Bündnisgrüne am langen Marsch in die digitale Zukunft
Das Grundsatzprogramm "Grün 2020", das am kommenden Parteitag diskutiert werden soll, lässt medienpolitisch noch zu wünschen übrig
Auf dem kommenden Parteitag sollten die Grünen eigentlich ihr kommendes Grundsatzprogramm diskutieren. Das Internet spielt im Rahmen des grünen "Aufbruchs in die Wissensgesellschaft" zwar eine zentrale Rolle, doch welche genau ist noch nicht ganz abzusehen. Zentrale Stichworte wie "Open Source" tauchen im Grundsatzprogramm nicht auf - also handelt es sich vielleicht eher um ein Update ihrer Bildungskonzepte aus den Sechzigern?
Immerhin, der Entwurf des Grundsatzprogramms der Grünen trägt den visionären Titel "Grün 2020" und scheint die Zukunft der Partei fest zu beschwören, auch wenn sich eigentlich alle außerhalb der Partei auf ihren Untergang spätestens zur kommenden Wahl 2002 geeinigt haben. Ob man mit den Grünen aber vielleicht doch einfach nur eine kontroverse Partei hat oder eine untergehende - das ist noch die offene Frage. Allgemein scheint als übereinstimmende Tendenz in der Parteienkultur immer deutlicher, dass Streit und Kontroversen nicht mehr zwischen Parteien ausgetragen werden, sondern innerhalb der Parteien - auch die CDU ist dafür ja ein gutes Beispiel.
Doch im "Workshop: Medien - Informations- und Kommunikationspolitik in 'GRÜN 2020'", den die grüne Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem grünen-nahen Netzwerk Neue Medien letzte Woche veranstaltete, stand weniger die Kriegstaktik der Partei im Vordergrund, sondern die Position der Grünen in Fragen der Medien - der neuen, alten, großen, kleinen, öffentlich-rechtlichen und digitalen Medien.
Mehrere Experten hatte man geladen, sich konkret zu den 11 Seiten "Aufbruch in die Wissensgesellschaft" des Grundsatzprogramms zu äußern, das derzeit noch als Entwurf vorliegt und auf dem kommenden Parteitag verhandelt werden soll - auch wenn anzunehmen ist, dass die Tagesordnung auf Grund aktuellerer Problematik von dem Für und Wider des Bundeswehreinsatzes und der Koalitionsfrage beherrscht werden wird.
Die Grünen und das Netz
In der Tat verfolgt eine kleine, aber fleißige Gruppe um Böll-Stiftungs-Mitglied Olga Drossou, der medienpolitischen Sprecherin Gretje Bettin, Niombo Lomba als Mitglied des Bundesvorstands und dem Netzwerk Neue Medien schon seit einiger Zeit fleißig das Thema Internet, veranstaltete Symposien zum Urheberrecht ("Wem gehört das Wissen?") oder zur Wissensgesellschaft. Gerade wegen dieser Aktivitäten erwartet man von den Grünen, sich der Problematiken um Open Source und dem Urheberrecht offensiv anzunehmen und eine Alternative zur herkömmlichen, den kommerziellen Interessen untergeordneten Rechtspolitik zu formulieren. Doch Pustekuchen.
Erschreckender Weise erscheint es nicht so, als hätte die Redaktion des Grundsatzprogramms für ihren Abschnitt "Aufbruch in die Wissensgesellschaft" ihren eigenen Fachleuten zugehört. Zentrale Stichworte wie "Open Source" tauchen nicht auf, überhaupt liest sich der Entwurf nicht wie ein "Aufbruch in die Wissensgesellschaft", sondern wie ein Update von Bildungskonzepten aus den Sechzigern.
Bildung, das ist die grundlegende Perspektive, die die Grünen gewählt haben, um sich dem Internet zu nähern. Das ist wenig verständlich. Erstens ist dieses Feld durch die Kampagne "Schulen ans Netz" schon dick von der roten Tante SPD und ihrer befreundeten Privatwirtschaftsinitiative "D21" besetzt. Zweitens ist zwar Wissen durch die digitale Technologie zum zentralen Produktionsfaktor geworden, doch dieses Wissen wird - gerade wenn es um neue Technologien geht - vor allem außerhalb der herkömmlichen Bildungseinrichtungen erworben, das hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als deutlich gezeigt.
Bildung für alle, Schulen ans Netz - das Betonen gerechter Bildungschancen ist ein ernstzunehmendes Anliegen, das nicht aus den Augen verloren werden sollte. Doch es ist nur ein Punkt und ein wenig visionärer, wenn bedeutend dringendere wirtschaftliche und technologische Positionen politisch zu verhandeln sind. Eine Politik, die den Kopf vor diesen Problemen in den Sand steckt und am althergebrachten Bildungskonzept festhält, zielt notgedrungen an der Realität vorbei, bevor es überhaupt 2020 geworden ist.
Die Kritik der Experten
Der Fokus des Grundsatzprogrammes auf Ausbildung, Weiterbildung, Erstausbildung, Zweitstudium, Bildungsbiografie, Bildungseinrichtung, Bildungsreform, Bildungspolitik, Bildungsrenaissance und noch andere zusammengesetzte Worte mit Bildung könnte in eine Sackgasse führen, denn die zentrale Orientierung auf Bildung verengt den offenen Begriff der Wissensgesellschaft. Überlegungen zur klassischen Mediendemokratie fielen völlig unter den Grundsatztisch, wie im Workshob denn auch die Experten Hans Kleinsteuber und Brigitte Witzer bemängelten. Auch die Experten für Neue Medien - Professor Kuhlen von der Universität Konstanz und Professor Capurro von der Fachhochschule in Stuttgart - mahnten bei grundsätzlicher Zustimmung zum Programm an, dass technische und ökonomische Rahmenbedingungen im Grundsatzprogramm durch ihre Abwesenheit glänzen.
Vor allem Kuhlen erwähnte lobend, dass der Aufbruch in die Wissensgesellschaft auch ein Aufbruch für die Grüne Partei ist, die sich damit auch jenseits ihrer klassischen Umweltthemen positioniert. Er kritisierte jedoch, dass dieser Schritt ausgerechnet in der Präambel des Grundsatzprogramms nicht sichtbar wird. Dort wird Grünes Denken zentral an die Themen Umweltschutz und Menschenrechte geknüpft, anstelle auf der Basis des Begriffs "Ökologie" eine allgemeine Position und Haltung zu formulieren. Kuhlen schlug deshalb vor, hier den Begriff der "Ökologie" zu erweitern und im Sinne seiner eigentlichen griechischen Bedeutung "oikos" - gleich Haus - offen als das zu verstehen, was uns umgibt. Ökologie wäre damit die Gestaltung der Beziehung der Lebewesen zu ihrer Umwelt und könnte unkompliziert vom Umweltschutz auf die Probleme der Globalisierung bis hin zum elektronischen Raum ausgeweitet werden.
Eine Politik der Technik?
Ob jedoch wirklich schon alle Grünen so weit sind, ist noch die Frage. Zwar haben die Grünen im Gegensatz zur FDP, deren Parteiprogramm immer noch das Globale Dorf beschwört, erkannt, dass das Internet die Welt "mitnichten in ein einziges 'Global village'" vereint, "das alle mit allen vernetzt". Dabei schleicht sich unterschwellig jedoch genau die Technologiefeindlichkeit in die Metaphorik des Entwurfes ein, die man bei Linken vermutet, seitdem die Frankfurter Schule Technik und Technologie negativ als Herrschaftstechnik verstanden hat: Auch bei dem Grünen Grundsatzprogramm ist abwertend von "informationstechnisch hochgerüsteten Gesellschaften" die Rede.
Ab und zu klappt das mit den Metaphern eben noch nicht so ganz. Im Eingangstext formuliert man noch zeitverloren Technologie als "herausragende Bedeutung für die Entwicklung der Volkswirtschaft" und spricht nicht neutraler und zeitgemäßer von "Ökonomie". Auch der feministische Einschlag des Programms klingt eher als spräche man über die Planung von Kaninchen: "Insbesondere Frauen sollen motivert und qualifiziert werden, die Möglichkeiten der neuen Technologie zu nutzen."
So löblich die sowieso notwendige Ausrichtung und Öffnung gen Digitalisierung auch ist - allgemeines Unverständnis erntete bei den meisten eingeladenen Experten die Entscheidung, auf das prominente Schlagwort "Open Source" zu verzichten. Nicht nur, dass von den Grünen eine klares Statement zu "Open Source" erwartet wird. Wiedermal verschenkt die Partei die Besetzung eines Begriffs, der ihnen dankbar von der PDS vor der Nase weggeschnappt werden wird. Die Partei verbaut sich damit nicht nur eine medienwirksame Signalwirkung, sondern verspielt auch ihre Möglichkeit, mit anderen Verbänden zusammen eine Task Force bilden zu können - von Mitglied des ICANN-Direktoriums Andy Müller-Maguhn über dessen alter Heimat Chaos Computer Club bis zur Open Source Community.
Falls die Grünen am kommenden Parteitag überhaupt Zeit finden werden, ihr Grundsatzprogramm zu diskutieren, bleibt zu hoffen, dass sie ihre bisher eng gefasste Programmatik korrigieren, zu einem offeneren Ansatz als den einer Ökologie-Parei finden und linker Technikpolitik einen gebührenden Platz auch jenseits der Bildung einräumen. Es wäre höchste Zeit. "Grün 2020 - Wir denken bis übermorgen!". Das bleibt zu hoffen.