Karriere beim Militär: Die Bundeswehr verharmlost die Realität des Soldatenberufs

Plakat der Bundeswehr. Privatfoto.

Bundeswehr wirbt mit Slogan "Du willst immer nur mehr". Kampagne zielt auf junge Menschen zwischen 17 und 35 Jahren. Doch was verbirgt sich hinter der coolen Fassade? Kommentar.

"Immer mehr, immer mehr, immer mehr. Und der Wind weht wieder übers Meer." Vor ziemlich genau 40 Jahren, Ende 1985, war der Ex-Spliff-Sänger Herwig Mitteregger mit diesem Song (von ihm und Ulla Meinecke) sowie seinem Album "Immer mehr" in den bundesdeutschen Charts unterwegs. Ein friedlicher, sehr entspannter Song, ein Liebeslied mit dem Wind als Medium: "Ich fang ihn ein und hol ihn Dir her."

Wie sich die Winde drehen. Tempi passati. "Immer mehr" und "Meer" in Zeiten der "Zeitenwenden": Dieser Tage prägen Deutschland Plakate, wie das oben auf dem Foto gezeigte.

"Mach, was wirklich zählt"

Die Bundeswehr rührt die Werbetrommel als Kriegstrommel: "Mach, was wirklich zählt" ist hier nicht "wirklich" neu, sondern eine Art Dauerbrenner (oder eben Dauerfeuer) bei der Nachwuchs-Rekrutierung der deutschen Militärs und visiert möglichst punktgenau die Zielgruppe der 17- bis 35-Jährigen an.

Seit 2015 ist die Düsseldorfer "Employer Branding"-Agentur Castenow federführend für die Bundeswehr tätig, die als ganz spezieller "Arbeitgeber" vermarktet wird.

Das alte und neue Kampagnen-Motto der Armee "Mach, was wirklich zählt" ist also bereits bewährt an der medialen Front. Aber dieser Slogan reicht offenbar nicht "mehr". Hinzu kommt aktuell als motiv-übergreifender Claim "Weil Du es kannst", nicht zuletzt auf Instagram aus dem Hause Meta als der von der Zielgruppe meistgenutzen "Social-Media"-Plattform.

Digitales Draufhalten und analoge Aufmerksamkeit sollen sich ergänzen: Die Hauptbotschaft jenes Plakates, das derzeit unter anderem an vielen Bahnhöfen bundesweit zu sehen ist, lautet:

"Du willst immer nur mehr (weil Du es kannst)."

Schon klar, das soll auch witzig wirken wegen der Übertragung von "Meer" zu "mehr". Mehr-Deutigkeit als Zielansprache, lustig.

Durchhalte-Parole?

Aber man sollte sich das mal auf der Zunge zergehen lassen, sofern nicht die Rest-Rübe schon komplett weich gekocht ist unter dem (mentalen) Stahlhelm: Es wird propagiert, der Soldat/die Soldatin solle "immer nur mehr" wollen. In diesen drei Wörtern steckt, bei aller bemühten Coolness, so viel Durchhalte-Parole, dass man sich an Zeiten vor rund 80 Jahren erinnert sieht.

Und siehe da: Ein Schiff wird kommen. Nicht irgendein Schiff, sondern ein deutsches Kanonenboot. Kanonenboot-Politik geht also – vorläufig in der Werbung – auch ohne Kaiser oder Führer. Ganz demokratisch. Und wohin geht es, "immer nur mehr", übers Meer?

Die deutsche Marine ist offenbar nicht vor Hamburg, Kiel oder Rostock unterwegs, um die Küsten des Vaterlandes zu verteidigen.

Der Horizont der neuen deutschen Kanonenboot-Politik scheint die ganze Welt: Ist es die Ostsee vor St. Petersburg? Ist man an Bord im Roten "Mehr"? Patrouilliert das Kriegsschiff mal wieder in der Formosastraße zwischen Taiwan und der VR China? Oder ist man dort sogar vor Anker gegangen?

Man weiß es nicht, ob mittlerweile nicht vielleicht auch Grönland oder der Panama-Kanal "verteidigt" würden. Imperialismus können nicht bloß Staaten wie die USA, China oder Russland. Auch die deutschen EU-Eurofighter wollen "immer nur mehr". Zumindest in ihrer Welt als Wille und Vorstellung.

Für eine "herausragende Karriere bei den Streitkräften"

Trefflich, dass auch die erwähnte Agentur an der Abschussrampe klare Zielvorstellungen hat: Die von ihr beworbene Bundeswehr sei ein "Arbeitgeber", der "Präsenz und Selbstbewusstsein" zeige. So kann man es auch nennen.

"Weil Du es kannst" inszeniere Chancen "für eine herausragende Karriere bei den Streitkräften" und trage dazu bei, "das Vertrauen in die Kompetenz der Bundeswehr zu stärken". Helm auf zum Gebet!

Und weiter geht das mediale Trommelfeuer: "Kaum ein anderer Arbeitgeber" versammele "so viele Spezialdisziplinen unter einem Dach". Kaum ein anderer fördere "die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit seiner Mitarbeitenden so konsequent".

Und schließlich auf zum letzten Gefecht: Junge Menschen erhielten hier "einzigartige Gelegenheiten, dazuzulernen, über sich hinauszuwachsen und einen wichtigen Beitrag zu leisten". Einen wichtigen Beitrag, wozu eigentlich?

"Freiheit verteidigen, Frieden sichern, Demokratie schützen"

Zum eigenen Getötet-Werden oder dazu, andere junge Menschen zu töten? Nein, davon natürlich kein Wort. Sondern der deutsch-dramatische Dreiklang von "Freiheit verteidigen, Frieden sichern, Demokratie schützen", wie es im Kampagnen-Video "Weil Du es kannst" auf YouTube heißt.

Was kommt als Nächstes?

Mitmachen!

Vielleicht ruft die Armee zum Mitmachen auf, auch beim Texten. Hier mein Vorschlag zum obigen Plakat. Womöglich muss ich dann ja nicht zum "Freiheitsdienst", falls mein Beitrag akzeptiert wird:

"Die Bundeswehr
ist wieder wer!
Dort auf dem Meer.
Und immer mehr!"

"Immer mehr", das kann natürlich auch Carlo Masala. Der medial nahezu omnipräsente Politik-Professor von der Münchener Universität derselben Bundeswehr (auch hier offenbar ein attraktiver und einzigartiger "Arbeitgeber"), von dem man nicht weiß, ob er denn praktischen Wehrdienst oder sonstigen Pflichtdienst geleistet hat (leider war in der Pressestelle der Bundeswehr-Uni am Freitagnachmittag per Telefon niemand zu erreichen, um das an der Stelle auch mal offiziell zu klären), dieser Professor Masala sagte jüngst im Gespräch bei n-tv, die deutsche Gesellschaft müsse "endlich resilient" werden:

Nur, wenn eine Gesellschaft bereit ist, die Kosten zu tragen, die ein Bündnisfall nach sich ziehen würde – und damit meine ich nicht nur die humanen Kosten (sic!), sondern ich meine die politischen und ökonomischen Kosten –, dann wird Ihnen alles nichts helfen, wenn eine Bundeswehr (zwar) einsatzbereit ist. Wenn (aber) eine Gesellschaft nicht hinter einem solchen Einsatz steht, wird ein solcher Einsatz nicht erfolgreich sein, weil dann der politische Druck (so) hoch ist, ihn abzubrechen.

Masala redet hier also über Krieg, spricht aber stets nur von "Bündnisfall" oder "Einsatz". Vor allem aber erwähnt er das massenhafte Töten und Getötet-Werden, Verletzen und Verletzt-Werden, Vertreiben und Vertrieben-Werden nur im Nebensatz als "humane Kosten".

Wie ein Schachspieler, der Bauern buchstäblich "im Vorübergehen" schlägt. Allerdings ist das Ganze kein Spiel, sondern längst bitterer Ernst. Und die großartige Bundeswehr als toller "Arbeitgeber" hier wie da mittendrin statt nur dabei.

Was bliebe zu sagen? Es gibt einen tatsächlich treffenden Vierzeiler, dessen genau Herkunft gewissermaßen im Gefechts-Dunst nicht ganz klar erscheint, der aber vermutlich an Bundeswehr-Stammtischen (analogen und digitalen) kein Gesprächsstoff ist – dieser Tage war der Schüttelreim auch im Podcast 99zuEins zu hören, als Zitat aus einem nicht näher bezeichneten Buch.

"Ein Krieger, der fürs Vaterland
mit einem Bein im Grab schon stand,
verlor dieses zu seinem Glück
just in demselben Augenblick."

So kann man es auch sagen. Ganz ohne Staatsräson und Werbe-Etat. Auf den Punkt.