Schulz - Scharping II.?

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz? Foto: Jon Worth. Lizenz: CC BY 2.0

In seiner Nominierungsrede nennt der SPD-Kanzlerkandidat als Wahlziel, dass die Sozialdemokraten stärkste Partei werden

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Gestern nominierte der SPD-Parteivorstand auf seiner Jahresauftaktklausurtagung in Berlin (an der neben der Parteispitze auch die sozialdemokratischen Bundesminister, die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten und der geschäftsführende Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion teilnahmen) den ehemaligen Europaparlamentspräsidenten Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl im Herbst.

In seiner Nominierungrede erinnerte Schulz (der bis zu einem Sonderparteitag auch die Amtsgeschäfte des SPD-Vorsitzenden kommissarisch übernimmt) in mehrerlei Hinsicht an den ehemaligen SPD-Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping: Auch er wirkte oberlehrerhaft und erzeugte eine Atmosphäre, die an die in einer Schulaula erinnerte. So wie ein Rektor bei einer Ansprache bestand auch Schulz' Rede zu einem großen Teil aus Eigenlob für seine Institution, auch wenn es in diesem Fall keine Schule und ihre Lehrer und Schüler, sondern eine Partei und ihre Minister und Funktionäre betraf.

Teilweise rutschte diese Selbstbeweihräucherung etwas ins Groteske ab - beispielsweise dann, als er sagte, Heiko Maas sei "das Gesicht für die Bürgerrechte in Deutschland". Die meisten seiner Talking Points - darunter "Hetze", "Hass", "Fake News" - hätten auch von einem Politiker der anderen großen Regierungspartei kommen können. Offenbar, um sich von dieser zu unterscheiden, rief der Sozialdemokrat die "Bekämpfung der Steuerflucht" zum "zentralem Wahlkampfthema" aus. Ob das wirklich das Thema ist, das die Wähler am meisten interessiert, wird sich im Herbst zeigen. Dann entscheidet sich, ob die SPD ihr gestern von Schulz ausgegebenes Wahlziel, stärkste Partei zu werden, erreicht oder nicht.

Diskrepanz zwischen den Schulz-Bildern in etablierten und sozialen Medien

Bereits letzte Woche fiel auf, dass es eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen Schulz Bild in etablierten und dem in sozialen Medien gibt: Während ihn die Leitmedien so bejubelten, dass das Branchenportal Meedia von einer "fehlenden professionellen Distanz" und einem "Herdentrieb" sprach, verspottete man den SPD-Kandidaten auf Facebook und Twitter mit der von Martin Sonneborn erfundenen Verballhornung "Chulz" als "Gschaftlhuber" und "Höcke der SPD", der den Sozialdemokraten ähnlich schaden könnte wie der AfD ihr thüringischer Landesvorsitzender, auch wenn sich das abschreckende Pathos in einem Fall auf "Europa" und im anderen auf "Deutschland" bezieht.

Darauf, dass Schulz nicht unbedingt ein Wählermagnet ist, deuten die Ergebnisse der Europawahlen 2009 und 2014 hin, wo die Parteien der von ihm geführten sozialdemokratischen Fraktion europaweit gerechnet deutlich verloren (auch wenn er 2014 in Deutschland als Kommissionschefkandidat einen nationalen Bonus einfuhr).

Dem SPD-Politiker wird unter anderem vorgeworfen, dass er das Abstimmungsverhalten der sozialdemokratischen Fraktion im Rahmen der "technischen Zusammenarbeit" so weitgehend an das der CDU-dominierten EVP angeglichen hatte, dass kaum mehr Unterschiede zwischen den beiden Fraktionen sichtbar waren. Für diese informelle Große Koalition hatte er versucht, seine deutschen Vorstellungen von Fraktionsdisziplin auch in Straßburg durchzusetzen.

Dass der Rheinländer seinen Posten als sozialdemokratischer Fraktionsführer behielt und 2012 sogar EU-Parlamentspräsident wurde, hat er Beobachtern zufolge nicht zuletzt einer von ihm mit durchgesetzten Altfallregelung für EU-Parlamentarier zu verdanken, mit der sie Familienmitglieder formell als Assistenten auf Steuerzahlerkosten beschäftigten und das monatliche Einkommen um bis zu 15.496 Euro mehren konnten (vgl. Der personifizierte erhobene Zeigefinger).

Plant Gabriel bereits für die Zeit nach Schulz?

Der vom ZDF-Heute-Journal-Moderator Claus Kleber zusammen mit SPD-Generalsekretärin Katarina Barley erweckte Eindruck, Schulz komme im direkten Vergleich bei den Wählern besser an als Merkel, ist insofern eine "Fake News", als die 63 Prozent, die ihm bei einer Direktwahl den Vorzug vor Gabriel gäben, nur aus der Gruppe der SPD-Anhänger stammen, die lediglich ein Fünftel bis ein Viertel der Wähler stellen. Wen die restlichen vier Fünftel bis drei Viertel bevorzugen würden, ist unklar.

Manche Beobachter hegen deshalb den Verdacht, dass Gabriel im Herbst mit einer sicheren Niederlage der SPD rechnet und bereits für die Zeit nach Schulz plant, der wegen seiner Eitelkeit nicht anders konnte, als sich als Freiwilliger für das "Selbstmordkommando" Kanzlerkandidatur zu melden. Darauf deuten nicht nur die vorangegangenen Debatten darüber hin, ob die SPD 2017 überhaupt mit einem Kanzlerkandidaten antreten soll, sondern auch Gabriels Äußerungen in seinem Stern-Interview, die in anderen Medien weitaus weniger Beachtung fanden als der öffentliche Verzicht auf seine Kanzlerkandidatur.

So diagnostizierte Gabriel beispielsweise einen "Kontrollverlust", den viele Menschen "nicht nur mit Blick auf die massenhafte unkontrollierte Zuwanderung des Jahres 2015" empfänden, was man auch aufgrund der Begriffswahl als bemerkenswert deutliche Kritik an Angela Merkel verstehen kann. Das wird noch deutlicher, wenn Gabriel sagt, "Kanzler wie Helmut Schmidt, Helmut Kohl oder Gerhard Schröder" hätten "niemals […] Entscheidungen über die Öffnung der Grenzen getroffen, ohne wenigstens einmal mit unseren Nachbarn zu sprechen". "Die Naivität oder vielleicht auch den Übermut, mit der das erfolgt ist" und mit dem "Angela Merkel […] eben Deutschland und Europa gerade in dieser Frage in eine Sackgasse geführt" habe, seien von ihm "nie für richtig erklärt" worden. Wegen dieser Politik steht Europa seinen Worten nach "vor der akuten Gefahr, zusammenzubrechen", womit die "Aufbauarbeit von zwei Generationen" zerstört würde.

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