Bundesregierung befürchtet Imageverlust
Rassistische Übergriffe auf Flüchtlinge in der BRD von einem amerikanischen Gericht als Asylgrund anerkannt
Ein ungewöhnlicher Asylfall aus den USA sorgt dieser Tage hierzulande für Schlagzeilen: Ein Berufungsgericht in San Francisco räumte Zakia Mashiri, einer in Hamburg lebenden Afghanin mit deutscher Staatsangehörigkeit, das Recht aus Asyl in den USA ein. Jedoch nicht wegen der politischen Verhältnisse in Afghanistan, sondern aufgrund derer in der BRD. Die permanente Gefährdung, Opfer rechtextremer Gewalt zu werden, machten es Frau Mashiri unmöglich, in "Germany" zu leben, befand die Vorsitzende Richterin, Betty Fletcher. Dieses Urteil veranlasste Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) zu großer Sorge.
Allerdings bereitet Schily die akute Bedrohungssituation der hier lebenden Flüchtlinge Kopfzerbrechen, sondern das Ansehen der Bundesrepublik in aller Welt, das er mit dieser richterlichen Entscheidung geschädigt sieht. Der Richterspruch droht zum Politikum zu werden, nicht nur wegen des befürchteten Imageverlustes der BRD. Viele Flüchtlinge, zu deren Alltag inzwischen staatlicher und gesellschaftlicher Rassismus sowie antisemitische Übergriffe gehören wie die Luft zum Atmen, könnten es Frau Mashiri gleich tun und in den USA Asyl vor der politischen Verfolgung in der BRD beantragen. Das könnte in vielen Fällen ein harter Prüfstein für das US-Recht werden - vor allem, wenn das Asylrecht mit der "Terrorbekämpfung" kollidiert.
Das Urteil von San Francisco tritt erst in Kraft, wenn der US-amerikanische Justizminister John Ashcroft es unterzeichnet, deshalb schrieb Schily diesem jetzt einen Brief. Näheres über den Inhalt ist nicht bekannt, der Spiegel geht jedoch davon aus, dass der deutsche Minister den amerikanischen bittet, das Urteil nicht rechtskräftig werden zu lassen. Ashcroft kann aber nicht ohne Angabe von Gründen die Unterschrift verweigern, also will Schily ihm Medienberichten zufolge jede erdenkliche Unterstützung zuteil werden lassen, damit die US-Behörden beweisen können, dass Ausländer gefahrlos in der BRD leben können.
Schily wurde schon einmal von einem ausländischen Gericht für seine Asylpolitik abgewatscht: Der oberste britische Gerichtshof stellte in einem Urteil am 20. Dezember 2000 fest, dass die BRD in Asylfragen kein "sicherer Drittstaat" sei. Konkret ging es um eine Somalierin, der in der BRD Asyl verweigert wurde. Sie floh von Deutschland nach Großbritannien und stellte dort erneut einen Antrag. Unter Verweis auf die EU-weite sog. "Drittstaatenregelung", nach der Flüchtlinge, die aus "sicheren Drittstaaten" einreisen, die Aufnahme zu verweigern ist, wollte das britische Innenministerium sie nach Deutschland zurück schicken. Das oberste britische Gericht kam jedoch zu dem besagten Urteil, der Asylantrag wurde daraufhin in Großbritannien geprüft.
Keine sichere Region in Deutschland
Zakia Mashiri floh Ende 1979, nach dem Einmarsch der Sowjetarmee in Afghanistan, zu ihrem Mann nach Hamburg-Bergedorf und bekam dort zwei Kinder. Die Familie wurde von den deutschen Behörden als asylberechtigt anerkannt und erhielt später die deutsche Staatsbürgerschaft.
Anfang der 90er Jahre nahmen in der BRD gewalttätige Übergriffe mit rechtsextremen Hintergrund drastisch zu. Das bekam scheinbar auch Familie Mashiri zu spüren. Bei der Anhörung vor Gericht in den USA gab Zakia Mashiri an, ihr Mann, ein Taxifahrer, sei zweimal von Neonazis überfallen worden. Einer ihrer Söhne, damals 14 Jahre alt, sei auf dem Heimweg von der Schule von Skinheads verfolgt und brutal zusammengeschlagen worden. Die Reifen ihres Autos seien zerstochen, die Wohnung sei verwüstet und an der Windschutzscheibe ihres Autos eine Todesdrohung hinterlassen worden. Bei all dem seien sie immer wieder mit der faschistischen Parole "Heil Hitler" konfrontiert worden.
The State Department Report actually supports Zakia's testimony that friends reported violence throughout Germany; it documents declining but continued violence, and continued
reports of police abuse. It states that anti-foreigner violence continued to occur "within society as a whole" without pointing to any specific, safe area within Germany.
Aus der Urteilsbegründung vom 22.9.
Knapp 20 Jahre, nachdem Zakia Mashiri nach Bergedorf kam, packte sie ein zweites Mal ihre Sachen und floh in die USA, wo sie wieder Asyl beantragte. In erster Instanz wurde dies abgelehnt, da die Familie in eine sichere Region der BRD umziehen könne. Doch laut Angaben des US-Außenministeriums gibt es eine solche Region hierzulande nicht. Richterin Fletcher erklärte, Zakia Mashiri habe "eine glaubwürdige Anzahl von Todesdrohungen, Gewalt gegen Familienmitglieder, Vandalismus, ökonomischer Einbußen und emotionalem Trauma" geschildert. Das summiere sich zu einer Verfolgung, die von der Regierung nicht verhindert wurde.
Lange Liste mit rassistisch motivierten Gewalttaten als Beleg
Mashiris Anwältin, Kathrin Mautino, untermauerte die Angaben ihrer Mandantin mit Zeitungsberichten über rassistisch motivierten Gewalttaten in der BRD - keine Kunst, angesichts von Hoyerswerda, Hünxe, Rostock, Mölln, Solingen und vieler anderer Ortsnamen, die zum Synonym für rassistische und antisemitische Übergriffe wurden.
Im September 1991 wurde in Hoyerswerda eine Asylunterkunft, in der 220 Menschen aus 21 Nationen lebten, mit Molotow-Cocktails und Stahlkugeln attackiert. Im Oktober 1991 wurde eine Flüchtlingsunterkunft in Hünxe am Niederrhein angezündet, zwei libanesische Mädchen erlitten dabei schwerste Verbrennungen. Im August 1992 wurde eine Asylunterkunft in Rostock-Lichtenhagen fünf Nächte lang attackiert und schließlich angezündet. Wie durch ein Wunder erlitt niemand dabei schwere Verletzungen. Im November 1992 wurde in Mölln das Haus einer türkischen Familie in Brand gesteckt, zwei Kinder und eine Frau kamen in den Flammen um. Pfingsten 1993 starben fünf türkische Frauen und Mädchen bei einem Brandanschlag in Solingen.
Das Nachrichtenmagazin Stern berichtete im April 2003, seit der Wiedervereinigung Deutschlands seien 99 Menschen durch "rechtsextremistische Gewalt" ums Leben gekommen. Das sei das Ergebnis einer Studie der Frankfurter Rundschau und des Berliner Tagesspiegel. Die Bundesregierung hingegen gehe von 39 Opfern aus, so der Stern.
Diese Differenz erklärte sich das Hamburger Magazin dadurch, dass viele der von FR und Tagesspiegel genannten Fälle offiziell nicht als rechtsextreme Gewalt registriert seien. So zum Beispiel der Mord an dem 17jährigen Marinus Schöbel in einem brandenburgischen Dorf im Sommer 2002. Der Jugendliche wurde von drei etwa Gleichaltrigen tagelang gefoltert, ermordet und sein Leichnam in eine Jauchegrube geworfen. Marinus hatte sich die Haare blond gefärbt und trug Rapper-Outfit, deswegen wurde er als Jude beschimpft und umgebracht. Diese antisemitisch begründete Tat wurde laut Stern - zumindest bis zu dem Bericht 2003 - offiziell nicht als rechtsextrem motiviertes Delikt geführt, da das brandenburgische Innenministerium "die Bewertung bisher offen lässt".
Neofaschistische Umtriebe waren Anfang der 90er Jahre auch in Hamburg an der Tagesordnung - und sind es noch. Am 8. Mai 1978 machte eine Gruppe Neofaschisten durch eine medienwirksame Aktion in der Hamburger Innenstadt auf sich aufmerksam: Mit Eselsmasken und einem Pappschild mit der Aufschrift "Ich Esel glaube noch, dass im Dritten Reich Juden vergast wurden" marschierten sie durch die City. Einer der "Esel" war der 1991 verstorbene Michael Kühnen, bekennender Mussolini-Fan, der wegen seiner faschistischen Aktivitäten aus der Bundeswehr entlassen wurde. Außerdem Christian Worch, bis heute einer der führenden Köpfe der neofaschistischen Szene.
1982 wurde ein Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Hamburg verübt, bei der zwei Menschen starben. Daran soll der Jurist Manfred Roeder maßgeblich beteiligt gewesen sein. Der rechte Anwalt schrieb in den 70er Jahren das Vorwort zu dem Buch "Die Auschwitzlüge" des ehemaligen SS-Mannes Thies Christoffersen. Nach dem Attentat wurde er wegen Beihilfe zum zweifachen Mord zu 13 Jahren Haft verurteilt, 1990 wurde er vorzeitig entlassen und setzte seine faschistischen Umtriebe fort. Das sind zwei Beispiele aus der Hansestadt, die Liste ließe sich beliebig - und bis in die Gegenwart hinein - fortsetzen.
Nicht nur Schily wurde durch das Urteil aufgeschreckt, sondern auch die Hamburger Behörden. Bei der Hamburger Polizei sind offensichtlich die von Zakia Mashiri geschilderten Gewalttaten nicht registriert. Diese seien "maßlos übertrieben", wenn nicht gar "erfunden" schlussfolgert Schily daraus. Eine Möglichkeit, eine andere schilderte Frau Mashiri dem US-Gericht: Nach dem Überfall auf ihren damals 14jährigen Sohn habe sie die Polizei verständigt. Jedoch ohne Erfolg, denn ihr sei gesagt worden, Ausländer müssten auf sich selbst aufpassen. Ob es sich bei der Darstellung um bloße Hirngespinste handelt oder ob die Vorfälle der Realität entsprechen, soll jetzt von den Hamburger Behörden ermittelt werden.