Bush hat die ganze Welt zum Hinterhof der USA gemacht

Der pakistanische Romanautor und Historiker Tariq Ali zu dem Krieg in Afghanistan, passiven Fernsehzuschauern und staunenden Politikern

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Tariq Ali ist Autor zahlreicher politischer Sachbücher. Er befasst sich nicht nur mit dem zentralasiatischen Raum, sein letztes politisches Buch mit dem Titel "Masters of the Universe? Nato's Balkan Crusade" handelt vom Jugoslawienkrieg 1999. Erschienen sind von ihm auch fünf Romane, der jüngste trägt den Titel "Die steinerne Frau". Er veröffentlicht regelmäßig in dem US-amerikanischen Polit-Onlinemagazin Z-Net

Tariq Ali wurde 1943 in der Stadt Lahore geboren, die damals zum britisch besetzten Indien gehörte. Ausgebildet wurde der Schriftsteller und Historiker in Pakistan und Oxford. Wegen seiner oppositionellen Haltung zur pakistanischen Militärdiktatur in den sechziger Jahren wurde er ins britische Exil gezwungen. Dort ist er seither in der Friedensbewegung aktiv. Am 12. Januar wird er auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung junge Welt über den Afghanistankriege und die Folgen für die Region referieren.

Eine These zu Beginn mit der Bitte um Ihren Kommentar: Der Krieg in Afghanistan ist eine direkte Konsequenz der neoliberalen Globalisierung.

Tariq Ali: Ich denke nicht, dass man das so sagen kann. Der Krieg in Afghanistan war ja nicht geplant. Es ist ein Krieg, der aus einer sehr akuten Not der Regierung der Vereinigten Staaten geboren wurde. Es ist der Krieg einer Regierung, die darauf setzt, ihre Popularität mit Bomben wieder herstellen zu können. Es ist ein blinder Vergeltungskrieg, der ein ganzes Land für die kriminellen Anschläge des 11. September in die Pflicht nimmt, die aber ganz offensichtlich einzelne Schuldige zu verantworten haben.

Ich behaupte also, dass George W. Bush mit diesem Krieg versucht, seine Reputation in den Vereinigten Staaten wieder herzustellen. Unmittelbar nach dem 11. September war er schließlich wie vom Erdboden verschwunden und wurde einige Tage nicht gesehen. Diese Flucht in dem Präsidentenflugzeug Air Force One hat ihm bei der eigenen Bevölkerung enorme Minuspunkte eingebracht. Zeitungen und Fernsehstationen führten tagelange Kampagnen gegen ihn. Die Entscheidung, US-Truppen in den Krieg zu schicken, ist also eindeutig als Versuch zu werten, diese Situation zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Die primären Gründe für diesen Krieg sind innenpolitische.

Diese Grundanalyse im Hinterkopf dürfen wir aber nicht davon ausgehen, dass Washington die Chance nicht nutzen wird, die Weltkarte in ihrem Sinne neu zu gestalten. Mit dem Krieg in Afghanistan wird also auch der Grundstein für Interventionen in anderen Teilen der Welt gelegt. Mit dem 11. September ist eine Entwicklung verstärkt worden, denn schon vorher sind die Vereinten Nationen als politische Instanz unter dem Druck der USA von der internationalen Bühne abgetreten. Ihre Rolle hat die NATO eingenommen. Das alles zählt jetzt nicht mehr. Für Washington gibt es künftig ein sehr einfaches Prinzip nach dem Motto: "Wenn irgend jemand unsere Interessen gefährdet, gehen wir da rein und treten ihm kräftig in den Arsch!"

George W. Bush hat schon vor einigen Wochen angekündigt, dass dieser Krieg sich "grundlegend von allen Kriegen der Vergangenheit unterscheiden" wird. Stimmen Sie mit dieser Einschätzung überein?

Tariq Ali: Ja, und zwar in dem beschriebenen Sinn. Die USA werden sich nun in der ganzen Welt genau so aufführen, wie sie es rund anderthalb Jahrhunderte in Lateinamerika getan haben. George W. Bush hat nun die gesamte Welt zum Hinterhof der USA gemacht. Es ist ganz offensichtlich, dass den großen Mächten China, Russland und Indien ein solches Verhalten nie möglich wäre.

Wir werden künftig Zeugen von kurz- oder mittelfristigen Allianzen werden, die einzig von einem funktionellem Interesse der USA bestimmt sein werden. Das alles bringt die Führung der Europäischen Union natürlich in eine schwierige Situation. Bislang haben sie immer versucht, als Teil des globalen Spiels akzeptiert zu werden, während Washington nun sagt: "Ihr könnt gerne mitmachen, Leute, aber angewiesen sind wir auf euch nicht."

Sie haben Lateinamerika erwähnt. Erwarten Sie denn unmittelbare Auswirkungen auch für nicht-islamische Länder?

Tariq Ali: Natürlich. Dabei wird als Nebenschauplatz als nächstes Kolumbien ins Visier der USA geraten, denn dort sind sie schon seit geraumer Zeit involviert. Die Aktivität von Todesschwadronen gehört dort schon zum festen Bestandteil des politischen und sozialen Konfliktes. Todesschwadronen sind in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhundert in Lateinamerika von den USA mehrmals unterstützt worden.

Kuba, als Erzfeind Washingtons, wird in den Stellungnahmen der Bush-Administration aber nicht erwähnt.

Tariq Ali: Kuba in Ruhe zu lassen, ist das Intelligenteste, was Washington zur Zeit machen kann. Sie werden wohl eher darauf warten, dass Fidel Castro stirbt, um dann durch einen verstärkten politischen und wirtschaftlichen Einfluss den Übergang zum US-Kapitalismus zu erzwingen. Also lassen Sie uns hoffen, dass er noch Tausend Jahre leben wird. Die kubanische Armee ist aber sehr stark. Ein Bombardement von Kuba wie derzeit von Afghanistan würde sich ungleich schwieriger gestalten. Aber in Kolumbien ist ein solcher Gedanke gar nicht weit hergeholt.

Wie schon im Fall von Jugoslawien vor zwei Jahren ist in kürzester Zeit auch in Afghanistan eine neue, mehr oder weniger westlich orientierte Regierung aus dem Boden gestampft worden. Wie stabil können solche Regimes sein?

Tariq Ali: In Jugoslawien hatten wir aber andere Rahmenbedingungen, denn das Kosovo ist ja ein NATO-Protektorat. Das stellt die Frage nach der Stationierung von NATO-Truppen in ein ganz anderen Licht. Aber auch dort sind die politischen Strukturen noch immer recht instabil. Die neuen Regierungen in der gesamten Region hängen quasi am Tropf der NATO, denn ohne deren Truppen wären sie kaum überlebensfähig.

Im Fall von Afghanistan wird der Westen kaum in der Lage sein, Truppen langfristig zu stationieren. Sie werden wohl kurzfristig die Lage unter ihrer Kontrolle behalten, aber die sogenannte Nordallianz ist nichts anderes als eine Koalition von Monstern. Sie haben sich schon immer bekämpft. Der einzige Weg, einer Zentralregierung die nötige Autorität zu verschaffen, ist die Bestechung der mächtigen Gruppen. Die USA werden dafür massiv Geld in das Land pumpen müssen. Das werden sie aber nicht lange durchhalten, so dass wir davon ausgehen können, dass es in Afghanistan schon bald wieder krachen wird.

Was aber sind für Sie die Parallelen zwischen Jugoslawien 1999 und der derzeitigen Situation in Afghanistan?

Tariq Ali: Lassen Sie uns mit den Unterschieden beginnen und da ist an erster Stelle zu nennen, dass der Krieg in Jugoslawien mit der massiven Unterstützung der starken Länder der Europäischen Union gefochten wurde. Das Mittel dazu war die NATO. Besonders Frankreich hat in dieser Allianz eine mäßigende Wirkung gehabt und weitreichendere Bombardements abgewendet. Doch auch trotz dieser Stimme sind die Schäden in Jugoslawien heute noch überall zu sehen, vor allem die zerstörten Brücken. Vor wenigen Tagen erst habe ich den jetzigen Präsidenten Zoran Djindjic klagen hören, dass ihm Gelder versprochen wurden, wenn Milosevic ausgeliefert würde. Auf diese Gelder wartet er noch heute. Vergleichen wir diese Entwicklung mit dem "Kreuzzug" in Afghanistan, dann fällt zunächst natürlich ins Auge, dass dort allein die USA bestimmen. Da unten sind jetzt zwar auch britische und französische Truppen stationiert und sogar Joschka Fischer und Gerhard Schröder wurde erlaubt, deutsche Soldaten in die Region zu schicken. An dem Handeln der US-Armee wird das aber nichts ändern.

Auf der Petersberg-Konferenz bei Bonn sind wir gerade Zeugen davon geworden, wie eine neue Regierung für Afghanistan gebildet wurde, deren Zusammensetzung sich ausschließlich an Machtinteressen orientiert. Auf der anderen Seite wird der Krieg zumindest in Europa mit moralischen Argumenten legitimiert. Ist nicht doch zu erwarten, dass dieser Widerspruch bei der Mehrheit der Bevölkerung nicht früher oder später Protest hervorruft?

Tariq Ali: Er kann auf Dauer sicher nicht aufrechterhalten werden. Das Problem ist aber, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung in Europa in einem Dornrösschenschlaf befindet. Es gibt einfach kein Interesse, sich mit diesen Widersprüchen auseinander zusetzen. Aber auch die EU-Regierungen machen gerade keine gute Figur, denn ihnen ist klar, dass die USA hier machen was sie wollen. Dieser Krieg hat einfach nichts mehr mit einer "humanitären Intervention" gemein, oder der Verhinderung eines zweiten Holocaust oder anderen schwachsinnigen Scheinargumenten. Es ist ein Krieg um Macht.

Diejenigen Politiker in Europa, die mit solchen Begründungen und Parallelen etwa vor zwei Jahren während den Angriffen auf Jugoslawien den Grundstein für diese Entwicklung gelegt haben, sehen den Ereignissen nur noch mit offenem Mund staunend zu und dabei sehen sie ziemlich blöd aus. Nehmen wir Tony Blair. Es ist gar nicht lange her, da hat er wie Ihr Verteidigungsminister diese Vergleiche mit dem Holocaust angestrengt. Nun ist er verdammt still geworden und traut sich noch nicht einmal zaghaft Stellung zu nehmen. Diese Leute wissen sehr gut, was hier gerade passiert.

Eine Unterscheidung zwischen Widerstand und Terrorismus scheint dringend nötig, um eine Opposition gegen diese Entwicklung aufzubauen. Wer könnte dieser Aufgabe gerecht werden?

Tariq Ali: Auf gar keinen Fall diejenigen, deren Politik auf Staatsterrorismus fußt. Warum sollte der israelische Regierung die Terrorismusdefinition überlassen werden, während sie die weltweit terroristischste Politik betreibt. Warum sollte es den USA überlassen werden, wenn sie alle fünf Kontinente seit sechzig Jahren mit Terror überziehen? Keiner einzelnen Gruppe kann eine solche Definition überlassen werden, aber der Westen nimmt sich dieses Recht aufgrund der ökonomischen Machtverhältnisse einfach heraus. Das führt zu einer gefährlichen Polarisierung, denn jeder, der sich gegen die westliche Politik ausspricht - und sei es die interne Opposition - wird zu einem Gegner, also Terroristen gemacht.

Die Antiterrorgesetze, die nun in Deutschland, anderen europäischen Staaten und den USA in einem enormen Tempo in Kraft treten, werden in Zukunft gegen die sogenannten Globalisierungsgegner angewendet werden. Oder gegen klassische Aktionsformen der Ökologiebewegung, also die Blockade von Eisenbahnschienen oder die Besetzung von Kernkraftwerken. Künftig können sie alle als Terroristen verfolgt werden.

Dafür ist aber auch die Darstellung dieser Proteste ein entscheidendes Moment. Inwieweit nehmen die Medien auf die Entwicklung Einfluss?

Tariq Ali: Vor allem verstärken sie sie derzeit, denn sie sind Teil der Kriegsstrategie. Besonders die großen internationalen Fernsehnetzwerke haben sich als elementarer Bestandteil der modernen Kriegsführung bewährt. Ihre Aufgabe ist, die Bevölkerung passiv zu halten. Im Fernsehen wird den Menschen auf beeindruckende Weise der Kampf des "Guten gegen das Böse" vorgeführt. Der herrschaftspolitische Subtext ist, dass es so allen ergeht, die sich gegen die Machtinteressen wenden. Das Denken wird den Menschen abgenommen, sie nehmen die Bilder auf und verharren vor ihren Fernsehgeräten, während sie zusehen wie in den Zielgebieten Tausende unschuldiger Menschen massakriert werden. Das Perverse ist, dass es den Menschen ja noch nicht einmal vorenthalten wird, sondern sie den Krieg vorgespielt bekommen und trotzdem passiv bleiben.

In ganz Europa sind derzeit diejenigen in einer sehr starken Position, die uneingeschränkt solidarisch an der Seite der USA stehen. Alle anderen werden diffamiert und aus dem politischen Diskurs ausgeschlossen. Mit dem Vormarsch dieser Kräfte verabschiedet sich nicht nur das selbsttätige Denken, sondern anscheinend auch jegliches historisches Bewusstsein. Kaum jemand wirft ja die Frage auf, wie die Krise in Afghanistan auf lange Sicht überhaupt entstanden ist. Den Medienmachern ist auf diesem Gebiet kaum eine Grenze gesetzt. Geschichte kann nach Belieben neu geschrieben werde, wenn es nur oft genug wiederholt wird, glauben es die Menschen. Geschichtliche Zusammenhänge werden aus dem Kontext gerissen und nach eigenen Gutdünken verwendet.

Es bleibt aber doch noch Handlungsspielraum?

Tariq Ali: Jeder, dem diese Lage klar ist, sollte alles dazu beitragen, dass unabhängige Stimmen gehört werden. Die Tatsache, dass es alternative Medien, Zeitungen und Radiostationen, gibt, ist ein ganz wichtiger Aspekt in diesem Kräftemessen. Auch das Internet hat sich in den letzten Jahren zu einem zentralen Kommunikationsmittel alternativer Strukturen entwickelt.

Stichwort Medien: Halten Sie die Kritik an dem unlängst von Washington veröffentlichten Bin-Ladin-Video in der arabischen Welt für erste Anzeichen vom Zerfall der sogenannten Anti-Terror-Allianz?

Tariq Ali: So weit würde ich nicht gehen. Dieses sogenannte Beweisstück ist in der Tat dermaßen unsinnig, dass doch niemand allen ernstes davon ausgehen konnte, dass es zur Legitimation des Krieges in Afghanistan beiträgt. Ich denke vielmehr, die Medien in Europa werden nur dann wieder kritischer berichten, wenn sich auch die nationalen Regierungen aus der Umklammerung der USA lösen, in die sie sich größtenteils freiwillig begeben haben. Im Moment sehe ich dafür allerdings kein Anzeichen. Wir sind in der historisch einmaligen Situation, dass in den führenden Ländern der Europäischen Union keine einzige Regierungspartei, noch nicht einmal in der innerparteilichen Opposition, Zweifel an diesem Krieg anmeldet. Das bleibt nicht ohne Folgen. Sehen Sie, ich gebe im Moment wirklich viele Interviews. Wenn ich mit europäischen Journalisten spreche und den Krieg in Afghanistan als Vergeltungskrieg bezeichne, gebe ich damit den Startschuss für eine Diskussion um die Notwendigkeit dieses Krieges und höre dabei immer die gleichen schwachsinnigen Argumente. Wenn ich gegenüber einem US-Journalisten diese These vertrete, sagt er wahrscheinlich: "Natürlich ist es ein Vergeltungskrieg - na und?!"

Auffällig ist in dem Konflikt die anscheinend kulturelle oder religiöse Scheidelinie. Ist der Westen, vorausgesetzt er macht sich die Strategie Bushs zueigen, auf einen Kampf der Kulturen á la Samuel Huntington angewiesen?

Tariq Ali: Nein, wir reden hier nicht über einen Kampf der Kulturen, sondern über einen Kampf der Fundamentalismen. Auf der einen Seite steht der islamische Fundamentalismus, auf der anderen Seite der US-amerikanische Amerikanismus als Glauben, dass die politische, wirtschaftliche und kulturelle Ordnung der USA ein Modell für die ganze Welt ist. Dissidenten wie ich, lehnen beide Formen ab.

Haben islamisch-fundamentalistische Gruppen in der moslemischen Welt denn tatsächlich den Einfluss, der ihnen von westlichen Medien zugeschrieben wird?

Tariq Ali: Die islamisch-fundamentalistischen Gruppen sind nicht so groß, nein. Aber eine grundlegende und althergebrachte Strategie in der Kriegsführung ist die vorsätzliche Überbewertung des Feindes. Das lässt der Heimatfront gegenüber einen größeren Handlungsspielraum zu.

Sie sind in Pakistan geboren und leben und arbeiten heute in London. Welche Perspektive zeichnen Sie für die multikulturelle Gesellschaft vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung?

Tariq Ali: Die multikulturelle Gesellschaft wird nicht negativ berührt werden. Was vielmehr versucht werden wird, ist, den politischen Widerstand im allgemeinen zu brechen. Dabei geht es nicht um ethnische oder religiöse oder anders geartete kulturelle Konflikte. In England ist gerade der Fall eines Labour-Abgeordneten im House of Common durch die Presse gegangen, der zum Lord ernannt werden sollte. Dann kam heraus, dass er den Krieg in Afghanistan kritisiert und er wurde von allen Seiten massiv unter Druck gesetzt. Dieser Fall zeigt die Entwicklung auf. Konformität in den Machtzentren und Konformität weltweit wird der eigentliche Sieg dieses Krieges sein. Es ist ein Krieg gegen die Freiheit.