Chance Neuwahlen
Ein Kommentar zur Bundestagswahl
Dass die SPD gestern das schlechteste Bundestagswahlergebnis ihrer Nachkriegsgeschichte einfuhr, lag nicht nur am Kanzlerkandidaten Martin Schulz (vgl. Scharping II.), sondern auch am Rest des Personals: von Ministern wie Heiko Maas bis hinunter zu Münchner Bezirksausschusspolitikern, die mit Tugendsignalisierung zum Ruin eines italienischen Wirts beitrugen. Dass Staatsministerin Aydan Özoguz auf Facebook auf Fragen zum Existenzrecht Israels schwieg (was in Sozialen Medien viel Aufsehen erzeugte), dürfte den Sozialdemokraten ebenso wenig genutzt haben wie die Wählerbeschimpfungen von Ralf Stegner, der sich aufgrund seiner ständigen parteischädigenden Äußerungen das Image eines "Höcke von der SPD" einhandelte.
Den Negativwahlkampf der Sozialdemokraten und anderer Parteien kommentierte der Juraprofessor Arndt Diringer gestern auf Twitter wie folgt: "Eine Partei, die meine Stimme will, muss mich davon überzeugen, dass sie gut ist - dass andere (angeblich) schlecht, böse ... sind, genügt nicht."
Auf so einen Negativwahlkampf hatte auch die CDU gesetzt - und damit fast zehn Prozentpunkte verloren. Womöglich auch, weil die (teilweise durchaus berechtigten) Vorwürfe gegen die AfD häufig so groteske Ausmaße annahmen, dass sich viele Wähler wunderten, warum etwa die Zeit die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel der Verbreitung von "Fake News" bezichtigt, nachdem diese eine alte Meldung der Wochenzeitung wiedergab.
Merkelmalus
Dass die CDU so stark verlor, lag allerdings nicht nur an diesem Bumerangeffekt, sondern vor allem an Angela Merkel, die 2015 migrationspolitisch das Gegenteil dessen machte, was sie den CDU-Wählern 2013 in Aussicht gestellt hatte. Die sicherheitspolitischen Folgen dieser Politik trugen dazu bei, dass die Kanzlerin nicht nur in Ost-, sondern auch in Westdeutschland Pfeifkonzerte erwarteten - zuletzt bei der Abschlusskundgebung auf dem Münchner Marienplatz.
In Bayern, wo Merkel zuletzt auftrat, verlor die Union auch besonders stark - von 49,3 auf jetzt nur mehr 38,8 Prozent Stimmenanteil. Die CSU muss deshalb fürchten, bei der bayerischen Landtagswahl im nächsten Jahr die absolute Mehrheit zu verlieren, wenn es Parteichef Horst Seehofer weiterhin nicht schafft, den Wählern glaubhaft zu vermitteln, dass er ihnen zusammen mit Merkel nicht nur eine Good-Cop-Bad-Cop-Show vorspielt. Ein Zeichen dafür wäre eine konsequente Weigerung, ohne die Durchsetzung von Wahlversprechen wie Volksabstimmungen im Bund, einer Aussetzung des Familiennachzugs und einer Migrationsobergrenze eine Koalition einzugehen.
FDP am Scheideweg
Vor der Entscheidung, eine Koalition mit Untergangspotenzial einzugehen, steht auch die FDP, die der Einschätzung von Wolfgang Herles nach ideologisch von den Grünen (die mit ihrem Haustierwahlkampf besser abschnitten als erwartet) weiter entfernt ist als die Linke von der AfD. In Kiel koalieren CDU, FDP und Grüne trotzdem miteinander - die Signale, die von dort kommen, trugen möglicherweise dazu bei, dass die Liberalen kein besseres Ergebnis einfuhren. Bleiben sie in der Opposition, könnten sie ihr Versprechen wahr machen, und einen Untersuchungsausschuss zur Grenzöffnung 2015 mit einsetzen, die einem Gutachten der Bundestagsjuristen auf eine Anfrage der Linkspartei hin wahrscheinlich ohne ausreichende Rechtsgrundlage geschah.
Erklären sich weder die SPD noch die FDP bereit zu einer Koalition, dann wäre der Weg frei für Neuwahlen. Und vielleicht auch für Neuwahlen ohne Merkel, wenn sich die CDU dazu durchringen kann. Die SPD hätte dann die Möglichkeit, einen anderen Kandidaten als Martin Schulz aufzustellen. Denn wie Frank Covfefe richtig anmerkte: "Merkel war diesmal besiegbar - Aber dazu hätte es mehr gebraucht als einen Bürokraten aus Brüssel."
Anders als bei der CDU, wo Jens Spahn als Ab- beziehungsweise Er-löser von Angela Merkel bereitsteht, ist bei der SPD aber kein Personal in Sicht, das die erfolglose alte Garde ablösen könnte: Die 43-jährige Manuela Schwesig, die 1947 geborene Frauen mit angeblichen Erinnerungen an den Nationalsozialismus zitiert, bietet sich dafür ebenso wenig an wie Katarina Barley, die ebenso wie ihrer Vorgängerin in die Stellenvermehrungsaffäre im Familienministerium verwickelt ist.
Eine charismatische Politikerin, wie sie die Linkspartei mit Sahra Wagenknecht hat, fehlt den Sozialdemokraten aktuell. Dass Wagenknechts Linkspartei nicht ganz so gut abschnitt, wie die Umfragen suggerierten, dürfte daran liegen, dass die Spitzenkandidatin besonders gegen Ende des Wahlkampfs mit Störfeuer von so genannten "Antideutschen" zu kämpfen hatte (vgl. CSU, AfD, FDP, Grüne und Linke im Wahlkampf), die sie in der Vergangenheit mit Torten bewarfen und ihr "nationalen Sozialismus" vorwarfen. Protegiert wird dieser "Bomber-Harris-Do-It-Again"-Flügel ihrer Partei vor allem von ihrer Rivalin Katja Kipping.