Bush in Mainz
Reportage vom Ausnahmezustand
Kalt war es. Es schneite leicht. Doch die Straßen waren frei. Nicht nur frei von Schnee, frei von Autos. Morgens um Acht von Süden her in die Innenstadt zu fahren, war, entgegen aller prognostizierter Chaos-Szenarien, kein Problem. Von anderen Richtungen her muss es ähnlich leicht gewesen sein. Das eindringlichste Zeichen, dass am Mittwoch etwas anders war, war jedoch nicht der dünne Verkehr, sondern der Fuchs-Spürpanzer der Bundeswehr, der in der Früh den Mainzer Süden durchquerte. Auch noch nie gesehen: Im Kaufhaus stand ein Herr mit Pistole am Gürtel vor der Kasse. Gefragt, zu wem er gehört, wollte er erst den Presseausweis sehen und zeigte dann seine Kripo-Marke. Zwei Plastiktüten durfte man an der Kasse auch nicht bekommen - aus Sicherheitsgründen. Der US-Präsident war in der Stadt und Mainz im Ausnahmezustand.
Werden alle, die wollen, in die Stadt kommen? Wird es Ausschreitungen geben? Wie rigide sind die Kontrollen und Maßnahmen der Polizei? Das waren die Fragen noch am Mittwochmorgen. Doch es fing ganz ruhig an. Um viertel nach zehn fand am Schillerplatz vor dem Offizierskasino eine symbolische Schrubberaktion statt. Etwa ein Dutzend junger Leute kehrte die Straße, wischte Straßenschilder, reinigte sogar Pflasterfugen mit Zahnbürsten. "Ich putze für Sicherheit und Ordnung" oder "1 Euro Jobs nur für Bush" stand auf ihren Schildern. "Ich sorge für Bush, wie er für die Welt", kommentierte Tabea das Ganze. Mit Freunden und Bekannten vom attac Campus war sie in Mainz. "Wir danken damit für die guten Dinge, die Bush der Welt tut."
Am Südbahnhof fand eine "Demo für Deutsch-Amerikanische Freundschaft" statt. Die Gegendemonstranten hatten angekündigt, sich unter die Demonstranten mischen und diese "Kriegstreiber-Demo" mit Plakaten wie "Danke USA für mehr Krieg!" und "Mehr Folter!" persiflieren zu wollen. Dazu kam es nicht. 40 Polizisten trennten die beiden Parteien auf dem kleinen Bahnhofsvorplatz. Die 100 Bush-Kritiker konnten sich den 30 Pro-Bush-Leuten nicht nähern. So lief die Diskussion über die Schultern der Polizisten, die sich bemühten, keine Emotionen zu zeigen.
Brigitte Wacheck vom Freundschaftskreis Mainz-Louisville findet es schade, "dass die Deutschen so uninformiert sind über die Verhältnisse in den USA". Sie vermisst, dass den Amerikanern das "Ringen nach Lösungen" anerkannt wird. Selbstverständlich sei "keiner für Krieg" und natürlich müsste man "Kollateralschäden begrenzen", aber deswegen demonstrieren? "In Bauzen in der DDR sind auch Leute mit Genickschuss hingerichtet worden. Da hat in Deutschland niemand protestiert."
Greg Grabinski, Blogger bei Medienkritik Online, das die Pro-Bush-Demo organisiert hat, provozierte die andere Seite mit seinem Plakat "Peace through superior airpower". Dennoch findet er, dass sich die Ziele der Demonstranten auf beiden Seiten decken. Nur die Logik ist anders: Wenn überall Demokratie herrscht, wird es keine Kriege mehr geben, meint er. Um Demokratie einzuführen, scheinen alle Mittel recht. Ob die 500.000 durch die US-forcierten Irak-Sanktionen gestorbenen Kinder "es wert" waren - wie Madeleine Albright fand. um dem Irak Demokratie zu bringen? "Die Sanktionen waren falsch, aber 1990 dachte man noch, es geht nicht anders." Der Demonstrant Paul springt ihm zur Seite: "Sogar sechs Millionen wären es wert! Die Diktatur hat immer Unrecht und die Demokratie hat immer Recht!" Und die USA hätten ja zugegeben, dass es ein Fehler gewesen sei, Diktaturen unterstützt zu haben. Warum auch nach 9/11 etwa im Kaukasus noch repressive Regime unterstützt würden, blieb unbeantwortet. Notwendig sei jedenfalls der Regime Change im Iran, "weil die Frauen unterdrückt werden".
Die Opposition der Anti-Bush-Demonstranten war jedoch eher persönlicher oder pauschalisierender Natur. Wegen ihrer Dialogbereitschaft punkteten daher am Südbahnhof die Bush-Freunde. "Konfliktpotential" gab es am Südbahnhof jedenfalls keins, urteilte eine Polizistin von einem erfahrenen Berliner Anti-Konflikt-Team, die gestern überall unterwegs waren.
Fassenacht des Krieges
Zur Hauptkundgebung vor Beginn des Protestumzugs hatten sich in der Kaiserstraße bis zu 3.000 Demonstranten eingefunden. "Aber ohne die Presse sind es schon viel weniger", kommentierte ein Polizist. Das Spektrum reichte von Punks und Hippies über Exil-Iraner und Pazifisten bis hin zu Rentnern und einfachen Mainzer Bürgern. Die Musik und die Verkleidungen konnten aber nicht über den Unmut der Mainzer Bevölkerung hinwegtäuschen.
Neben der Sperrung der Innenstadt, der Behinderung des Verkehrs und der Arbeit herrschte wenig Verständnis für die intensiven polizeilichen Maßnahmen, die die Stadt schon Tage lang beeinträchtigten. Auch außerhalb des abgesperrten Bereichs waren Briefkästen abmontiert worden und befanden sich erste Sperren, die man nur mit berechtigtem Interesse passieren durfte. Viele störten allein schon die Kosten des Polizeiaufwandes. "Viele Mainzer sind ziemlich genervt", meinte Mirko, der gestern nicht zur Arbeit gehen konnte.
Die Theatergruppe antagon theater aktion macht schon seit 15 Jahren politisches Schauspiel, in Deutschland, Spanien, Kuba oder Dienstag noch in Laos. Für Bernhard Bub ist das nonverbale Schauspiel ein Weg, Missstände und ihre Alternativen aufzuzeigen. Antagon stellte in Mainz die Situation in dem rechtlosen US-Gefängnis von Guantanamo dar. "Es geht um Menschenwürde", interpretierte Bub als Guantanamo-Aufseher in Original-US-Uniform, "dass wir ein würdiges Verhältnis zueinander und zu diesem Planeten haben, für alle und nicht nur für die sogenannte 'zivilisierte Welt'."
Bei den meisten richtete sich der Unmut gegen die USA, personifiziert im Präsidenten. Ein Hindernis stellte dabei § 103 StGB dar, der die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes unter Strafe stellt. Einige Plakate wurden beschlagnahmt und die Personalien der Besitzer aufgenommen. Anfangs ging die Polizei auch gegen ein Plakat von linksruck.de vor, auf dem Bush als "Terrorist Nr. 1" bezeichnet wird. Da diese Plakate jedoch so zahlreich waren, gab die Polizei gegen Mittag auf, alle Personalien aufzunehmen. "Wenn die Wahrheit eine Beleidigung ist, muss man sie trotzdem aussprechen können", meint Thomas Klein, Pressesprecher des organisierenden Bündnisses notwelcomebush.de.
Zunehmend auch Deutschland in der Kritik
Auf der Abschlusskundgebung sprach niemand, der nicht auf anderen Friedenskundgebungen schon gesprochen hätte. Und doch ist etwas neu: Zunehmend durch ihre neoliberale Politik und erst recht durch die transatlantische Versöhnung ist die rotgrüne Bundesregierung in die Kritik geraten. Der PDS-Landesvorsitzende Albert Schtschepik kritisierte die "kriegsfreundliche Politik" der Bundes- und Landesregierung, etwa beim Ausbau der US-Basen in Ramstein und Spangdahlem. Der Europaparlamentarier Tobias Pflüger kritisierte die fortschreitende Militarisierung der EU-Außenpolitik, bei der Deutschland eine treibende Kraft sei. "Die neue Freundschaft zwischen Deutschland und Amerika bedeutet Krieg für viele Länder im Süden. Diese Freundschaft wollen wir nicht", rief Pflüger.
Wer gestern in Mainz war, fragt sich, ob die Versetzung einer Stadt in den Ausnahmezustand und die damit verbundenen Kosten notwendig waren. Erst recht, da alle Aktionen vorbildlich und gesittet abliefen. So war der brenzligste Moment vielleicht wirklich der vermummte Halbstarke am Dom. Doch über den amüsierte sich sogar die Polizei, die mit 7.000 Mann bei 12.000 Demonstranten angerückt war. Die Polizei habe mit ihren Durchsuchungen und Personalienaufnahmen die Sicherheitsmaßnahmen "ins Absurde getrieben", kritisiert der Veranstalter. Für René Naumann von der Mainzer Polizei ergibt sich die Frage nach der Notwendigkeit jedoch nicht. Seit 9/11 gälten "andere Bedingungen, denen wir uns einfach stellen mussten". Und so wurden die Polizeimaßnahmen gemeinsam mit BKA und amerikanischen Sicherheitsbehörden umgesetzt. Insgesamt sei das "Konzept aufgegangen", findet Naumann.
Jedenfalls steht die Frage, inwiefern Meinungsfreiheit für Sicherheit geopfert worden ist, wieder einmal im Raum. In der vollgesperrten "verbotenen Zone" war es nicht erlaubt, Plakate und Banner ins Fenster oder ans Haus zu hängen. Zwei Verstöße hatten zur Folge, dass Polizeibeamte die Plakate entfernten und die Personalien der Hausbesitzer aufnahmen. Die Staatsanwaltschaft Mainz hat mehrere beschlagnahmte Plakate mittlerweile juristisch unter die Lupe genommen. Ob das linksruck.de-Plakat "Terrorist Nr. 1" eine Majestitätsbeleidigung darstellt, ist als einziges noch unklar. Keine Beleidigung ist das Motte der Demonstration "Not welcome, Mr. Bush" und "Fuck Bush", weil es allgemeiner Sprachgebrauch ist. Als Beleidigung eingestuft wurden "Bush Mörder" und "der Obernarr kommt".
Glück für Mirko und seine Freunde. Nach bester Mainzer Fassenachts-Art bezeichneten sie Bush als "Fleebutz" und "Hecke-Bangert". Aber keine Angst. Erstens wird Bush das Wort kaum verstehen, und zweitens folgt ein Ermittlungsverfahren nur, wenn die USA das verlangen und die Bundesregierung einwilligt.