Der personifizierte erhobene Zeigefinger

Martin Schulz ist seit gestern SPD-Europawahl-Spitzenkandidat und will EU-Kommissionspräsident werden

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Gestern kürte ein SPD-Parteitag den EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz mit 97 Prozent der Delegiertenstimmen zum Spitzenkandidaten für die Europawahl. Ob Schulz auch außerhalb der Partei so gut ankommt ist fraglich: Seine Reden strotzen vor Pathos und er wirkt humorlos und oberlehrerhaft - wie der personifizierte erhobene Zeigefinger. Mit ihm könnte den Sozialdemokraten bei der Europawahl das blühen, was sie mit dem Schulz sehr ähnlichen Rudolf Scharping bei der Bundestagswahl 1994 erlebten.

Letzteres könnte auch deshalb der Fall sein, weil Schulz nicht nur ein einfacher Spitzenkandidat ist (wie Markus Ferber bei der CSU oder Bernd Lucke bei der AfD), sondern EU-Kommissionspräsident werden will. Dort hätte er - anders als im Parlament - wirkliche politische Macht. Und um ihn dort zu verhindern, könnte mancher Sozialdemokrat der Wahl fernbleiben oder sein Kreuz woanders machen.

Martin Schulz. Foto: Mettmann. Lizenz: CC BY 3.0.

Darauf, dass Schulz nicht unbedingt ein Wählermagnet ist, deutete bereits das Ergebnis der Europawahl 2009 hin: Damals gab es in den einzelnen Ländern viele Unterschiede, aber eine Gemeinsamkeit: Die in der SPE-Fraktion zusammengeschlossenen sozialdemokratischen Parteien verloren fast überall massiv an Stimmen. Insgesamt schrumpfte die Gruppe um etwa ein Viertel. In manchen Ländern, vor allem in Großbritannien, bot sich Innenpolitisches als Teilerklärung für diesen Rückgang, in anderen dagegen kamen die Verluste für die Betroffenen eher überraschend. Als man sich bei der Suche nach den Ursachen auch mit dem vorher weitgehend vernachlässigten Erscheinungsbild der Sozialdemokratie auf europäischer Ebene beschäftigte, geriet auch Fraktionschef Schulz unter Beschuss.

Dem SPD-Politiker wurde damals unter anderem vorgeworfen, dass er das Abstimmungsverhalten der sozialdemokratischen Fraktion im Rahmen der "technischen Zusammenarbeit" so weitgehend an das der CDU-dominierten EVP angeglichen hatte, dass kaum mehr Unterschiede zuwischen den beiden Fraktionen sichtbar waren. Für diese informelle Große Koalition hatte er versucht, seine deutschen Vorstellungen von Fraktionsdisziplin auch in Straßburg durchzusetzen.

Im Juni 2009 wurden deshalb in der SPE-Fraktion Stimmen laut, die forderten, dass man nach den verheerenden Verlusten keineswegs so weitermachen dürfe wie bisher und stattdessen stärker auf eine Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen, wechselnde Mehrheiten und eine kritischere Haltung gegenüber der Kommission setzen solle. Und dass man Schulz, mit dem so eine Politik nicht möglich schien, ersetzt. Dass der Rheinländer seinen Posten als sozialdemokratischer Fraktionsführer damals behielt und vor zwei Jahren sogar EU-Parlamentspräsident wurde, hat er Beobachtern zufolge nicht zuletzt einer von ihm mit durchgesetzten Altfallregelung für EU-Parlamentarier zu verdanken, mit der sie Familienmitglieder formell als Assistenten auf Steuerzahlerkosten beschäftigten und das monatliche Einkommen um bis zu 15.496 Euro mehren konnten.

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