiben, ein Fußgänger sei verletzt worden, sondern ein Fahrer/Fahrzeug habe einen Fußgänger angefahren. Wenn nicht begründbar erforderlich dürfe auch nicht Schutzkleidung etwa von Fahrradfahrern wie Helme oder reflektierende Kleidung erwähnt werden. Das sei nicht vorgeschrieben und würde auch nicht vor Kollisionen schützen.

Verkehrsteilnehmer dürften auch nicht diskriminiert oder "dehumanisiert" werden. Als Beispiel dienen Fahrradfahrer. Deren "Dehumanisierung" gehe einher mit verstärktem antisozialem Verhalten und Aggression, während die Fahrradfahrer, die sich "dehumanisiert" wahrnehmen, ihrerseits aggressiver werden können. Allein schon das englische Wort "Cyclist" können negative Assoziationen hervorrufen. Man soll wenn möglich "jemanden auf einem Fahrrad als Mensch" beschreiben, was im Deutschen der Fall wäre.

Dehumanisierung und autonome Fahrzeuge

Man hätte natürlich auch davon sprechen, dass nicht nur Menschen, sondern auch Tiere zu Opfern von Verkehrskollisionen werden können. Aber viel erstaunlicher ist eigentlich, dass diese Richtlinien zu einer Zeit formuliert werden, in der bereits die ersten autonomen Fahrzeuge oder solche mit Autopiloten auf den Straßen unterwegs sind und in Zukunft mehr und mehr des automobilen Straßenverkehrs bestimmen werden. Autonome Fahrzeuge werden nur einmal erwähnt, nämlich dass es wichtig sei, einen menschlichen Fahrer zu erwähnen, der handelt oder reagiert, wenn es sich nicht um ein "fahrerloses Fahrzeug oder ein solches handelt, bei dem beispielsweise die Handbremse versagt, wenn es auch einem Hügel geparkt wurde", denn "Fahrzeuge können ohne einen Fahrer nicht von einem Unfallort fliehen, sich überschlagen oder beschleunigen".

Wie aber sollen Journalisten über Unfälle berichten, an denen autonome Fahrzeuge oder solche mit Autopilot beteiligt sind? Jetzt sind noch juristisch die Fahrer verantwortlich, auch wenn die KI im System - bei Tesla "Full Self Driving"-System - das Fahren steuert und Entscheidungen trifft. Immerhin ist dann noch ein Fahrer da, der die Kontrolle nicht schnell genug übernommen oder sich fahrlässig verhalten hat.

Insofern wurde beispielsweise über eine Kollision, bei der der Autopilot ein stehendes Fahrzeug nicht bemerkt hatte, korrekt berichtet: "Autopilot-Tesla crasht wieder ein Polizeiauto … Der Tesla-Fahrer hatte nach eigener Aussage das Autopilot-Assistenzsystem seines Teslas aktiviert - um während der Fahrt ungestört einen Film auf seinem Smartphone anzuschauen." Aber der Artikel zeigt die Ambivalenz. Zwar ist der Fahrer verantwortlich, aber der Autopilot hat den Crash verursacht.

Irgendwann demnächst werden autonome Fahrzeuge auf den Straßen sein, die nicht hundertprozentig sicher sind und Unfälle durch Übersehen (auch eine Form der maschinellen Unaufmerksamkeit), falschen Entscheidungen oder Reaktionen, Fehler, Pannen oder Ausfallen des Programms verursachen. Dabei müssen nicht Menschen zum Opfer werden, es könnten auch autonome Fahrzeuge ohne Passagiere, beispielsweise LKWs, aufeinanderprallen. Seltsam, dass die Autoren der Richtlinien nicht auf die erwartbare Zukunft eingehen. Schließlich bringt auch die Berichterstattung über durch autonome Fahrzeuge verursachte Crashs Fragen mit sich, da nun Fahrzeuge auch ohne einen Fahrer von einem Unfallort fliehen, sich überschlagen oder beschleunigen können.

Sind die Passagiere bzw. der Fahrzeughalter verantwortlich? Wer muss genannt werden? Ist es der Hersteller? Oder diejenigen, die das Kontrollsystem programmiert haben? Produzenten oder Vertreiber eines Updates? Und wenn es sich um lernfähige Systeme handelt: Kann der Hersteller/Programmierer noch ganz für unvorgesehene/unvorhersehbare Veränderungen in der Black Box verantwortlich gemacht werden? Und was ist mit den Opfern von autonomen Fahrzeugen? Werden die auf den Straßen Verletzten und Getöteten dehumanisiert, wenn kein Mensch mehr hinter dem Steuerrad sitzt und sie Opfer einer wie auch immer smarten oder intelligenten Maschine werden? Und wird die Akzeptanz von Kollisionen, die von autonomen Fahrzeugen verursacht werden, die Hinnahme der Verkehrsgefahren und vielleicht vom sorgenlosen und gefährlichen Fahren von Maschinen fortsetzen? Oder soll man dann doch wieder von Unfall (Accident) sprechen?