Schulz unter Beschuss

Der SPD-Politiker könnte nach der praktisch europaweiten Niederlage der Sozialdemokratie seinen Posten als Fraktionschef verlieren

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bei den Europawahlen gab es in den einzelnen Ländern viele Unterschiede aber eine Gemeinsamkeit: Die in der SPE-Fraktion zusammengeschlossenen sozialdemokratischen Parteien verloren fast überall massiv an Stimmen. Insgesamt schrumpfte die Gruppe um etwa ein Viertel. In manchen Ländern, vor allem in Großbritannien, bietet sich Innenpolitisches als Teilerklärung für diesen Rückgang, in anderen dagegen kamen die Verluste für die Betroffenen eher überraschend. Bei der Suche nach den Ursachen beschäftigt man sich nun auch mit dem vorher weitgehend vernachlässigten Erscheinungsbild der Sozialdemokratie auf europäischer Ebene.

Die wurde in den letzten fünf Jahre von Martin Schulz verkörpert, einem SPD-Politiker, der einige seiner Kollegen in mehrerlei Hinsicht an Rudolf Scharping erinnert: Oberlehrerhaft, pathetisch und humorlos. Schulz glich das Abstimmungsverhalten der sozialdemokratischen Fraktion im Rahmen der "technischen Zusammenarbeit" so weitgehend an das der CDU-dominierten EVP an, dass kaum mehr Unterschiede zuwischen den beiden Fraktionen sichtbar waren. Durch seine deutschen Vorstellungen von Fraktionsdisziplin, die er für diese informelle Große Koalition auch in Straßburg durchzusetzen versuchte, machte er sich bei manchen Sozialdemokraten aus anderen europäischen Ländern eher unbeliebt.

Dort werden mittlerweile Stimmen laut, die fordern, dass man nach den verheerenden Verlusten keineswegs so weitermachen dürfe wie bisher und stattdessen stärker auf eine Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen, wechselnde Mehrheiten und eine kritischere Haltung gegenüber der Kommission setzen solle. Mit Schulz allerdings scheint so eine Politik nicht möglich. Nun sieht es so aus, als ob er bei der nächsten Fraktionsvorsitzendenwahl möglicherweise einen Gegenkandidaten bekommen könnte. Wortführer der Gegner einer Fortsetzung der bisherigen Politik ist der Däne Poul Nyrup Rasmussen, weshalb damit gerechnet wird, dass entweder er oder ein anderer skandinavischer Politiker gegen Schulz antreten könnte.

Andererseits hat Schulz trotz der Wahlniederlage durchaus noch Anhänger unter den Parlamentariern: Die danken ihm etwa eine "Altfallregelung", mit der sie Familienmitglieder formell als Assistenten auf Steuerzahlerkosten beschäftigten können, was das monatliche Einkommen um bis zu 15.496 Euro mehrt.