Warum Deutschland bis 2029 kriegstüchtig sein soll

Panzer vor einem EU-Logo

Deutschland rüstet massiv auf, um bis 2029 kriegstüchtig zu sein. Eine Studie erklärt, warum das nötig sei. Droht bald ein großer Krieg?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat eine Zeitenwende für Deutschland ausgerufen. Und was das bedeutet, hat Verteidigungsminister Boris Pistorius (ebenfalls SPD) kürzlich erklärt: Bis 2029 muss Deutschland kriegstüchtig sein, um glaubhaft abschrecken und einen Krieg verhindern zu können.

Pistorius stand mit seinen Worten nicht allein, sondern brachte lediglich eine Debatte auf den Punkt, die im außenpolitischen Establishment der Bundesrepublik längst geführt wird. Ein anderes Beispiel: Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) legte Ende Mai eine Analyse vor, warum Deutschland wieder gegen Russland aufrüsten muss.

Stiftung Wissenschaft und Politik berät bei Aufrüstungsdebatte

Die SWP ist in solchen Debatten keine Unbekannte, und ein Blick in den Stiftungsrat lässt vermuten: Ihre Stimme wird gehört. Der Chef des Bundeskanzleramtes ist stellvertretender SWP-Präsident. Staatssekretäre verschiedener Bundesministerien sind ebenso vertreten wie Bundestagsabgeordnete und Vertreter der Wirtschaft.

Nach den US-Präsidentschaftswahlen im November könnten die europäischen Länder vor einer weiteren Zäsur stehen, heißt es in der SWP-Studie. Unabhängig davon, ob Donald Trump oder Joe Biden die Wahl gewinnt, dürften die Aktivitäten des US-Militärs in Europa abnehmen.

USA setzen Prioritäten: Indopazifik vor Europa

Die USA werden sich auf den indopazifischen Raum konzentrieren. Sollte sich Taiwan von China abspalten und es deshalb zu einem Krieg kommen, hätte dieser für Washington Priorität. Die Ukraine könnte dann nicht mehr mit der bisherigen Unterstützung rechnen. Dann wären die Europäer gefordert.

Präsidentschaftskandidaten unterscheiden sich in außenpolitischen Ansätzen

Die SWP ordnet die beiden Präsidentschaftskandidaten unterschiedlichen außenpolitischen Strömungen zu: Trump stehe den sogenannten "Restrainers" nahe, die für ein selektives, an nationalen Interessen orientiertes internationales Engagement der USA eintreten.

Sie fordern eine Reduzierung des sicherheitspolitischen Engagements und eine Verlagerung der Lasten auf die europäischen Verbündeten. Dies könne zu einer "europäisierten Nato" führen, in der die USA nur noch die Rolle eines "Logistikdienstleisters" und "Garanten freier Seewege" spielten.

Biden hingegen wird dem Lager der "Primacists" zugerechnet, die die globale Vormachtstellung der USA durch militärische Überlegenheit erhalten wollen. Allerdings sei auch der Biden-Administration bewusst, dass die USA nicht gleichzeitig Kriege gegen Russland und China führen könnten.

Im Zweifelsfall würde ein Konflikt um Taiwan Vorrang haben. Deshalb werde auch eine Biden-Administration auf eine stärkere Lastenteilung mit den Europäern drängen.

Beide US-Szenarien erfordern stärkeres Engagement Europas gegenüber Russland

In beiden Szenarien sieht die SWP die Hauptaufgabe deutscher Sicherheitspolitik darin, gemeinsam mit den Partnern in EU und Nato Abschreckung und Verteidigung gegenüber Russland zu gewährleisten. Die Studie fordert, alle Aspekte der Bundeswehrplanung auf dieses Ziel auszurichten.

Der Verteidigungshaushalt müsse ab 2028 auf 75 bis 80 Milliarden Euro steigen. Symbolische Bundeswehreinsätze im Indopazifik werden ebenso abgelehnt wie die Fortsetzung des internationalen Krisenmanagements. Deutschland müsse von Auslandseinsätzen "Abstand nehmen", um sich voll auf die Landes- und Bündnisverteidigung konzentrieren zu können.

USA erwägen Fähigkeit zur Führung von drei Kriegen gleichzeitig

Die Bundesregierung bewegt sich bereits in diese Richtung, wie Pistorius im Bundestag deutlich machte. Um die Personalstärke zu erhöhen, wird über eine neue Form der Wehrpflicht nachgedacht. Auch die Reserve soll verstärkt werden. Es wird bereits gefordert, 900.000 Reservisten auf eine mögliche Mobilisierung hin zu überprüfen.

Die zunehmende Bereitschaft der europäischen Nato-Staaten, sich auf den Kriegsfall vorzubereiten, kommt den USA noch in einem weiteren Punkt entgegen. Dort denkt man bereits darüber nach, nicht mehr nur zwei Kriege gleichzeitig führen und gewinnen zu können, sondern drei: gegen Russland und China sowie im Nahen Osten. Das geht aber nur, wenn die eigenen Verbündeten hochgerüstet sind.