Bürgerliche Beißreflexe gegen den Mietendeckel in Berlin
Die "Mainstream-Presse" als Advokat der Besserverdienenden und der Konzerne
Jahrelang gab es keinen Gesetzentwurf mehr, für den sich die linksgerichteten, sozial- und kapitalismuskritischen Bürger mal so richtig begeistern konnten. Die Mietpreisbremse etwa hätte so ein Thema sein können, hat den Anstieg der Mieten seit 2015 aber dann nur geringfügig abgebremst.
Nun kommt ein Vorschlag von einer rot-rot-grünen Landesregierung, genauer von der Berliner Senatorin für Stadtentwicklung Katrin Lompscher von der Linkspartei. Ein Vorschlag, der endlich klare Kante zeigt gegen Mietspekulanten, Immobilienkonzerne und Renditedenken. Und prompt bricht ein Kampfgeschrei los und auf die politischen Akteure nieder, die es gewagt haben, den fast heiligen "freien Markt" antasten zu wollen und ihn in seine Schranken zu weisen.
Ein Teil dieser Kritiker hatte zuvor kritisiert, die Mietpreisbremse sei nicht wirkungsvoll. Wenn dann aber ausnahmsweise wirkungsvolle Politik in Aussicht gestellt wird, dann steht die Front wie eine kaum überwindbare Mauer zwischen dem möglichen besseren Leben für die Bevölkerung und der marktkonformen Realpolitik eines durch Wirtschaftslobbyisten durchsetzten Politikbetriebs.
Der nun geleakte Gesetzesentwurf sieht im Prinzip vor, die Mieten in Berlin auch für bestehende Mietverhältnisse fest zu deckeln. Und zwar geordnet nach dem Baujahr der Gebäude. Mehr als rund 8 Euro pro Quadratmeter netto für schöne Altbauten soll kein Vermieter kassieren dürfen, egal in welchen Gebäuden, egal in welchem Stadtteil. In anderen Gebäuden soll es maximal deutlich weniger sein. Dies ist eine sensationelle (angekündigte) Maßnahme, um endlich der Segregation, also der sozialräumlichen Trennung von armen und reichen Menschen entgegenzuwirken - Stichwort Gentrifizierung. Damit gibt die Politik den Forderungen aus der Zivilgesellschaft nach bezahlbaren Mieten ein Stück weit statt. Bravo, kann man da als Mieter in Berlin nur rufen!
Zu diesem Anlass wollen wir doch mal schauen, was die deutsche Mainstreampresse zum geleakten ersten Gesetzentwurf für einen Mietendeckel im Stadtstaat Berlin so denkt:
Die Faz (online) titelt:
"Berlins rot-rot-grüner Bürgerschreck"
Mit der Überschrift zeigt sich die FAZ aufgeklärt und der Tatsache bewusst, dass die Vorschläge für den Mietendeckel einen kleinen "Kulturkampf" verursachen. Die marktkonforme Zeitung findet natürlich: "Durchdacht ist das nicht." Man hat vor allem Verständnis für die Investoren, die "verschreckt" würden, weil von Vermietern dann das Geld für Handwerkerrechnungen nicht mehr aufgebracht werden könne.
Kein Wort in der FAZ natürlich von den derzeit phänomenalen Immobilien-Renditen, die durch die geplanten Maßnahmen einfach nur auf ein gesundes Normalmaß gestutzt würden. Man hat natürlich kein Ohr für geschundene, ausgebeutete und verdrängte Mieter, sondern vor allem für Konzerne wie Vonovia, die "empfindlich getroffen" worden seien durch solche Hiobsbotschaften - auch durch die überfällige Enteignungsdiskussion in Berlin.
"Mit dem Schutz des Eigentums hat das nicht mehr zu tun", meint der Kommentator von Faz-Online. Er holt schon mal den Holzhammer "DDR" hervor; dort habe das ja auch schon nicht geklappt. Was er nicht sagt: In der DDR waren es viel zu niedrige 50 Pfennige pro Quadratmeter, die im Gegensatz zu 8 Euro nicht annähernd kostendeckend waren.
Noch deutlicher in diesem Zusammenhang wird der frühere Springer- (jetzt Funke Mediengruppe) Scharfmacher "Berliner Morgenpost":
"Mietendeckel: Die DDR zeigt, wohin Mietpreisbindung führt"
Und weiter: "Der Historiker Hubertus Knabe erinnert an die Folgen der Mietpreisbindung in der DDR. Die eingefrorenen Mieten wurden zum Problem." Kein Wort auch hier davon, dass die Mieten der DDR um ein Vielfaches niedriger waren, als der Linken-Vorschlag für Berlin jetzt beinhaltet. Rund 70 Mark warm für eine 60m²-Wohnung waren es in der DDR. Das hat nichts mit dem aktuellen Vorschlag zu tun!
Die Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" titelt:
"Vermieter empört über Mietendeckel-Entwurf - Immobilien-Branche spricht von Enteignung"
Das Handelsblatt berichtet recht sachlich über die Aufregung von Seiten der Wirtschaft und den neoliberalen Akteuren als Reaktion auf den Entwurf. Man hat offenbar Mitleid mit den Wohn-Konzernen, die nun Aktienverluste hinnehmen müssen. Man verweist auch darauf, dass der Gesetzentwurf über die Forderungen des Berliner Mietervereins hinausginge. Man zitiert allerlei Scharfmacher, die sich über die vermeintliche Aushebelung des Marktes erzürnen. Außerdem zeigt man sich erleichtert, dass von einigen Personen der SPD und der Grünen in Berlin Kritik am Gesetzentwurf geäußert wurde, die darauf hindeutet, dass die beiden weniger roten Koalitionspartner dem Gesetz die klare Richtung nehmen werden.
Und dann ist da die Tageszeitung "Die Welt", das Qualitätserzeugnis aus dem Hause Springer, das natürlich mit dem erwartbaren Beißreflex in der Überschrift auf solch vermeintlich sozialistische Umtriebe reagiert:
"Sogar die Genossen wundern sich über die 'Enteignungsfantasien'"
Die Welt gibt zu, dass es das Problem überhöhter und zu stark steigender Mieten gebe. Man zitiert dann aber vor allem über weite Passagen die Meinung von konservativen Politikern und Wohnungskonzernen wie Vonovia, deren Aktienkurse seit Konkreterwerden des Mietendeckels gesunken seien. Solche Konzerne drohten natürlich nun damit, Investitionen nach Berlin zurückzustellen oder auszusetzen.
Dann zitiert die Welt auch den alten Bekannten der Springerpresse: den "CDU-Wirtschaftsrat", einen ultra-neoliberalen Flügel der Christdemokraten (der in der Vergangenheit etwa durch die peinliche und ahistorische Forderung negativ aufgefallen war, alle Karl-Marx-Straßen in Deutschland umzubenennen). Der "Wirtschaftsrat" findet, die Pläne der Linkspartei seien "Enteignungsphantasien". Immerhin kritisiert die Welt den Wirtschaftsrat für seine falsche Behauptung, die rot-rot-grüne Stadtregierung habe beim Neubau von Wohnungen versagt.
Dann zitiert die Welt noch diverse Experten, die meinen, die Wohnungen würden "verkommen", wenn die Rendite in Folge des Mietendeckels sinke - und den SPD-Politiker Klaus Mindrup, der Verständnis für überhöhte Mieten äußert, da die Kosten für Personal und Instandhaltung gestiegen seien. Er sollte aber auch im Hinterkopf behalten, dass die Nettokaltmieten in den 1990er Jahren überwiegend nur die Hälfte dessen betrugen, was beim Mietendeckel als Maximalmiete vorgeschlagen wird!
Spiegel Online versucht ernsthaft argumentativ nachzuweisen, weshalb gerade ein Gesetz unsozial sein soll, das nach vielen Jahren eine große Ausnahme von echter Sozialpolitik darstellt (vielleicht das erste echte soziale Gesetz seit der Wiederabschaffung der Studiengebühren vor knapp 10 Jahren):
"Warum der Berliner Mietendeckel ungerecht ist"
Immerhin gibt auch Spiegel Online zu, dass es ein Problem mit überhöhten Mieten gibt. Man meint aber, die einzig sinnvolle Lösung ("kluge Politik") sei die Politik der Mietpreisbremse und des Neubaus von Wohnungen. Damit übernimmt man das CDU-Mantra, nur Neubau löse die aktuellen Probleme. Die Erhöhung des Angebots, welche eine Senkung des Mietpreises zur Folge habe, ist das Schlüsselwort für diese marktwirtschaftliche Argumentation. Davon, dass die Mieten weiter durch die Decke gehen, bis es vielleicht irgendwann soweit ist, spricht man nicht.
Der Spiegel argumentiert zum einen, wohlhabende Mieter in reichen Stadtteilen wie Charlottenburg würden nun entlastet und dies sei unsozial. Aber es bedeutet vor allem auch: Arme Leute könnten ab jetzt nach Charlottenburg ziehen! Und das ist doch wunderbar, denn ein bereits vollständig gentrifizierter Stadtteil wird so langfristig wieder sozial durchmischt. So können wieder Arbeiter, Menschen des Dienstleistungsprekariats oder arme Rentner zurückkehren. Was ist daran unsozial?
Die zweite Argumentationsschiene ist, "Kleinvermieter", die eine Wohnung für ihre eigene Altersvorsorge gekauft haben, hätte nun geringere Einnahmen, als zuvor kalkuliert. Wie bitte? Kleinvermieter gehören doch nicht den unteren sozialen Schichten an. Das Mitleid des Autors mit diesen Menschen ist begrenzt. Außerdem werden sie auch mit Mietendeckel noch genug Rendite machen.
Das dritte Argument von Spiegel Online ist, Wohnungseigentümer stünden nun vor einem Wertverlust ihrer Immobilie. Auch hier trifft es nicht die Armen, also wo ist das Problem?
Zuletzt behauptet der Spiegel, alle aktuellen Mieter würden belohnt durch Mietsenkungen, alle Neumieter aber bestraft, weil die Wohnungen dann bereits besetzt seien. Das stimmt natürlich nicht, denn Lebensumstände ändern sich und Menschen wechseln ihre Wohnungen regelmäßig. Man nennt das Fluktuation. Kennt man vielleicht auch aus dem eigenen Leben.
Wenn der Deckel nicht kommt, dann gibt es in Berlin-Charlottenburg oder Prenzlauer Berg in ein paar Jahren nur noch gut Betuchte. Das wäre die Konsequenz, wenn man den heiligen Markt machen ließe.
In dieselbe Kerbe wie Spiegel Online schlägt die Süddeutsche Zeitung:
"Der Mietpreisdeckel ist ungerecht"
Die SZ führt als zentrales Argument ins Feld, der Mietendeckel subventioniere vor allem gut betuchte Menschen in beliebten Altbauvierteln. Die Zeitung hält den Deckel entlang der Baujahres-Klassen der Gebäude für ungeeignet, erwähnt aber nicht, dass in Berlin inzwischen auch die Mietpreise in den neueren Gebäuden, sogar in Plattenbauten steil nach oben gehen und auch diese Mieten durch das neue Gesetz begrenzt werden sollen.
Man befürchtet zudem, Immobilienkonzerne könnten Wohnungen an Selbstnutzer verkaufen, anstatt sie weiterhin zu vermieten. Dies könnte die Probleme weiter verschärfen. Trotz der konfrontativen Überschrift ist die Süddeutsche dann doch für einen Mietendeckel, schreibt aber nicht, welchen sie denn stattdessen haben möchte. Wenig konstruktiv.
Die sozialistisch-linke Zeitung Neues Deutschland titelt wenig verwunderlich mit einem Zitat einer Links-Politikerin:
Das ND ist die einzige Zeitung in dieser Reihe, die nichts grundsätzlich auszusetzen hat am Mietendeckel. Das ist doch mal eine erfrischend unbürgerliche Abwechslung.
Die nach Selbsteinschätzung linke "Tageszeitung" hingegen argumentiert formaljuristisch:
Die Linkenpolitikerin Lompscher sei über das mit der SPD vereinbarte Ziel für einen Mietendeckel hinausgeschossen, meint die Taz. Insbesondere die Senkung von Mieten sei ja nicht vereinbart gewesen, sondern lediglich das Ausbremsen eines weiteren Anstiegs. Und dann zitiert man ernsthaft einen FDP-Scharfmacher, der meint, die Linke "brennt die Stadt" nieder, und einen konservativen SPDler, der findet, der Bürgermeister Berlins Michael Müller müsse die Pläne nun stoppen.
Argumentiert so eine solidarische Zeitung mit der guten Sache einer Mietreduktion für die Bevölkerungsmehrheit - oder steht die Taz hier auf der anderen Seite. Mit der Überschrift wirft sie der Linkspartei im Prinzip Betrug am Koalitionspartner vor. Ein sehr irrelevanter Aspekt in der Diskussion um überhöhte Mieten.
Man wird sehen, was wird ...
Nach Jahren des Protests in Berlin ist nun endlich ein wirkungsvolles Gesetz in Sicht und wird bereits vor der Veröffentlichung als Gesetzesvorlage für das Stadtparlament massiv torpediert. Am Ende werden Grüne und SPD hoffentlich nicht umkippen und diesen revolutionären Gesetzentwurf wieder einmal so marktkonform verwässern, dass niemand mehr sagen kann, am System würden Stellschrauben verändert.
Die Mehrheit der Bevölkerung in Berlin (und anderen Großstädten) hat die Mantren vom heiligen freien Markt satt. Sie wollen einfach nur leben können und nicht der Spielball internationaler Investoren und Spekulanten sein. Es geht um nichts weniger als um das Menschenrecht Wohnen.
Und wenn es nicht der Deckel sein soll, dann wäre es eine Überlegung wert, alle Wohnungen zu Genossenschaftswohnungen umzuwandeln. Oder noch besser: zu Wohnungen des Miethäusersyndikats. Worauf warten wir?
Das alles ist noch recht handzahm, vergleicht man mal die Wut der 1970er Jahre mit der schon damals vorherrschenden Marktradikalität (die heute freilich noch hundertmal schlimmer geworden ist, als man es damals hätte ahnen können). Zur Besetzung des Berliner Bethanien-Krankenhauses im Westberlin der 1970er Jahre sang die Band "Ton Steine Scherben" bereits 1972 so treffend: "Der Senator war stinksauer, die CDU war schwer empört | Daß die Typen sich jetzt nehmen, was ihnen sowieso gehört."
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