Bundesregierung finanziert türkeitreue Islamisten in Nordsyrien
Antwort auf eine Kleine Anfrage bestätigt, dass Berlin die Syrische Nationale Koalition (ETILAF) mit Geld unterstützt
Nun steht es schwarz auf weiß: In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Partei Die Linke im Bundestag, die der Redaktion vorliegt, bestätigt die Bundesregierung, dass sie die Syrische Nationale Koalition (ETILAF) finanziert. ETILAF ist ein von Muslimbrüdern dominiertes Bündnis mit Sitz in Istanbul. ETILAF-Milizen wie Liwa al-Tawhid oder Jaish al-Islam arbeiteten immer wieder mit al-Qaida- und al-Nusra-Milizen zusammen.
Ihr gehören auch Milizen wie die dschihadistische "Armee des Islam" (Jaish al-Islam) oder die rechtsextreme türkische Miliz Sultan-Murad-Brigade an. Ganz aktuell sind sie Teil der türkischen Besatzungsmacht im nordsyrischen Kanton Afrin und zwingen dort bspw. die Schulen, in türkischer Sprache zu unterrichten. ETILAF begreift sich als "legitime Vertretung des syrischen Volkes" und hat den Sturz des syrischen Präsidenten Assad zum Ziel. Auch der Kurdische Nationalrat (ENKS) ist seit 2013 in der Koalition vertreten.
Nicht nur ETILAF, auch der ENKS wird von der Bundesregierung finanziert, wie schon eine frühere Kleine Anfrage der Linken zu Tage brachte. Unter dem Deckmäntelchen der Demokratisierung der syrischen Bevölkerung flossen über das sogenannte "Europäische Zentrum für Kurdische Studien" (EZKS) mehr als 800.000 Euro an den ENKS.
Tatsächlich ging es darum, die national-konservative kurdische Opposition gegen die demokratische Partei PYD und den Rat der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyriens zu stärken. Der ENKS sitzt mit ETILAF im Rat von Afrin und ist damit direkt an der Unterdrückung und Vertreibung der Bevölkerung von Afrin beteiligt.
Im November vergangenen Jahres verließen 30 Mitglieder den ENKS, als dieser die Plünderung und Vernichtung der Olivenhaine in Afrin durch die Türkei mittrug. Sie kritisierten, der ENKS sei der türkischen Regierung und Barzanis nordirakischer KDP hörig. Ibrahim Ehmed, einer der ausgetretenen Mitglieder berichtete der Nachrichtenagentur ANHA, "der ENKS spiele praktisch keine Rolle mehr auf der politischen Bühne und in der kurdischen Bevölkerung. Alle Entscheidungen des ENKS würden aus der Türkei und dem Nordirak kommen. Die noch verbliebenen Personen des Nationalrates seien nur noch hinter eigenen Vorteilen her. Es gebe in Syrien nur noch ein paar Leute, die aber 'auf dem Schoß des türkischen Staates' sitzen würden (…) Auch hätte der ENKS gegenüber der Brutalität des türkischen Staates in Afrin geschwiegen" (siehe Afrin: Exzessive Gewalt durch türkische Besatzung).
Die sogenannte "Istanbuler Opposition" ETILAF
ETILAF fungiert in Nordsyrien als Vertreter türkischer Interessen in Syrien und arbeitet gegen die demokratische Selbstverwaltung in Nordsyrien. Die "Istanbuler Opposition" unterhält eine Vertretung in Berlin, die von der Bundesregierung finanziert wird. Dort fungiert der Berliner ETILAF-Vertreter Bassam Abdullah quasi als Botschafter in einer syrischen diplomatischen Vertretung. Allein im Jahr 2018 flossen über 220.000 Euro an ETILAF.
Unter dem Haushaltstitel "Entwicklungszusammenarbeit" und unter der Regie der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) wurden zudem die Betriebskosten des Berliner Büros finanziert und Veranstaltungen unterstützt. Für das Jahr 2019 wurden ihnen 146.000 Euro in Aussicht gestellt. Die Bundesregierung versucht, diese Organisation als demokratische Opposition darzustellen.
Kritischen Fragen, etwa über die Zusammensetzung von ETILAF, versucht sie in der Antwort auf die Kleine Anfrage durch Verweise auf Geheimhaltungsverfügungen auszuweichen. Da drängt sich schon der Gedanke auf, dass die Zusammensetzung der Truppe einige Brisanz zu enthalten scheint. Wieso soll die Öffentlichkeit nicht erfahren, in welche Milizen mit welcher Ausrichtung die Steuergelder fließen?
Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke bringt es auf den Punkt:
Die ETILAF ist nichts anderes als eine politische Vertretung dschihadistischer Kopfabschneiderbanden von Gnaden Erdogans (…) Die diplomatische, logistische und finanzielle Unterstützung dieser Terrorkoalition durch die Bundesregierung muss sofort beendet werden. Dieses von der Türkei gesteuerte Bündnis aus Muslimbrüdern, Nationalisten und korrupten Exilpolitikern trägt mit seiner unnachgiebigen Position bezüglich eines Sturzes des syrischen Präsidenten Assad nichts zu einer politischen Lösung in Syrien bei. Auch durch ihre offene Unterstützung der türkischen Besatzung von Afrin, an der zahlreiche Milizen aus dem Umfeld der ETILAF beteiligt waren, und der aktuellen türkischen Einmarschdrohungen in Nordsyrien, trägt die ETILAF zu einer Verlängerung des Krieges und noch mehr Leid für die syrische Bevölkerung bei.
Ulla Jelpke, Die Linke
Die Bundesregierung betont immer wieder, sie würde die Menschen in Syrien mit Hilfsgeldern humanitär unterstützen:
Seit Beginn des Syrien-Konflikts hat die Bundesregierung die betroffenen Menschen in und um Syrien mit Hilfsgeldern in Milliardenhöhe unterstützt. Sie unterstützt diese Region im Kontext der Syrien-Krise bis 2018 mit zusätzlich 2,3 Milliarden Euro an Hilfsgeldern. Allein im Jahr 2017 wurden insgesamt rund 720 Millionen Euro für humanitäre Hilfe zur Verfügung gestellt. Damit ist Deutschland zweitgrößter humanitärer Geber in der Region nach den USA.
Bundesregierung
Fragt sich aber, wo die humanitäre Hilfe in Syrien landet. Zehntausende vertriebene Menschen aus Afrin etwa, die nun seit über 1 Jahr im Gebiet der demokratischen Selbstverwaltung in Flüchtlingscamps leben, haben davon noch nichts gemerkt. Die Unterstützung von ETILAF hat in Afrin letztlich zu diesen neuen innersyrischen Flüchtlingsströmen geführt.
Aus der Antwort einer Kleinen Anfrage vom Februar 2018 geht hervor, dass die Bundesregierung zwar Milliarden von Euro für die Syrienhilfe zur Verfügung stellt, jedoch die Selbstverwaltung in Nordsyrien davon so gut wie gar nicht profitiert. In Nordsyrien setzt die Bundesregierung nach wie vor auf türkische Hilfsorganisationen.
In der Antwort auf Frage 28 findet sich ein kleiner vager Hinweis, dass von 104,7 Millionen Euro für "erste Rehabilitationsmaßnahmen von Infrastruktur in den Sektoren Gesundheit und Wasserversorgung, die Verbesserung des Zugangs zu Bildung und die Schaffung einfacher Beschäftigungsmöglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts" knapp 10 Millionen Euro im Gebiet der Selbstverwaltung umgesetzt wurde.
Wer diese Gelder letztlich bekommen hat, bleibt im Unklaren. Ein Schelm, wer Böses denkt … 10 Millionen Euro wären für die Selbstverwaltung ein Geldsegen zur Versorgung der vielen Binnenflüchtlinge. Gesehen hat sie davon nach unserem Kenntnisstand nichts.