Campusmaut: Comeback-Prognosen vor der Abschaffung
Auch in Niedersachen und Bayern zeichnet sich das Ende der Studiengebühren ab. Doch was passiert, wenn sich der Staat immer weiter aus der Hochschulfinanzierung zurückzieht?
Regierungswechsel in Niedersachsen – Volksentscheid in Bayern: In den letzten beiden Bundesländern, die aktuell noch Studiengebühren erheben, ist das Ende der ungeliebten Campusmaut aller Voraussicht nach nur noch eine Frage der Zeit. Den Studierenden wird es recht sein, doch die Hochschulen pochen auf Kompensationszahlungen. "Mit den Studienbeiträgen haben wir wichtige Verbesserungen in der Lehre und Betreuung der Studierenden aufgebaut, die ohne diese nicht möglich gewesen wären. Wenn die Studienbeiträge abgeschafft werden, muss uns die Landesregierung die Mittel kompensieren", sagt Jürgen Hesselbach, Präsident der Technischen Universität Braunschweig und Vorstand der Landeshochschulkonferenz Niedersachsen, auf Nachfrage von Telepolis.
Die Politik hat Ausgleichszahlungen versprochen - aber eigentlich kein Geld. An der Leibniz Universität Hannover geht man deshalb davon aus, dass die deutschen Hochschulen langfristig nicht an Studiengebühren vorbeikommen werden.
Einführung und Abschaffung
Baden-Württemberg nahm sie gerne, Hessen und Hamburg kassierten, und auch Nordrhein-Westfalen nebst dem Saarland, Bayern und Niedersachsen wollten sich die Millioneneinnahmen durch Studiengebühren nicht entgehen lassen. Mit dem Geld sollten nach dem Willen von CDU/CSU und FDP einschneidende Verbesserungen in den Bereichen Studium und Lehre erreicht werden.
Das gelang zu einem immerhin spürbaren Teil. Doch dabei lief auch einiges schief. Auf den Konten der Hochschulen stauten sich hunderte Millionen Euro, über deren Verwendung zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden sollte. Mancherorts votierte man für ein Drachenboot und Tischkicker nebst Billardtisch und Edelstahlgrill, anderswo ging das Geld ins Klo oder half, die Heizkosten zu deckeln. Überflüssig zu erwähnen, dass die Entscheidungen oft ohne Zustimmung oder gegen den ausdrücklichen Willen der studentischen Vertreter und Gremien fielen.
Da das Thema überdies ins Herz der Gerechtigkeitsdebatte vorstieß und die soziale Schieflage des deutschen Bildungssystems immer wieder bloßlegte, diente es bald als Wahlkampfmunition. Rot-Grün versprach landauf landab das zeitnahe Ende der Studiengebühren und punktete damit – abgesehen von Bayern – in allen genannten Bundesländern. Zuletzt in Niedersachsen, wo SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil sich ursprünglich nicht auf einen genauen Termin festlegen lassen wollte. Doch mit der Schlangenlinien-Strategie "Wir wollen schon, aber wir wissen noch nicht wann und wie" kam der Genosse nicht durch. Die Sozialdemokraten mussten sich erklären und annoncierten im "Regierungsprogramm" für die Niedersachsenwahl schließlich das Wintersemester 2014/15.
Wenn der designierte Koalitionspartner diese Pläne absegnet, dürfte die Einlösung des Wahlversprechens für einen Großteil der Nachwuchsakademiker, die gerade jetzt ihr Studium absolvieren, zu spät kommen. Teuer wird es trotzdem. Die niedersächsischen Hochschulen kassieren durch die Gebühren derzeit gut 100 Millionen Euro pro Jahr.
Die CSU hat Sorgen und ein Staatsminister schaut über die Grenzen
Den bayerischen Hochschulen bringt die Campusmaut annähernd das Doppelte. Doch auch damit könnte bald Schluss sein: Wenn es den Gebührengegnern gelingt, bis Ende des Monats 940.000 Unterschriften zu sammeln und dann ein erfolgreiches Volksbegehren durchzuführen, wenn die amtierende Regierung unter dem Druck der Verhältnisse selbst für die Abschaffung sorgt – oder wenn im Freistaat das Unmögliche geschieht und die CSU im Herbst auf den Oppositionsbänken Platz nehmen muss.
Um hier keine unmittelbare Verbindung entstehen zu lassen, denken die Christsozialen seit geraumer Zeit darüber nach, ob Studiengebühren überhaupt zu ihrem Markenkern gehören. Ministerpräsident Horst Seehofer hegte die ersten Zweifel – möglicherweise kam ihm im Angesicht seiner opulenten Modelleisenbahn der Gedanke, dass der Zug für dieses Projekt bereits abgefahren ist.
Die Befürworter, die unter anderem im Bayerischen Rundfunk senden, haben deshalb noch nicht aufgegeben. Schließlich müssen auch andere für ihre Ausbildung zahlen. Kronzeugen der Tagespresse sind Physiotherapeuten (350 Euro pro Monat) oder Meister der Hauswirtschaftslehre (2.500 Euro in zwei Jahren).
Derweil schaut Wolfgang Heubisch, wie es sich für die FDP-Elite gehört, "nicht nach Bremen oder Bochum, sondern nach Zürich oder London". Nach Einschätzung des bayerischen Staatsministers für Wissenschaft, Forschung und Kunst sind die Studiengebühren eine "soziale Maßnahme".
Streit um Kompensationszahlungen
Dieser kühnen These werden sich die deutschen Hochschulvertreter kaum öffentlich anschließen. Ein Großteil plädiert trotzdem überraschend deutlich für die Beibehaltung der Gebühren – gerade auch in Bayern und Niedersachsen.
Das klare Votum resultiert nicht zwingend aus politischen Erwägungen, wohl aber aus einem tief verwurzelten Misstrauen in die Amts- und Mandatsträger. Gibt es aus den Landeshaushalten tatsächlich einen vollwertigen Ersatz für die gestrichenen Einnahmen?
Wir sind skeptisch, weil es bisher weder in Hessen noch in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg Kompensation in voller Höhe gegeben hat.
Godehard Ruppert, Sprecher der bayerischen Universitäten
Diese Skepsis ist allemal berechtigt. Das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen feiert sich (nicht nur) online für die Abschaffung der Studiengebühren und verspricht "eine dauerhafte Zahlung von jährlich mindestens 249 Millionen Euro, um den Wegfall der Studiengebühren zu kompensieren". Einen Satz später heißt es dann präziser: "Dieser Betrag entspricht den Studiengebühren, die den Hochschulen im Jahr 2009 zur Verfügung standen."
So weit, so gut, nur schreiben wir mittlerweile das Jahr 2013 und die Zahl der Studienanfänger ist deutlich gestiegen. Im Verein mit komplexen Verteilungsproblemen führte dieser Umstand dazu, dass die Einnahmen einiger Hochschulen deutlich sanken, während andere sogar mehr bekamen als zu Gebührenzeiten.
Kein grundsätzliches Problem, meinte Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) und verwies auf weitere 400 Millionen Euro aus dem Bund-Länder-Programm für bessere Lehre, die auf die Jahre bis 2020 verteilt werden. Doch ob die Gebühren-Kompensation, die an bestimmte Zusatzleistungen gekoppelt sein sollte, ohne weiteres mit anderen Finanzierungsinstrumenten zur Abdeckung steigender Ausgaben verrechnet werden sollte, ist heftig umstritten.
Hessen kürzte nach der erzwungenen Abschaffung der Studiengebühren, die nur im Wintersemester 2007/08 und im Sommersemester 2008 erhoben wurden, über den Hochschulpakt auch noch die Grundfinanzierung der Hochschulen. Renommierte Bildungstempel wie die Philipps-Universität Marburg sahen viele Fächer daraufhin am Rande der Studierbarkeit und zeichneten ein düsteres Bild von der Zukunft ihrer Bildungslandschaft.
Die aufgrund der Kürzungen zunehmende Abhängigkeit von Drittmittelfinanzierungen (…) kann die in Art. 5 Grundgesetz verankerte Freiheit von Forschung und Lehre gefährden. Im Zuge der Unterfinanzierung häufen sich auch prekäre Arbeitsverhältnisse. Zum einen werden Dienstleistungen unter Missachtung sozialer Folgen ausgegliedert und zum anderen arbeiten immer mehr Dozierende in befristeten Verträgen; dies kann negative Folgen für die Qualität der Lehre haben.
Resolution der Gremien der Philipps-Universität Marburg, März 2012
In der von Studierendenvertretern erarbeiteten Resolution, die der Senat, das Präsidium und der Hochschulrat (!) unterstützten, hieß es weiter:
Selbstbestimmtes und kritisches Studieren, Forschen und Lehren kann nur an einer Universität stattfinden, die nicht nach einer unternehmerischen Logik organisiert ist, sich nicht im ständigen Konkurrenzdruck zu anderen Hochschulen befindet und ihre Inhalte nicht an wirtschaftlicher Verwertbarkeit messen lassen muss.
Resolution der Gremien der Philipps-Universität Marburg, März 2012
Auch in den anderen Bundesländern wurde und wird über die Abschaffung der Gebühren, eine angemessene Kompensation und die Fragen der Grundfinanzierung kontrovers diskutiert.
Stimmen der Betroffenen – "Der Rückzug des Staates aus der Hochschulfinanzierung"
In Niedersachsen und Bayern dürfte es, wenn die Campusmaut tatsächlich abgeschafft wird, nicht anders sein, denn die Staatskassen müssen allein in diesen beiden Ländern knapp 300 Millionen pro Jahr ausgleichen. Wie bereiten sich die Hochschulen auf den Ernstfall vor? Rechnet man gar mit einer größeren Zahl an Nachwuchsakademikern, weil das Studium auch hier wieder preiswerter wird?
"Ich glaube nicht, dass wir die Zahl der Studierenden durch die Abschaffung der Beiträge erhöhen werden", meint der Vorstand der Landeshochschulkonferenz Niedersachsen. Jürgen Hesselbach setzt auf die Wettbewerbsvorteile, die man sich mithilfe der Gebühren gerade im Betreuungsbereich aufgebaut habe. "Aber wenn die Mittel komplett und bedingungslos kompensiert werden, bleibt dieser Vorteil ja bestehen", so Hesselbach.
Wilfried Grunau, Leiter des Präsidialbüros der Hochschule Emden/Leer, will sich in der Langzeitdebatte nicht politisch positionieren. "Wir sind weder für noch gegen Studiengebühren. Wenn sie 2014/15 abgeschafft werden, brauchen wir aber die angekündigte Gegenfinanzierung", sagt Grunau auf Nachfrage von Telepolis. Ein Blick auf die Erträge der ostfriesischen Hochschule erklärt schnell, warum das so ist. Sie belaufen sich auf gut 33 Millionen Euro pro Jahr – die Höhe der Studienbeiträge liegt bei rund 3 Millionen. Knapp 10 Prozent des Gesamtetats hängen damit von den Gebühren ab, und dabei geht es nicht nur um Zahlenspiele:
Mit den Beiträgen wurde unter anderem die Ausstattung der technischen Studiengänge deutlich verbessert. Die Bibliothek kann längere Öffnungszeiten anbieten, es gibt moderne Arbeitsplätze für die Studierenden und mehr studentische Hilfskräfte. Wenn die Beiträge ersatzlos gestrichen würden, könnten wir das Angebot in dieser Form nicht aufrechterhalten.
Wilfried Grunau
So sieht es auch die Universität Augsburg, die im Haushaltsjahr 2011 rund ein Zehntel ihrer Gesamtausgaben in Höhe von 110 Millionen Euro durch Studiengebühren deckte. Auf Spekulationen zum Umfang und zur Verteilung etwaiger Kompensationsmittel will man sich hier nicht einlassen, weist aber darauf hin, dass im Fall einer kompensationslosen oder nur teilweise kompensierten Abschaffung der Gebühren "mit einer deutlichen Reduzierung des Lehr- und des Serviceangebots für Studierende und einer entsprechenden Verschlechterung der Studienbedingungen" gerechnet werden müsse.
Die Leibniz Universität Hannover beziffert den Anteil der Studienbeiträge an sämtlichen Erträgen der Universität auf 4 Prozent – durch die Größenordnung der Hochschule handelt es sich allerdings um 14,5 Millionen Euro. Etwa 60 Prozent dieser Mittel werden nach Auskunft der Pressesprecherin Mechtild Freiin v. Münchhausen für Personal aufgewendet. Ende 2011 finanzierte die Leibniz Universität so 171 Beschäftigungsverhältnisse. 40 Prozent flossen in die Sachausstattung und bauliche Maßnahmen.
Die Universität erwartet von der neuen Landesregierung eine Politik, "die dem Thema Bildung erste Priorität zukommen lässt", sagt von Münchhausen, die – wie übrigens auch Horst Hippler, der Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz - perspektivisch allerdings eine Rückkehr zum Gebührenmodell prognostiziert.
Langfristig wird man auch in Deutschland nicht an Studiengebühren vorbeikommen, da die deutschen Universitäten im Konkurrenzvergleich unterfinanziert sind und mit einer drastischen Erhöhung der Budgets aus öffentlichen Kassen nicht zu rechnen ist. Das Land Niedersachsen hat durch unterschiedliche Regierungen über mehrere Jahre Einsparungen in den Hochschulhaushalten vorgenommen, zuletzt 2004. Insofern kompensieren Studienbeiträge (neben anderen Mitteln wie z.B. dem Hochschulpakt) in geringem Umfang den langfristigen Rückzug des Staates aus der Hochschulfinanzierung.
Mechtild Freiin v. Münchhausen, Leibniz Universität Hannover