Bulgarien: Alles zurück auf Anfang

Rumen Radev beim Amtsantritt. Bild: president.bg/CC BY-2.5

Bulgarien steht einmal mehr vor dem politischen Neubeginn

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Sibirische Kälte hält Bulgarien dieser Tage fest im Griff. Auch politische Entwicklungen vollziehen sich unter den eisigen Bedingungen unterkühlt und verlangsamt.

Obwohl das rechtsgerichtete Kabinett von Ministerpräsident Boiko Borissov bereits Mitte November 2016 zurückgetreten ist, regiert es bis zum 27. Januar 2017 weiter. Laut Verfassung durfte der am vergangenen Sonntag aus seinem Amt geschiedene Staatspräsident Rossen Plevneliev in den letzten drei Monaten seiner Amtszeit die 43. Bulgarischen Volksversammlung nicht mehr auflösen, musste dies seinem Nachfolger Rumen Radev überlassen.

Nun hat das Parlament am Donnerstag, den 26. Januar 2017, zum letzten Mal getagt, einen Tag später hat das von Radev einberufene Statthalterkabinett die Regierungsgeschäfte übernommen. Dessen Hauptaufgabe ist es nun, Wahlen zur 44. Bulgarischen Volksversammlung am 26. März 2017 zu organisieren.

Der Staatspräsident hat in Bulgarien laut Verfassung überwiegend repräsentative Funktionen. Wie die vergangenen Jahre gezeigt haben, kommt ihm in Zeiten politischer Instabilität darüberhinaus aber wichtige Bedeutung zu. Sechs Regierungen, drei reguläre und drei kommissarische, hat Bulgarien seit dem Frühjahr 2013 in Bulgarien erlebt. Der zuletzt von Sozialisten und Nationalisten wegen seiner putinkritischen Haltung stark angefeindete Präsident Plevneliev war in diesen Zeiten die einzige Konstante.

Nun steht das Balkanland erneut vor einem politischen Neuanfang. Und Präsident Rumen Radev muss diesen gleich zu Beginn seiner Amtszeit in die Wege leiten. Westliche Medien haben den von der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) nominierten Luftwaffengeneral Radev fast einhellig zum Moskau-Freund erklärt. Dabei beteuerte er stets, zu Bulgariens Mitgliedschaft in Europäischer Union und NATO gebe es für ihn keine Alternative.

Als ein erster Gradmesser, inwieweit Radev seine Unabhängigkeit von den Sozialisten behaupten kann, galt die personelle Zusammensetzung der von ihm einberufenen Übergangsregierung. Er werde ein Expertenkabinett aus Ministern unterschiedlicher politischer Couleur bilden, hatte Radev noch in der Nacht seiner Wahl versprochen. Diese Ankündigung scheint sein nun vorgestelltes Kabinett einzulösen. Angeführt wird es von dem auf Handelsrecht spezialisierten Juristen Ognjan Gerdschikov. Der Parteigänger des Ex-Zaren Simeon Sakskoburggotski amtierte von 2001 bis 2005 als Parlamentspräsident.

Ministerpräsident Boiko Borissov tritt heute zurück. Bild: Screenshot aus dem YouTube-Video

Kassensturz: Er übergebe Gerdschikovs Übergangsregierung den Staatshaushalt mit einem Überschuss und gut gefüllter Staatsreserve, erklärte Ministerpräsident Boiko Borissov auf seiner letzten Kabinettssitzung am vergangenen Mittwoch. "Ich würde mit Freude alle möglichen Bewertungen unserer Opponenten annehmen, wenn sie nur unsere Resulate erreichen würden", sagte er.

Bulgarien gilt als das korrupteste Land der EU

Abgesehen vom vierzehnmonatigen Intermezzo der Sozialisten 2013/2014 und den Phasen der Übergangsregierungen hat Boiko Borissov Bulgarien seit dem Juli 2009 regiert. Außer der Errichtung von Infrastrukturprojekten wie Autobahnen, Kläranlagen, Kindergärten war ihm erklärtermaßen der Kampf gegen Korruption und Organisiertes Verbrechen oberste Priorität. Wie zwei pünktlich zu seiner Amtsaufgabe veröffentlichte Bestandsaufnahmen nahelegen, war er dabei aber nicht sonderlich erfolgreich.

So ist Bulgarien beim Transparency International's (TI) Corruption Perceptions Index 2016 das am schlechtesten plazierte EU-Mitglied. Unter 176 Staaten rangiert es zusammen mit Tunesien, Kuwait und der Türkei auf Rang 75. Sein Index-Wert von 41 auf der Skala von (hoch korrupt) bis 100 (sehr sauber) liegt noch unter dem Weltdurchschnitt von 43.

Die von TI für niedrig eingestufte Länder genannten Charakteristika treffen auf Bulgarien zu: nicht-vertrauenswürdige und schlecht funktionierende Institutionen, Negierung bestehender Gesetze, häufige Konfrontation des Bürgers mit Bestechungsforderungen, begrenzte Medienfreiheit, erschwerter Zugang zu öffentlich relevanten Informationen, niedrige Standards bei Staatsbediensteteten und mangelnde Unabhängigkeit der Justiz.

Seit Bulgariens EU-Beitritt im Jahr 2007 hat die Europäische Kommission in mehr oder minder regelmäßigen Abständen seine Berichte zum Mechanismus für die Zusammenarbeit und Überprüfung der Fortschritte im Bereich der Justizreform und der Bekämpfung von Korruption Organisiserte Kriminalität veröffentlicht.

Der am vergangenen Mittwoch publizierte 16. Fortschrittssbericht unterscheidet sich nicht wesentlich von seinen Vorgängern. Stets bemängeln die Brüssler Experten ausbleibende Verurteilungen in Korruptionsfällen gegen Angehörige der Macht und fehlende Aufklärungserfolge bei der Schwerstkriminalität. Diplomatisch loben sie gleichzeitig den vermeintlichen politischen Willen der Verantwortlichen in Sofia und geben gute Ratschläge.

Die Reaktion bulgarischer Politiker auf die Vorhaltungen der EU-Kommission folgt ebenfalls einem wohlbekannten Schema. Der Bericht, so verlauten sie für gewöhnlich, zeige in objektiver Weise vorhandene Schwachstellen auf und würdige gleichzeitig unternommene Anstrengungen.

Es scheint zweifelhaft, ob die zum Ritual gewordene Zeugniserteilung ein effektiver Mechanismus zur Verbesserung des bulgarischen Rechtswesens sein kann. Seit Jahren fordern bulgarische Politiker über Parteigrenzen hinweg ein Ende der Evaluation, die sie als diskriminierend empfinden. Dagegen befürworten laut einer Eurobarometer-Umfrage zweiundsiebzig Prozent der Bulgaren ihre Beibehaltung. Gut die Hälfte der Bulgaren sieht positive Wirkungen des Überprüfungsmechanismus' auf das bulgarische Rechtssystem (57%), auf den Kampf gegen das Organisierte Verbrechen (53%) und Korruption (50%).

Wenn Bulgarien tatsächliche Fortschritte erzielt habe, könne der Überprüfungsmechanismus zum Ende seiner Amtszeit 2019 beendet werden, hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor einiger Zeit geäußert. Nach den Erfahrungen der ersten zehn Jahre seines Bestehens gilt dies indes als unwahrscheinlich.