Chávez wirft Kolumbien Kriegstreiberei vor

Besuche hochrangiger US-Vertreter haben in Caracas neues Misstrauen gegen das Nachbarland geweckt

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Die politischen Beziehungen zwischen Kolumbien und Venezuela scheinen trotz der kürzlich erfolgten Geiselfreilassung nicht zur Normalität zurückzukehren. Im Gegenteil: Hugo Chávez wirft dem Nachbarland nun Kriegstreiberei im Auftrag der USA vor. Damit bekommt eine seit mehreren Wochen anhaltende Krise zwischen den Nachbarländern eine neue Note, deren Ende längst nicht abzusehen ist.

Die seit Monaten schwelende Krise zwischen Venezuela und Kolumbien gewinnt an neuer Brisanz. „Ich beschuldige die kolumbianische Regierung, eine Konspiration und einen bewaffneten Zwischenfall im Auftrag des Imperiums gegen Venezuela anzetteln zu wollen“, erklärte der venezolanische Präsident Hugo Chávez am letzten Freitag in Caracas. Dabei bezog sich Chávez auf Geheimdienstinformationen und auf die zahlreichen Besuche, die hochrangige Vertreter der US-Regierung in den letzten Tagen Kolumbien abstatteten.

US-Antidrogen-Zar John Walters, der sich Anfang letzter Woche in Bogotá aufhielt, warf dort Venezuela vor, nichts gegen den Drogenhandel zu unternehmen und stattdessen das illegale Geschäft zu unterstützen. Walters folgten der Generalstabschef der US-Streitkräfte Michael Mullen und am Donnerstag schließlich US-Außenministerin Condoleezza Rice, die der kolumbianischen Regierung die volle Unterstützung Washingtons für ein Freihandelsabkommen zusagte. „Klarer könnte kein Hahn krähen: Dass Rice, der Antidrogenzar und der Armeechef da waren, ist kein Zufall“, legte Chávez am Samstag nach, der davor warnte, dass das „nordamerikanische Imperium die Bedingungen für einen bewaffneten Konflikt zwischen den beiden südamerikanischen Ländern schafft“, und Kolumbien als „Flugzeugträger“ für militärische Aktionen gegen die Bolivarianische Revolution nutzen wolle.

Das Nachbarland beschuldigte Chávez, deshalb eine Kampagne gegen ihn gestartet zu haben. Während der kolumbianische Verteidigungsminister Manuel Santos erklärte, dass sich drei hochrangige Kommandeure der kolumbianischen FARC-Guerilla in Venezuela aufhielten, warf Vizepräsident Francisco Santos letzte Woche dem Bürgermeister der venezolanischen Stadt Maracaibo Jean Carlo Di Martino vor, die kolumbianische ELN-Guerilla materiell und logistisch zu unterstützen. Chávez wies die Beschuldigungen als Lüge zurück und warnte Francisco Santos davor, dass jegliche angedeutete Bemühung um eine Verschleppung des Bürgermeisters vor die kolumbianische Justiz einer Kriegserklärung gleich käme. Der kolumbianische Geheimdienst nahm bereits Anfang 2005 den damaligen „Außenminister der FARC“, Rodrigo Granda, ohne Wissen der venezolanischen Regierung auf venezolanischem Territorium fest, was zur ersten ausgewachsenen diplomatischen Krise zwischen beiden Ländern führte.

Chávez: „Uribe ist ein Lügner, Feigling und Mafioso“

Diese scheint nun zum Dauerzustand zu werden. Obwohl Kolumbiens rechtskonservativer Präsident Álvaro Uribe Vélez und Hugo Chávez ein tiefer ideologischer Graben spaltet, wahrten beide Staatchefs in den letzten Jahren wohl besonders wegen der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit einen Burgfrieden. Bis zum 22. November letzten Jahres: Nachdem Chávez offiziell als Vermittler eine Freilassung dutzender Verschleppter in den Händen der FARC-Guerilla in die Bresche sprang (Friedensstifter Chávez), strafte ihn Uribe an diesem Tag ab. Denn Chávez führte ohne Erlaubnis von Uribe ein kurzes Telefongespräch mit dem kolumbianischen Armeegeneral Mario Montoya, was Uribe dazu verleitete, seinen venezolanischen Kollegen aus der Vermittlerrolle zu entlassen. In wenigen Tagen wurde Uribe für Chávez vom kolumbianischen Bruder zum offenen Feind. Wüste Beschimpfungen aus Caracas gegen die Regierung in Bogotá gehören seitdem zur Tagesordnung.

Anfang Januar hatte es zunächst noch den Anschein, dass sich die strapazierten Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder entspannen könnten. Nach der Freilassung der zwei entführten Politikerinnen Clara Rojas und Consuelo Gonzalez durch die FARC-Guerilla, welche durch die nicht unterbrochenen Vermittlungsbemühungen Venezuelas zustande kam, forderte Hugo Chávez die internationale Gemeinschaft folgend auf, den kolumbianischen Guerillagruppen wieder den politischen Status zuzugestehen, einen Kriegszustand in Kolumbien anzuerkennen und die Guerillagruppen FARC und ELN von der internationalen Terrorliste zu streichen.

Doch nachdem die kolumbianische Regierung unter Präsident Uribe Vélez Widerstand gegen diese Initiative von Chávez leistete und damit vor allem bei der Europäischen Union punktete, die eine Änderung ihrer Haltung ablehnte und Kolumbien jegliche Unterstützung zusagte, riss Chávez abermals der Geduldsfaden. In seinem wöchentlichen Rundfunkprogramm „Aló Presidente“ nannte er Uribe einen „Feigling, Lügner und Mafioso im Stile von Vito Corleone“, der enge Verbindungen zum Paramilitarismus unterhalte. Eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen seien für ihn nicht abzusehen, solange Uribe an der Macht sei.

FARC als Baustein des bolivarianischen Projekts?

Ob die jetzige Krise zwischen beiden Ländern „die schwerste seit der kubanischen Revolution in der Hemisphäre“, ist, wie es der ehemalige kolumbianische Außenminister Guillermo Fernández de Soto beschreibt, mag zu bezweifeln sein. Sicher ist jedoch, dass das friedliche Nebeneinander unter den jetzigen Regierungen zukünftig Illusion bleiben dürfte. Was ist stattdessen zu erwarten?

Der Journalist Álvaro Sierra von der kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo hält mehrere Szenarien für möglich: „Die schwerwiegendste Möglichkeit ist, dass Chávez die FARC als Baustein seines kontinentalen bolivarianischen Projektes einbezieht, das expansionistisch angelegt ist“, so Sierra, der diese These damit begründet, dass Chávez bei der Forderung zur Anerkennung des Kriegszustands in Kolumbien vor der Nationalversammlung erklärte, dass „unter dem breiten bolivarianischen Mantel jede Art Mitreisende hineinpassen“. Für die Washington Post ist dieses Szenario offenbar bereits Realität. „Herr Chávez hat sich mit gewalttätigen und kriminellen Gruppen verbündet, mit denen er nun seine Agenda abstimmt“, schrieb die US-Zeitung, da Chávez erklärte habe, dass die FARC eine bolivarianische Bewegung mit einer anzuerkennenden politischen Zielsetzung seien. Praktisch könnte dies bedeuten, dass Venezuela in Zukunft offiziell die FARC unterstützt.

Doch davon sehen andere Analysten Präsident Chávez weit entfernt. „Das einzige, was er unternommen hat, war die Forderung nach einer politischen Anerkennung der Guerilla, was viele Länder entgegen der offiziellen Haltung im Geheimen längst tun“, erklärte der Chefredakteur der kolumbianischen, kommunistischen Wochenzeitung VOZ, Carlos Lozano, und nannte als Beispiel Frankreich und die Schweiz, die ständige Kontakte zu den Rebellen unterhielten.

Dass der ganze Streit kaum mehr als heiße Luft ist, davon geht der regierungsnahe kolumbianische Analyst Alfredo Rangel aus. Trotz aller ausschweifenden Kommentare über einen bevorstehenden Krieg meint dieser, dass es sich um reine Wutschnauberei von Chávez gegen Uribe handelt, da dieser dessen Ego angekratzt habe. Zudem sei Chávez schlau genug, nicht das Wohl seines Landes und seines Projekts leichtfertig aufs Spiel zu setzen. „Ein Bruch mit Kolumbien würde die Inflation und Lebensmittelknappheit in Venezuela verschärfen“, so Rangel, der zudem davon ausgeht, dass eine Unterstützung der FARC die politische Isolation Venezuelas durch die Europäische Union nach sich ziehen würde. „Nicht einmal Chávez, der andere dazu auffordert, einen Kriegszustand in Kolumbien anzuerkennen, hat diesen Schritt bisher getan“, da er wisse, dass die FARC weder eine Option auf einen militärischen Sieg in Kolumbien besitzen, noch populär unter der eigenen Bevölkerung wären.

Uribe vom Saulus zum Paulus

Ob politische Strategie oder nur persönlicher Rundumschlag von Chávez: Der Streit zwischen beiden Ländern treibt seitdem in Kolumbien seltsame Blüten, von denen Uribe profitiert. Die verbalen Drohgebärden aus Caracas, auf die die Regierung in Bogotá bisher relativ gelassen reagiert, haben viele Kolumbianer in einem Anflug von Patriotismus um ihren Präsidenten scharen lassen, der laut Umfragen etwa 80 Prozent an Zustimmung geniesst. Wie schwer man es dagegen auf Grund der Nähe zu Chávez hat, musste die kolumbianische Senatorin Piedad Córdoba (http://www.piedadcordoba.net/) spüren. Vor einem Flug letzte Woche von Bogotá nach Caracas wurde die Politikerin von Passagieren in der Wartehalle des Flughafens angepöbelt und als Terroristin und Rebellin beschimpft. „Mittlerweile könnte jeder in Frage kommen, mich umzubringen“, erklärte Córdoba, die sich längst nicht mehr nur von den Paramilitärs bedroht fühlt. Die oppositionelle Córdoba wurde wie Chávez als Vermittlerin von Uribe eingesetzt und genauso fallen gelassen, und war massgeblich mit dem venezolanischen Präsidenten an der erfolgreichen Freilassung der zwei Entführten beteiligt.

Der Konflikt mit Chávez hat vor allem einen Punkt in den Hintergrund rücken lassen, der Monate zuvor Uribe immer mehr zu schaffen machte. Die Verwicklung von Familienangehörigen und politischen Freunden Uribes in den Paramilitarismus brachten den Präsidenten immer mehr in die Bredouille, dem seit vielen Jahren eine eigene paramilitärische Vergangenheit angelastet wird.

Wie sehr das Thema an Aktualität verloren hat, zeigte sich besonders auf einer Europareise, die Uribe letzte Woche abstattete, um Unterstützung gegen seine Politik gegen die FARC zu gewinnen. Die gewohnten Demonstrationen von Kolumbien-Aktivisten gegen Uribe blieben aus und selbst dieser resümierte gegenüber seinen Beratern nach der Reise, dass fast kein Journalist das Thema Paramilitarismus angeschnitten habe. Stattdessen heimste sich Uribe die volle Unterstützung der Europäischen Union im Umgang mit der Guerilla ein. „Alle Ideen, die Uribe auf den Tisch legt, haben unser Einverständnis“, erklärte EU-Außenminister Javier Solana. Weiter ging gar Spaniens Mnisterpräsident José Luis Zapatero: „Die spanische Regierung steht an der Seite der kolumbianischen Regierung, wenn diese ein Hoheitsproblem an seinen Grenzen haben sollte.“

Die Beziehungen zwischen Spanien und Venezuela gelten seit dem Iberoamerikanischen Gipfel Ende letzten Jahres als gestört, nachdem König Juan Carlos nach Verbalattacken von Chávez diesem mit den Worten „Warum hältst du nicht die Klappe!“ bei laufenden Kameras über den Mund fuhr und sich den Zorn und Spott des venezolanischen Staatschef zuzog. Uribe plant nach diesem Erfolg nachzulegen und bereits im Februar auf den alten Kontinent zurückkommen zu wollen.

Auch Washington scheint die Polarisierung im Hinterhof aufmerksam zu verfolgen. Dutzende Kongressabgeordnete haben in den letzten Wochen Kolumbien besucht, um sich ein Bild vom Land zu machen. Seit knapp zwei Jahren bemühen sich Uribe und die Bush-Administration um ein Freihandelsabkommen, dessen Verabschiedung allerdings bisher an dem Widerstand der Demokraten im US-Kongress scheitert. Dieser könnte nun auf Grund der Eskalation bröckeln, glaubt man in Bogotá.

Auch militärisch scheint Kolumbien weiter als bisher ins Rampenlicht zu treten. Da demnächst der Vertrag für die US-Militärbasis im ecuadorianischen Manta ausläuft und dessen Präsident und Chávez-Verbündeter Rafael Correa eine Verlängerung kategorisch ausschließt, kamen die letzten Tage die Gerüchte in Kolumbien auf, wonach die Basis in dieses Land verlegt werden solle. Damit wäre die Anschuldigung von Chávez, Kolumbien als Flugzeugträger Washingtons benutzen zu wollen, vielleicht nicht ganz an den Haaren herbei gezogen.