Burkaverbot in der Schweiz: Als würde Afghanistan die Wehntaler Tracht verbieten
Mit knapper Mehrheit hat sich der Schweizer Nationalrat für ein Verbot von Burka, Niqab und Co. ausgesprochen
Das afghanische Parlament hat sich am Dienstag für ein Verbot der Wehntaler Tracht ausgesprochen. Mit knapper Mehrheit votierten die Abgeordneten des Unterhauses Wolesi Dschirga dafür, das Tragen des schweizerischen Schleiers zukünftig in der Öffentlichkeit zu verbieten. Parlamentssprecher Mohammad Younis Qanooni sagte, die Tracht "symbolisiert die fehlende Integrationsbereitschaft von Menschen, die aus Aargau zu uns an den Hindukusch" kommen und sei "mit dem paschtunischen Menschenbild nicht zu vereinen". Damit kommt das afghanische Parlament einer Forderung nach, die zuerst die schweizkritischen Taliban erhoben hatten.
Die Meldung ist natürlich Quatsch. So wenig die Wehntaler Tracht auch mit der islamischen Grundordnung Afghanistans gemein hat, so sicher ist auch, dass niemand in Afghanistan auf die Idee käme, sie zu verbieten. Der einfache Grund: In Afghanistan trägt niemand das schwarz-blaue Kleid mit Fächer-Mütze. Ganz anders verhält es sich in der Schweiz. Dort trägt zwar auch niemand die afghanische Burka, verboten werden soll sie dennoch. Hier die echte Meldung:
Die große Kammer des Schweizer Parlamentes, der Nationalrat, hat sich am Dienstag mit einer knappen Mehrheit von einer Stimme für ein landesweites Burkaverbot ausgesprochen. 88 Abgeordnete stimmten für ein Verbot. 87 dagegen. Zehn Abgeordnete enthielten sich. Dadurch könnte landesweit in der Schweiz bald gelten, was im schweizerischen Kanton Tessin schon Realität ist. Infolge einer Volksabstimmung im September 2013 gilt dort seit Juni dieses Jahres das sogenannte Burkaverbot, das neben dem afghanischen Gesichtsschleier auch die saudische Variante "Niqab" meint.
Sechs Schleier-Trägerinnen wurden seit dem Verbot verwarnt
Trägerinnen des letzteren gibt es dort tatsächlich einige. Insgesamt sechs Niqab-Trägerinnen sollen bisher polizeilich verwarnt worden sein. Bei allen handelte es sich um Touristinnen vom Golf. Einheimische Niqab-Trägerinnen gab es in Tessin auch schon vor dem Verbot nicht.
Die Volksinitiative "Ja zum Verhüllungsverbot" sammelt trotzdem momentan Unterschriften für ein landesweites Verbot. Die Initiatoren aus dem Umfeld der "islamkritischen" SVP haben noch bis zum 15. September 2017 Zeit, die erforderlichen 100.000 Unterschriften zusammenzubringen. Laut aktuellen Umfragen würden zurzeit rund 60 Prozent der Schweizer für ein Verbot votieren.
Burka-Debatte? "Natürlich aus Populismus heraus"
Noch größer ist die Ablehnung gegenüber von Schleiern, die niemand trägt (Burka) und die einige hundert Frauen tragen (Niqab), allerdings im Nachbarland Deutschland. Im ARD-Deutschlandtrend forderten 81 Prozent der Befragten, muslimischen Frauen das Tragen von Burka oder Niqab in Teilen der Öffentlichkeit zu untersagen. Nach wochenlanger medialer Diskussion hatten sich darauf auch die Innenressortschefs von CDU/CSU geeinigt. Geht es nach ihrem Willen, soll das Tragen von Burka und Niqab in Zukunft im öffentlichen Dienst, in Kindergärten, Schulen, Hochschulen, bei Passkontrollen, Demonstrationen und in Gerichtssälen verboten sein.
Erneut auf die politische Tagesordnung kam das Thema, als der Bundesrat die Bundesregierung am 23. September aufforderte, ein Vollverschleierungsverbot in Gerichtsverfahren zu prüfen. In der Entschließung "Freies Gesicht im rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren" heißt es zur Begründung, Verfahren erforderten, dass die Beteiligten sich vor Gericht zu erkennen gäben und auch ihr Gesicht zeigten. Die Möglichkeit dies einzufordern, bietet heute allerdings auch schon das Prozessrecht.
Eine ungewöhnlich ehrliche Erklärung, warum man die Diskussion dennoch am Laufen halten wolle, lieferte vergangene Woche die Junge Union. Bei einer Veranstaltung am Vorabend der Bundesratsentscheidung sagte JU-Vorsitzender Paul Ziemiak, man besetze das Thema "natürlich aus Populismus heraus".
Hoffen auf afghanische Verhältnisse in der Schweiz
Zumindest die schweizerische Gesetzgebung könnte allerdings von diesem Motiv verschont bleiben. Ähnlich wie in Afghanistan muss in der Schweiz einem Burkaverbot noch die zweite Kammer des Parlaments zustimmen.
Es gilt allerdings als unwahrscheinlich, dass der Ständerat, in dem 26 Kantone vertreten sind, dies tun wird. Dessen Staatspolitische Kommission votierte schon Anfang des Jahres mit 10 zu 1 Stimmen deutlich gegen das Schleier-Verbot. Die nüchterne Begründung damals: "Was die religiös motivierte Verhüllung betrifft, so stellt die Kommission fest, dass sie in der Schweiz äußerst selten anzutreffen ist und somit kein reelles Problem darstellt, das nach einer gesetzgeberischen Lösung ruft."