Bulgarien: Ein Loch ist im Eimer

Leerer Stausee Studena. Bild: F. Stier

Warum den Bürgern der bulgarischen Stadt Pernik während des Jahreswechsels an Wasser fehlt

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Die Stadt Pernik, fünfundzwanzig Kilometer von Bulgariens Hauptstadt Sofia entfernt, galt in der kommunistischen Volksrepublik vor 1989 als so etwas wie Bulgariens "Ruhrgebiet". Hier bauten Kumpel unter Tage Braunkohle ab, das in Form rötlichen Rauchs durch die Schlote des Heizkraftwerks Republika in den Himmel stieg. Zigtausend Arbeiter malochten in großen Maschinenbaufabriken. Von Perniks einstiger industrieller Blüte ist nicht viel übriggeblieben außer dem Stahlkocher Stomana im Industriegebiet am südlichen Ende von Perniks Stadtautobahn.

Unter ihren Landsleuten genießen die Perniker den Ruf, ein hartgesottenes Völkchen zu sein, gestählt von der ganz besonders schadstoffhaltigen Perniker Luft. In diesen Tagen blicken die Bulgaren aber mit einer Mischung aus Mitleid und Entsetzen auf die rund einhunderttausend Bürger von Pernik und Umgebung, denn sie leben im Katastrophenzustand. Mitte November 2019 wurde ihnen das fließende Wasser auf zehn Stunden täglich rationiert, kurz vor Weihnachten auf acht Stunden reduziert. Doch nicht einmal die versprochene Ration Wasser kommt bei allen immer an. Bis Anfang April 2020 soll das Wasserregime fortbestehen.

Idyllisch gelegen in einem Tal bewaldeter Hügel liegt der Pernik mit Trinkwasser versorgende Stausee Studena. Er wandelt sich zusehends zur Mondlandschaft, enthält noch gut ein Zehntel seines normalen Inhalts von 25 Millionen Kubikmeter Wasser. Es ist strittig, ob er sein "totes Reservoir", d. h. den Rest Wasser, der zum Trinken gar nicht mehr geeignet ist, bereits erreicht hat. In mehreren Straßen der Stadt ist der Verzehr der aus den Wasserhähnen tropfenden braunen Brühe inzwischen untersagt. Gleichzeitig bilden sich auf Perniks Straßen Sturzbäche aufgrund geplatzter Wasserrohre.

Vor allem für Familien mit kleinen Kindern und für Alte und Kranke ist das Leben mit rationiertem Wasser eine schwere Bürde, zumal die zugesagte Ration gar nicht immer ankommt. "Jeden Tag rufe ich das Wasserversorgungsunternehmen VIK Pernik an und jeden Tag erklären sie mir, das Wasser läuft. Aber das Wasser erreicht uns nicht, wir sind ausgesprochen genervt", hat die populäre Sängerin Iva Davidova im Frühstücksfernsehen von Nova TV berichtet. Sie vermochte ihren Frust schöpferisch zu vearbeiten und hat ein typisch bulgarisches Folklorelied mit viel Galgenhumor aufgenommen: "Pernik nema Voda, Meka e golema" ("Pernik hat kein Wasser, der Schmerz ist groß") lautet sein Refrain. Dem Perniker werde es auch ohne Wasser gelingen, sich mit Rakia (Obstschnaps) und Wein zu betrinken, singt sie.

Verantwortliche schieben Schuld auf den Klimawandel

Der Erklärung des Chefs des kommunalen Wasserversorgers VIK Pernik Ivan Vitanov, die durch den Klimawandel versursachte Trockenheit in diesem Jahr sei schuld an der Ausnahmesituation, glaubt Davidova nicht. Perniks Wetter war in diesem Jahr nicht ungewöhnlich; einem niederschlagsreichen Frühling folgten trockene, nicht allzu heiße Sommermonate, andere Stauseen in der Umgebung verfügen über ihre gewohnte Wassermenge. Wie viele ihrer Mitbürger hält auch sie administratives Unvermögen und illegale Wasserentnahmen durch industrielle Abnehmer für plausiblere Gründe für den Wassernotstand als den Klimawandel. "Unablässig schieben sich die Politiker die Verantwortlichkeiten zu, während wir Perniker leiden. Manchmal warte ich bis um zwei oder drei in der Nacht auf das Wasser, damit ich die Waschmaschine laufen lassen kann. Aus vielen Hähnen tropft trübes Wasser, wenn überhaupt ..."

Bild: F. Stier

Bulgarien, "das ärmste Land der Europäischen Union", ist eigentlich reich an Wasser. Über fünfhundertfünzig Mineralquellen mit einer Temperatur von 20 bis 103 Grad Celsius sprudeln auf dem Territorium des Balkanlands zwischen Donau und Schwarzem Meer. Nur Island hat mehr Thermalquellen. Bulgarien vermag seinen Wasserreichtum aber nicht zu nutzen, verschwendet ihn gar. Laut einem Bericht der staatlichen Kommission zur Regulierung von Energie und Wasser (KEVR) versickerten im Jahr 2018 60,87% des nationalen Trinkwassers durch lecke Rohre. VIK Pernik schätzt den ständigen Wasserverlust im eigenen Netz auf 70%, mit Spitzenwerten von 90% in manchen Gegenden.

Dreizehn Jahre nach dem EU-Beitritt des Landes ist in Pernik und anderen Orten des Landes offensichtlich, dass es Bulgarien nicht gelungen ist, die zur Modernisierung kommunaler Wasser- und Abwassernetze zur Verfügung stehenden EU-Fördergelder zielführend zu nutzen. Von den im Operativen Programm Umwelt für die Periode 2014 bis 2020 für Wasserprojekte verfügbaren 2,3 Mrd BGN wurden lediglich 520 Mio BGN bzw. rund 22% tatsächlich auch ausgezahlt.

Der "Fluss" Struma in Pernik. Bild: F. Stier

Verantwortung will niemand tragen

"Wo ist unser Wasser?", fragten die Perniker Gelbwesten auf ihrer Protestkundgebung mit Fürbitte für Niederschläge am 29. Dezember 2019 vor dem Gebäude der VIK Pernik. Sie fordern, die Schuldigen müssten "hinter Gitter" und wollen ihren Protest in Sofias Regierungsviertel tragen. Dort macht Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissov die Trockenheit infolge des Klimawandels und unfähige Bürgermeister für die Wasserkrise in Pernik verantwortlich. Seine Partei "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB) habe in den vergangenen dreißig Jahren lediglich vier Jahre Perniks Bürgermeister gestellt, versucht er, die Schuld auf die oppositionellen Sozialisten zu schieben.

Allerdings hat sich die Krisensituation gerade während des Mandats der GERB-Bürgermeisterin Vjara Tserovska ergeben. Nach vier Jahren Amtszeit ist sie am 3. November 2019 in der Stichwahl ihrem sozialistischen Herausforderer Stanislav Vladimirov unterlegen. Wenige Tage nach Vladimirovs Amtsantritt erschienen in den Medien erste Meldungen, der Stadt drohe die Einführung eines Wasserregimes. Lokalen und nationalen Verantwortungsträgern war die kritische Wassersituation seit längerem bekannt, im Wahlkampf zur Kommunalwahl wurde sie den Perniker Bürgern aber aus taktischen Erwägungen verschwiegen.

Noch als Parlamentsabgeordneter für die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) fragte der jetzige Perniker Bürgermeister Vladimirov im September 2019 die Regionalentwicklungsministerin Petja Avramova nach dem Niedrigwasser im Stausee Studena. Es sei genügend Wasser da, erhielt er von ihr zur Antwort. "Wenn Sie konkrete Hinweise haben auf eine nicht angemessene Verwaltung des Stausees, die mir nicht vorliegen, bitte ich Sie, sie mir vorzulegen, dann werde ich eine Prüfung Ihres Signals unternehmen. Im Moment ist der Grund die andauernde Trockenheit und auf sie zurückgehende gehäufte Havarien", sagte die Ministerin. "Bei diesem Wasserstand werden wir in ein bis zwei Monaten in eine deutlich ernstere Krise geraten als im Moment, wo wir ein verstecktes Wasserregime haben", warnte Stanislav Vladimirov damals.

Noch Ende Oktober 2019 erteilte der Minister für Umwelt und Wasser Neno Dimov aber Genehmigungen zur Entnahme von Wasser auch für industrielle Zwecke für das Stahlwerk Stomana und das Heizkraftwerk Republika. Der Inhalt des Stausees verringerte sich dadurch von gut 6 Millionen Kubikmeter Wasser auf kritische 4 Millionen.

Am 10. Dezember 2019 erklärte die Kreisstaatsanwaltschaft Pernik, die Minister Avramova und Dimov trügen durch unterlassene Sorgfalt Verantwortung für den Ausnahmezustand. Beide sind sich aber keiner Schuld bewusst. Er habe nicht wissen können, wie es mit dem Stausee Studena aussehe, erklärte der Umweltminister, da er sich auf Angaben der VIK Pernik verlassen habe, deren Mehrheitseigner das Regionalministerium sei. Im Gegenzug erklärte Regionalministerin Avramova, sie habe ihrem Kollegen Dimov vertraut. In einer Krisensitzung seiner Regierung am letzten Tag des Jahres 2019 erteilte Regierungschef Borissov mit der für ihn typischen Gönnergeste der Stadt Pernik 30 Millionen BGN Soforthilfe zur Lösung ihres Wasserproblems.

Dabei hat seine damalige Regionalentwicklungsministerin und jetzige Vize-Chefin der Europäischen Investionsbank (EIB) Lilyana Pavlova erst im Jahr 2016 ein maßstäbliches Sanierungsprojekt für den Stausee Studena im Wert von 32 Millionen BGN verkündet. "Es garantiert, dass Pernik mit dem Wasser keine Probleme mehr haben wir", erklärte sie bei seinem Startschuss.

Mit Geld aus dem Staatshaushalt und von der Weltbank sollten das wasserzuführende Netz, die Staumauer und die Kläranlage repariert und modernisiert werden. Italienische Taucher würden die Arbeiten nach einem neuen und einzigartigen Verfahren unter Wasser durchführen. Dadurch müssten weder der Wasserspiegel des Stausees abgesenkt, noch die Wasserlieferung an die Perniker eingeschränkt werden, versprach Ministerin Pavlova. Viele Perniker argwöhnen nun, dass die Renovierung der Staumauer eben nicht unter Wasser durchgeführt wurde, sondern dass dafür Wasser abgelassen werden musste, um sie im Trockenen und damit günstiger durchführen zu können. Regionalministerin Petia Avramova bestreitet dies.