Bulgarien: Alles zurück auf Anfang

Seite 2: Pressefreiheit gering, Unzufriedenheit mit der Demokratie wächst

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Erstmals hat sich die EU-Kommission in ihrem Evaluationsbericht kritisch zur Situation der bulgarischen Medien geäußert. "Die bulgarische Medienszene wird häufig durch einen niedrigen Grad der Unabhängigkeit und der ineffektiven Anwendung journalistischer Standards gekennzeichnet, was einen negativen Einfluss ausübt auf die öffentliche Debatte der Reformen", schreiben die Experten. Wie beim TI-Korruptionwahrnehmungsindex trägt Bulgarien seit Jahren auch beim Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen (ROG) die rote Laterne aller EU-Staaten. In der Ära Boiko Borissov ist es von Rang 59 im Jahr 2008 auf Rang 113 abgestürzt.

Mit acht Parteien verfügte die 43. Bulgarischen Volksversammlung über eine vermeintlich große Parteienpluralität. Tatsächlich zeichnete sich ihre Debattenkultur aber weniger durch konstruktive Meinungsvielfalt aus als durch Parteiengezänk und wechselnde Mehrheiten mit intransparenten Kriterien. Unter den Bulgaren genießt das Parlament deshalb die wohl geringste Popularität aller staatlichen Institutionen.

Mit großem Abstand war Boiko Borissovs Partei Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens (GERB) stärkste politische Kraft vor der ex-kommunistischen Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) und der Partei der bulgarischen Türken Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS). Dahinter folgten der aus der traditionellen Rechten entstandene Reformerblock, die nationalistische Patriotische Front, die populistische BDZ, die rechtsradikale Ataka und die BSP-Abspaltung ABW.

Starke Unzufriedenheit mit dem Zustand der parlamentarischen Demokratie in Bulgarien und der drängende Wunsch nach grundsätzlicher Veränderung haben im vergangenen Jahr zur Bildung eines Initiativkommitees für eine Volksbefragung zum Wahlrechtssystem geführt. Angeführt wurde es von dem im Land ebenso populären wie umstrittenen Showmaster und Musiker Slavi Trifonov.

Beim Konzert von Slavi Trifonovs Ku-Ku-Band zur Popularisierung der Volksbefragung versammelten sich Ende Oktober 2016 über einhunderttausend Menschen an der für die bulgarische Bürgergesellschaft symbolträchtigen Adlerbrücke. Zweieinhalb Millionen Bulgaren befürworteten bei dem gleichzeitig mit der Präsidentschaftswahl abgehaltenen Referendum die Einführung der absoluten Mehrheitswahl in zwei Wahlgängen. Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission (ZIK) fehlten wenige tausend Stimmen, damit das Mehrheitswahlswahlrecht sofortige Gesetzeskraft erlangt hätte.

Die Bulgaren wollen endlich rechenschaftsfähige Personen und nicht anonyme Parteilisten in die Parlamente wählen, argumentieren die Verfechter des Mehrheitswahlrechts. Kritiker warnen dagegen vor einer Beschneidung der parlamentarischen Parteienpluralität durch Begünstigung etablierter und Eliminierung kleiner Parteien. Die Parlamentswahlen Ende März 2017 werden nun nach dem gültigen Verhältniswahlrecht abgehalten.

Wahlausgang ungewiss

Meinungsumfragen über die Popularität von Parteien sind in Bulgarien stets unter Vorbehalt zu betrachten, da sie je nach ihrem Auftraggeber stark von einander abweichen können. Auch lässt sich heute kaum vorhersehen, was in den kommenden zwei Monaten bis zur Wahl alles passieren wird. Die Sonntagsfrage der Agentur Trend ergab zuletzt einen relativ knappen Abstand zwischen GERB mit 32,2% und BSP mit 29,3%. Die nationalistischen Patrioten könnten sich laut Trend mit 10,4% deutlich vor die Türkenpartei DPS mit 7,8% schieben.

Als ein neuer Faktor könnte mit 5,9% die Partei Volja (Wille) des Unternehmer Vesselin Mareschki in die 44. Bulgarische Volksversammlung einziehen. Der Apotheken- und Tankstellenunternehmer Mareschki macht sich bei den Bulgaren derzeit damit beliebt, dass er Medikamente und Kraftstoff deutlich unter Marktpreis verkauft. Die traditionellen Konservativen, in den 1990er Jahren Hauptkontrahent der Sozialisten, ist inzwischen derart zersplittert, dass ihre Präsenz im neuen Parlament massiv gefährdet scheint.

Ob Borissov, der sein Mandat als Regierungschef zweimal vorzeitig aufgegeben hat, tatsächlich ein drittes Mal Ministerpräsident Bulgariens werden kann? Es ist nicht ausgeschlossen, doch müsste er dazu vermutlich eine Koalition eingehen. Er könnte seine bisherigen Koalitionspartner von den konservativen Reformern durch die nationalistischen Patrioten ersetzen. Dies dürften allerdings seine Parteifreunde von der EVP in Brüssel mit einem gewissen Unbehagen betrachten. Auch die Sozialisten werden - wenn überhaupt - nicht alleine regieren können.

Gut möglich, dass die bevorstehenden Wahlen keinen belastbaren Ausweg aus Bulgariens politischer Krise bringen werden, sondern der jetzige Neuanfang nur eine Etappe ist auf dem Weg zu einem weiteren Neubeginn.