Buy or Die!
Stadtentwicklung - oder die Globalisierung des Örtlichen
Paul Watzlawik erzählte einmal die Anekdote vom Mann, der seinen Schlüssel unter einer Laterne sucht, obwohl er ihn anderswo verloren hat. Warum er ihn dann unter der Laterne suche? "Weil ich hier wenigstens Licht habe." Nun mag es zwar ein nachvollziehbares Motiv sein, Licht ins Dunkle zu bekommen. Aber ob das in einem solchen Fall wirklich reicht?
Um im Bild zu bleiben: Der heutigen (postindustriellen) Stadt wirft man häufig vor, sie privatisiere den öffentlichen Raum, indem dieser entweder musealisiert, von der Unterhaltungsindustrie dominiert oder weitgehend kommerzialisiert werde. Das mag überzeichnet sein. Doch die Frage, wie die Ökonomisierung des Alltagslebens die Stadt prägt und unser aller Umgang damit verändert, bleibt diskussionswürdig. Zurecht werden in der Stadtforschung solche und andere Entwicklung beobachtet, analysiert und kommentiert. Recht wenig indes scheint sie sich mit der Eigengesetzlichkeit der Immobilienmärkte auseinanderzusetzen: Sie nimmt gleichsam den harten ökonomischen Kern des Urbanen kaum zur Kenntnis.
Stadt und Finanzkrise
In der Stadtentwicklung wie Immobilienwirtschaft scheint seit einiger Zeit das Konzept von "Bigness" dominant: die Vorstellung, unter den Bedingungen der Globalisierung könne nur das sehr große, komplexe Projekt genügend Kraft entwickeln, um Weichen zu stellen, neue räumliche Ordnungen zu etablieren und Orte zu markieren. Geprägt wurde diese Vorstellung u.a. von Rem Koolhaas, dem nimmermüden Stichwortgeber und Theorielieferanten.
Doch der Versuch, Größe mit Größe zu bekämpfen, hat jüngst eher in die Sackgasse geführt. Was nun die Finanzkrise war und was sie auslöste - das wurde in den letzten Jahren ausgiebig diskutiert. Vielfältige Ursachen wurden benannt, jede Menge Problemlösungswege skizziert. Manche Experten kritisierten, die globalisierte Finanzwirtschaft habe sich unzulässigerweise von der sogenannten Realwirtschaft abgekoppelt; andere hielten es für eine schweren Denkfehler, Finanz- und Realwirtschaft überhaupt als getrennte, voneinander mehr oder minder unabhängig funktionierende Systeme zu betrachten.
Wie aber hat die Finanzkrise sich in der Bau- und Immobilienwirtschaft ausgewirkt? "Die enge Verflechtung der Finanzmärkte mit Architektur und Stadt wurde spätestens seit den 1990er Jahren weltweit zur Voraussetzung für die Entwicklung und Gestaltung von Raum", heißt es eingangs in einer Broschüre, die die Stiftung Bauhaus Dessau im November 2009 anlässlich einer internationalen Konferenz, gewidmet dem Thema "Architektur und Stadt in der Finanzkrise", auflegte. Allerdings:
Ursachen und Folgen dieser Verflechtung wurden in den letzten Jahrzehnten nur unzureichend untersucht. Erst die Immobilien- und Finanzmarktkrise scheint zumindest in Teilen der raumgestaltenden Disziplinen eine kritische Reflexion der Bedingungen und Möglichkeiten von Architektur und Planung zu befördern.
In der Tat ist kaum zu übersehen, dass (internationale) Developer und Immobilientrusts den Städtebau heute massiv beeinflussen. Sie und ihre profitorientierten Malls, Bürotürme und Entertainment-Center setzen die Maßstäbe. Agieren kommunale Institutionen, denen Gemeinwohl vor Eigenwohl gehen müsste, als Bauherren, so erweisen sie sich zunehmend gesteuert von der Ellenbogenmentalität des internationalen Städte- und Standortwettbewerbs: Kultur- und Behördenbauten ebenso wie Wohnungsbau wetteifern in erster Linie um spektakuläre Wirkungen.
Und die vielzitierte "Festivalisierung" der Stadtentwicklung, die vornehmlich auf Großereignisse fokussiert und Manpower, Fach- und Entscheidungskompetenz sowie finanzielle Ressourcen in der Hoffnung bündelt, Synergieeffekte und sichtbare, exemplarische Erfolge zu erzielen, schwebt permanent in der Gefahr, zu Lasten einer notwendigerweise breiter angelegten urbanistischen Intervention zu gehen. Mit der Konsequenz, dass bestimmte Fragen, etwa nach Langfristperspektiven oder dem Verhältnis von symbolischem Ertrag zu realem (stadtgesellschaftlichem) Nutzen, lieber gar nicht erst gestellt werden.
Auch die räumlich planenden Verwaltungen registrierten auf allen Ebenen der Politik recht zeitnah die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise in ihrer täglichen Arbeit. Aber aus diesem Diskurs innerhalb der Branche und ihrer Fachöffentlichkeit konnte bisher noch kein plausibles Gesamtbild entstehen. Nach wie vor ist es ein Desiderat, die Ausschließlichkeit bestimmter interessengeleiteter Blickwinkel und Logiken aufzubrechen und in ein gemeinsames Verständnis zu integrieren.
Wie lange
Bertholt Brecht "Über die Bauart langandauernder Werke"
Dauern die Werke? So lange
Als bis sie fertig sind.
So lange sie nämlich Mühe machen,
Verfallen sie nicht…
Die zur Vollständigkeit bestimmten
Weisen Lücken auf
Die Langandauerenden sind ständig am Einfallen
Die wirklich groß geplanten
Sind unfertig…"
Spezifik des Wohnungsmarkts
Nach wie vor besitzen Kommunen, Bund und Länder - vom Steueraufkommen der Bürger finanziert - einen durchaus relevanten Marktanteil an Wohnungen. Sie sollen die Grundversorgung der Bevölkerung mit erschwinglichem Wohnraum sicherstellen. Doch dieser (unausgesprochene) Konsens scheint seit einiger Zeit aufgekündigt worden zu sein.
Beispielsweise veräußerte vor sechs Jahren die Stadt Dresden 48.000 Wohnungen an den amerikanischen Finanzinvestor Fortress. Dies hat, in der Wohnungspolitik wie auch den einschlägigen Fachverbänden, eine heftige Debatte entfacht, deren Echo mittlerweile zwar leiser geworden ist, aber noch immer nachhallt. Doch obgleich dieser Fall insofern einzigartig ist, als der gesamte öffentliche Wohnungsbestand einer Großstadt auf einen Schlag verkauft wurde, so ist er weder der erste noch der größte.
Was steckt dahinter? Für Investoren war der Wohnungsmarkt lange wenig interessant. Doch seit einigen Jahren erkennen institutionelle Anleger in Wohnimmobilien das neue Objekt der Begierde. So stürzten sich die Fondsgesellschaften, zumeist aus den USA und Großbritannien, geradezu auf deutsche Mietwohnungen. Sie heißen Terra Firma, Fortress, Apellas oder auch Cerberus wie der dreiköpfige Höllenhund aus der griechischen Mythologie, der den Eingang zur Unterwelt bewachte - und der die renommierte GSW mit ihren 66.000 Wohneinheiten sich einverleibte.
Dass sich ausländische Investoren auf einmal für die deutschen Wohnimmobilien interessierten, dafür gab es verschiedene Gründe. Da sind zum einen die im internationalen Vergleich niedrigen Immobilienpreise. Hinzu kam eine leicht aufwärts gerichtete Entwicklung der Mieten, die einen stabilen Cash Flow garantierten. Starke Anreize gingen schließlich auch von dem niedrigen Zinsniveau aus, das die Finanzierung der Kaufpreise durch Bankkredite begünstigt.
Den Finanzinvestoren wird häufig ein kurzfristiges Renditedenken nachgesagt. Sie stehen im Ruf, vorrangig am gewinnbringenden Weiterverkauf der Wohnungen interessiert zu sein und die Wohnungsgesellschaften"auszusaugen", indem sie sich aus dem monatlichen Cash Flow bedienen. Nicht zuletzt deswegen wurden sie als "Heuschrecken" bezeichnet: angekommen, kahl fressen und weiterziehen, laute ihre Devise. Bislang jedoch gibt es keine Anzeichen für ein derartiges Verhalten.
Anderseits ist aber auch noch nicht erkennbar, welche Investitionsstrategie die neuen Eigentümer verfolgen. Angesichts dieser Unsicherheit - und der enormen Strukturverschiebung auf der Angebotsseite des Wohnungsmarktes - ist es nahe liegend, dass in der BRD eine heftige Diskussion über die Auswirkung der immobilienwirtschaftlichen Investments der internationalen Finanzinvestoren entbrannt ist. Diese Kontroverse erhielt dann zusätzlichen Zündstoff durch die von der Bundesregierung seinerzeit ins Auge gefasste Einführung eines neuen Finanzinstruments, den börsennotierten von Unternehmenssteuer befreiten Immobiliengesellschaften (REITs - Real Estate Investment Trusts).
Es kommt allerdings nicht von Ungefähr, wenn plötzlich allerorts das "Marktliberale" reüssiert. Zum einen sind die kommunalen Wohnungsunternehmen von aktiven Gestaltern sukzessive zu bewahrenden Verwaltern mutiert: Mit einer Doppelverschiebung - dem Rückgang des sozialen Wohnungsbaus und der Verlagerung auf Bestandsmaßnahmen - hat grundsätzlich der Neubau an Bedeutung verloren. Schon seit längerem liegt für die städtischen Gesellschaften das Schwergewicht ihrer Aktivitäten in der Pflege und Verwaltung ihres hergebrachten Bestandes. Zum anderen muss man sehen, dass nahezu alle Kommunen unter großem Leidensdruck stehen, was wiederum seinen Ausdruck in einer strukturellen Haushaltskrise findet. Damit ist die kommunale Selbstverwaltung akut bedroht.
In dem Bemühen, finanzielle Spielräume wieder zu erreichen, drängen die Kämmerer darauf, kommunales Eigentum zu verkaufen und mit den Erlösen den Schuldenstand zu vermindern. Nach den städtischen Eigenbetrieben im Bereich der Ver- und Entsorgung (Wasser, Energie und Müll) sind eben seit einiger Zeit die Wohnungsbaugesellschaften an der Reihe - aber nicht etwa, weil deren Verkauf jetzt als besonders sinnvoll angesehen wird, sondern weil es jetzt Käufer gibt.
Welche Folgen muss man sich vorstellen, wenn die öffentlichen Wohnungsbestände in die Verfügung von Kapitalanlage-Firmen übergehen? Ein auf kurzfristige Rendite orientierter Anleger wird vermutlich eine Differenzierungsstrategie einschlagen und - je nach Umfang des Wohnbestandes - "Produkte" für ein Marktsegment mit hoher Kaufkraft und für eine wenig kaufkräftige Nachfrage herstellen. Die Bestände werden also aufgeteilt: Hier wird kräftig investiert, dort gar nicht - und ein Teil wird an andere, risikofreudigere Investoren weitergereicht oder an Mieter und weitere Interessenten verkauft.
Nicht auszuschließen ist, dass Modernisierung- und Wohnumfeldmaßnahmen, wenn überhaupt, nur noch an Standorten vorgenommen werden, die als entwicklungsfähig gelten und hohe Renditen versprechen. In den übrigen Beständen mögen notwendige Instandhaltungen und Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnqualität durchaus gestreckt oder ganz ausgesetzt werden. Folge eines solch selektiven Investitionsverhaltens sind möglicherweise in der Gebäudesubstanz zerfallende und sozial erodierende Quartiere, womit wiederum die sozialräumliche Segregation gefördert werde. Zwar gibt es bislang keine empirisch begründeten Belege für die Bestätigung dieser Bedenken, verstummt aber sind sie keineswegs.
Eigentum an - und Recht auf Stadt
Im Kontext von Gebäuden und Immobilien stellt Eigentum einen zentralen Ausdruck dar. Das Mobilisierungspotential, die Bindungskraft und das Identifikationsvermögen, welches vom Eigentumsbegriff ausgeht bzw. in ihm enthalten ist, wird an kaum einen Beispiel deutlicher als am (eigenen) Haus, mithin also an der Immobilie. Doch das Thema, so wie wir es verstehen, geht erheblich über einen solchen Gedanken hinaus.
Die einzelnen Gebäude, ihr Produktionsprozess ebenso wie ihr Zusammenspiel als baulich-räumliche Umwelt sind Indikatoren für den Lebenswert eines Ortes. Er wird in dreifacher Weise wahrgenommen: funktional im alltäglichen Gebrauch (als Gebrauchswert), ökonomisch über die Nachfrage als Wohn- und Arbeitsort (als Tauschwert) und emotional über das Erscheinungsbild und die Atmosphäre des Ortes (als Inszenierungswert). Alle drei Aspekte - und ihre Wechselwirkung - sind von Belang, wenn wir uns mit Immobilienmärkten befassen.
Ein kleines Beispiel: Seit einiger Zeit prangt unübersehbar ein Graffiti am heruntergelassenen Rollladen eines aufgegeben Geschäftes im Norden Neuköllns - eines Berliner Bezirkes, der es ob seiner sozialen Probleme zu einer traurigen Berühmtheit geschafft hat: "Gentrify this!!!" Das ist wohl nur teilweise ironisch gemeint, weil sich hinter dieser Aufforderung durchaus der Wunsch erahnen lässt, dass hier doch bitte jemand in diese Immobilie investieren möge, weil nur so eine weitere Entwicklung angestoßen werden kann.
Seit einiger Zeit befindet sich unser Kultkreis im Übergang von einer politisch motivierten, nicht-monetären Stadtentwicklung hin zu einer stärker privaten, an Gewinn und Rendite orientierten Steuerung. Dies mag durchaus Chancen für urbane Räume implizieren: Wenn internationale Investoren angelockt werden, die mit ihren modernen Projektentwicklungen oder mit der Sanierung und Renovierung ältere Bürogebäude die baulichen Voraussetzungen für die Ansiedlung neuer Wirtschaftsbranchen schaffen, und wenn damit positive Beschäftigungseffekte ausgelöst werden, die vor allem die lokale Bauwirtschaft dynamisieren. Unübersehbar gibt es indes auch eine Kehrseite dieser globalen Eingliederung: Nämlich eine weitaus stärkere Abhängigkeit von mobilen, stets abziehbaren Kapital. Wenn die Renditen in anderen Anlagebereichen bzw. an anderen Standorten aussichtsreicher sind, dann kann abrupt ein Abzug der Finanzmittel erfolgen. Und jedwede Nachhaltigkeit am konkreten Standort ist dann schnell obsolet.
Nun ist derzeit viel vom "Recht auf Stadt" die Rede. Gemeint sind damit Modelle der Planung und Stadtentwicklung, die sich emanzipieren von jener Logik der Finanzmärkte, die sich an Maximalrenditen orientiert; die lassen sich in der Bau- und Immobilienwirtschaft höchstens in Ausnahmefällen und an Ausnahmestandorten erzielen. Stichwort "Nachhaltigkeit": Es wäre an der Zeit, über neue Planungs- und Baufinanzierungsmodelle nachzudenken, mit denen privates und öffentliches Geld in einen sozial verträglichen, ressourcenschonenden und ökologisch korrekten Umbau der Städte gelenkt werden könnte - mit den Banken oder auch an ihnen vorbei, wenn die Rendite für sie nicht üppig genug ausfällt.