Charlie-Hebdo-Anwalt: "Auf allen Feldern der Meinungsfreiheit gibt es eine Regression"
Seite 2: Für Rechte und Linke interessant
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Das mache sie aus politisch-opportunen Gründen für rechte Lokalpolitiker interessant und für Linke wegen derer ideologischer Vorbehalte, da man auf linker Seite Minderheiten gegenüber auf Liberalität und Gewährenlassen setze - nicht zuletzt aus schlechtem Gewissen gegenüber der kolonialen Vergangenheit Frankreichs. Das Vorgehen der Islamisten, das mit sozialem Druck verbunden ist, vergleicht Rougier mit dem der Fundamentalisten im Maghreb in den 1990er Jahren.
Die Kritik gesteht den Beobachtungen der wissenschaftlichen Mitarbeiter Rougiers zu den "Territorien, die vom Islamismus erobert wurden" zwar einige interessante Untersuchungen vor Ort zu, bemängelt aber ideologische und wissenschaftliche Defizite in einem Werk voller Vorurteile, das von Xenophobie gekennzeichnet sei.
Die Analyse sei im Ansatz davon getragen, eine vorweg angenommene Kohärenz zu bestätigen. Einzelbeobachtungen würden allesamt unter die Kategorie Islamismus und dessen Einfluss gestellt, so dass die Existenz einer Strategie bestätigt werde, die man zuvor schon unterstellt habe. Dabei vernachlässige man Mikro- oder Einzelphänomene, die einen anderen Kontext und eine andere Entwicklung haben, unordentlich oder zufällig statt koordiniert.
Dass der Blick auf den radikalen Islamismus von politischen Ausrichtungen stark beeinflusst wird, erwähnt auch der Politikwissenschaftler Hugo Micheron, Autor des Buches "Der französische Dschihadismus. Quartiers, Syrien, Gefängnisse" in einem Interview mit der SZ, das zum Anlass des Prozessauftaktes geführt wurde.
Er hält Rechten wie Linken Vereinfachungen vor, wenn es um den Zusammenhang zwischen Dschihadismus und soziale Ungleichheit geht. Linken würde vielfach "Rache an der westlichen Gesellschaft" erkennen wollen.
Das Lager der rechten Hysteriker würde dagegen jede arme Vorstadt zur Brutstätte der Salafisten erklären, so Micheron, der als Realität dagegen hält, dass aus den Vorstädten von Marseille, "die in der Theorie alles vereinen, was man sich als Faktoren der Radikalisierung vorstellt, muslimische Mehrheit, hohe Arbeitslosigkeit" keine einzige Ausreise Richtung Syrien stattgefunden habe.
Ich sage nicht, dass die soziale Diskriminierung nicht existiert. Ich sage aber, dass es nur einer von verschiedenen Faktoren ist.
Hugo Micheron
Allerdings zeigt er am Beispiel der Familie Clain aus Toulouse, dass Indoktrination und Propaganda für Salafismus und Dschihadismus gezielt über den Aufbau von Strukturen verbreitet werden:
Die Familienmitglieder sagen von sich selbst, sie würden jeden einzelnen Tag dafür kämpfen, neue Anhänger zu gewinnen. Dafür wurden Sportclubs gegründet und Vereine, es wurden Kontakte zu radikalen Predigern geknüpft. Islamistische Terroristen werden oft als Verrückte dargestellt, als Leute, die gar nicht richtig wissen, was sie tun. Auch die Clains wurden in ihrem Umfeld am Anfang verspottet. Sie haben aber trotzdem Menschen von ihrer Ideologie überzeugt. Als Fabien Clain nach Syrien gefahren ist, wurde er sofort innerhalb der Hierarchie des IS akzeptiert, weil klar war, dass er in Frankreich Einfluss hat.
Hugo Micheron
An den Attentats-Prozess in Paris werden hohe Erwartungen gerichtet. Er soll aufgrund des vielen Materials und der Länge des Prozesses tiefere Einblicke in die dschihadistischen Netzwerke in Frankreich und Belgien verschaffen.
Am gestrigen Tag gab es die Forderung von Anwälten, offenbar von der Verteidigung wie von den Vertretern der zivilen Parteien, die Verpflichtung des Tragens von Schutzmasken aufzuheben, man müsse die Gesichter sehen, wurde vorgebracht - womit erneut eine Parallele zwischen Schutzmaske und Verschleierung aufgemacht wird - und dass sich Angeklagte unter diesen Umständen weigern könnten auszusagen. Ob mit der Demaskierung auch mehr aufgeklärt wird, ist noch offen. Der Vorsitzende Richter gab jedenfalls zu verstehen, dass er prüfe, ob man die Regel nicht lockern könne.