Bundesverfassungsgericht streicht Data Mining aus Antiterrordateigesetz
Die Richter geben der Politik im heute veröffentlichen Beschluss sehr detaillierte Anweisungen, wie eine verfassungskonforme Ausgestaltung auszusehen hat
Im vor sechs Jahren in Kraft getretenen § 6a Absatz 2 Satz 1 des Antiterrordateigesetzes (ATDG) heißt es: "Eine [an der Antiterrordatei] beteiligte Behörde des Bundes darf zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben die in der Datei nach § 3 gespeicherten Datenarten mit Ausnahme der nach § 4 verdeckt gespeicherten Daten erweitert nutzen, soweit dies im Rahmen eines bestimmten einzelfallbezogenen Projekts für die Verfolgung qualifizierter Straftaten des internationalen Terrorismus im Einzelfall erforderlich ist, um weitere Zusammenhänge des Einzelfalls aufzuklären. "
Informationelle Selbstbestimmung
Um was es sich bei dieser "erweiterten projektbezogene Nutzung" von Daten aus der seit 2006 eingerichteten gemeinsamen Verbunddatei der Sicherheitsbehörden konkret handelt, erklärt § 6a Absatz 5 des ATDG: Um das "Herstellen von Zusammenhängen zwischen Personen, Personengruppierungen, Institutionen, Objekten und Sachen", um den "Ausschluss unbedeutender Informationen und Erkenntnisse", um die "die Zuordnung eingehender Informationen zu bekannten Sachverhalten", um die "statistische Auswertung der gespeicherten Daten".
"Hierzu", so die Vorschrift weiter, "dürfen die beteiligten Behörden des Bundes Daten auch mittels phonetischer oder unvollständiger Daten, der Suche über eine Mehrzahl von Datenfeldern, der Verknüpfung von Personen, Institutionen, Organisationen, Sachen oder der zeitlichen Eingrenzung der Suchkriterien aus der Datei abfragen sowie räumliche und sonstige Beziehungen zwischen Personen und Zusammenhänge zwischen Personen, Personengruppierungen, Institutionen, Objekten und Sachen darstellen sowie die Suchkriterien gewichten".
Des Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts kam zum Ergebnis, dass sich das auch mit dem Begriff Data Mining zusammenfassen lässt. Er entschied am 10. November in einem erst heute bekannt gemachten Beschluss, dass § 6a Absatz 2 Satz 1 des ATDG nicht mit der informationellen Selbstbestimmung aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes vereinbar und deshalb nichtig ist (Az. 1 BvR 3214/15).
"Besondere verfassungsrechtliche Anforderungen" bei "hypothetischer Datenneuerhebung"
Zur Begründung führen die Karlsruher Richter an, die Regelung genüge nicht den "besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen", die das Bundesverfassungsgericht wegen des "informationellen Trennungsprinzips" für eine "hypothetische Datenneuerhebung" aus den zusammengeführten Beständen von Polizei und Geheimdiensten gelten lässt. Will so eine Zusammenführung mit "gesteigerter Belastungswirkung" grundgesetzkonform sein, dann muss sie nicht nur einem "herausragenden öffentlichen Interesse" mit "dem Schutz von besonders gewichtigen Rechtsgütern dienen", sondern auch "auf der Grundlage präzise bestimmter und normenklarer Regelungen an hinreichende Eingriffsschwellen gebunden sein".
Bei der Data-Mining-Erlaubnis in § 6a Absatz 2 Satz 1 des ATDG ist das der Ansicht des Ersten Senats nach nicht der Fall: Sie nennt zwar den "Schutz von Rechtsgütern zu, die besonders gewichtig sind", lässt aber mit einer "Erforderlichkeit im Einzelfall […] zur Aufklärung […] weitere[r] Zusammenhänge des Einzelfalls" so viel Interpretationsspielraum, dass sie das Bundesverfassungsgericht als "nicht normenklar" einstuft. Hier fehlt den Richtern "eine wenigstens hinreichend konkretisierte Gefahr in dem Sinne […], dass zumindest tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr vorliegen".
"Verdichtete Umstände als Tatsachenbasis"
Soll die Informationsauswertung erweitert genutzt werden, muss diese erweiterte Nutzung "zur Aufklärung einer bestimmten, nachrichtendienstlich beobachtungsbedürftigen Aktion oder Gruppierung im Einzelfall geboten sein". "Damit", konkretisieren die Richter, werde "ein wenigstens der Art nach konkretisiertes und absehbares Geschehen vorausgesetzt". Dient die erweiterte Nutzung der Strafverfolgung, "muss ein durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht vorliegen, für den konkrete und verdichtete Umstände als Tatsachenbasis vorhanden sind".
Damit hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber die Neufassung des § 6a Absatz 2 Satz 1 ATDG praktisch schon weitgehend vorformuliert. Den Rest des § 6a, den ein Richter im Ruhestand als Kläger komplett in Frage gestellt hatte, hält es für grundgesetzkonform. Dabei schränkt es allerdings die Auslegungsmöglichkeiten des § 6a Absatz 3 Satz 1 ein und stellt klar, dass die Vorschrift "nicht so verstanden werden [darf], als erlaubte [sie] die erweiterte Nutzung für eine bloße Vor- oder Umfeldermittlung ohne Bezug zu einer zumindest konkretisierten Gefahr". In der noch während der Amtszeit des Kabinetts Merkel 1 in Kraft getretene ersten Fassung des Antiterrordateigesetzes hatten die Bundesverfassungsrichter 2013 gleich eine ganze Reihe von Regelungen für verfassungswidrig erklärt (Bundesverfassungsgericht stutzt Anti-Terror-Datei zurecht).
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