Chef 4.0: Algorithmen als Anweiser

Chef mit KI-Chip als Kopf

Algorithmen steuern zunehmend den Arbeitsalltag. Dennoch sind Führungskräfte skeptisch. Nur wenige nutzen KI, obwohl sie deren Bedeutung für den Erfolg erkennen.

Der Einsatz neuer Technik im betrieblichen Arbeitsalltag erfolgt unterschiedlich. Während Algorithmen bereits Schichtdienste und Wochenendarbeit festlegen, zeigen sich Führungskräfte künstlicher Intelligenz (KI) gegenüber kritisch. KI-Skepsis der Chefs bestätigt eine Untersuchung des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ) in Wiesbaden.

An dieser Online-Befragung nahmen 275 Führungskräfte verschiedener Branchen im deutschsprachigen Raum teil.

KI-Sorge der Führungskräfte um den eigenen Arbeitsplatz

So sind zwar 84,5 Prozent der befragten Führungskräfte überzeugt, dass ein professioneller KI-Einsatz für den Unternehmenserfolg eine "hohe" oder gar "sehr hohe" Bedeutung hat. Nur 22,5 Prozent von ihnen nutzen jedoch KI wie ChatGPT.

Zudem befürchten 72,8 Prozent der Befragten, dass bei einem übermäßigen KI-Einsatz die menschliche Urteilsfähigkeit im Unternehmen verloren gehe.

"Als Gründe für ihr eher geringes Engagement für einen stärkeren KI-Einsatz nennen die Führungskräfte unter anderem Datenschutzbedenken, die in ihrer Organisation bestehen", erläutert Barbara Liebermeister, Leiterin des IFIDZ. 20,3 Prozent der Führungskräfte befürchte mittelfristig den Verlust von Arbeitsplätzen.

In den vertiefenden Interviews wiesen sie aber immer wieder darauf hin, dass ein verstärkter KI-Einsatz sich selbstverständlich auch auf die Führungssituation auswirke. Allein schon deshalb, weil bei einer eventuell sinkenden Mitarbeitendenzahl auch weniger Führungskräfte benötigt würden.

Barbara Liebermeister

Dass diese Sorge nicht unberechtigt ist, machte jüngst KI-Experte Sven Krüger beim "Forum digitale Unternehmenssteuerung" deutlich.

Der Finanzdienstleister Klarna hat Ende 2023 entschieden, aufgrund des erfolgreichen KI-Einsatzes bis auf Weiteres keine Neueinstellungen vorzunehmen. Dies zeige das Potenzial, denn laut Krüger entspricht diese Unternehmensvorgabe faktisch einem sukzessiven Personalabbau von 20 Prozent der Belegschaft.

Dass ChatGPT viele der gängigen Zulassungstests für amerikanische Hochschulen insgesamt erfolgreicher bestehe als Menschen, sei ein Grund für die Vielzahl euphorischer Meldungen rund um KI.

Davon sollten sich Unternehmen aber nicht ablenken lassen, so Krüger. Entscheidend sei der gezielte Einsatz der Technik.

Das algorithmische Management als permanente Kontrolle

Dabei können Algorithmen inzwischen ganze Berufsgruppen steuern, wie eine neue Studie zeigt. Vielen sei bekannt, dass Essenskuriere auf dem Fahrrad schon heute per App gesteuert werden. Dass dies in vielen Branchen üblich sei, ist vielen unklar, erläutert Steven Rolf, ESRC Research Fellow an der Universität Sussex. "Wenn KI heimlich in Büro und Gastro mitarbeitet", warnt tagesschau.de.

"Wir beobachten, dass es inzwischen etwa Scores für die Kellnerinnen und Kellern gibt", berichtet Rolf aus der Gastronomiebranche:

Sie bewerten die Arbeit des Personals danach, wie viel Geld die Kunden an ihren Tischen ausgeben, wie lange die Gäste sitzen bleiben und wie viel Trinkgeld gegeben wird.

Auch die Zeit von der Ausgabe der Teller bis zum Start des Essens beim Gast, werde ausgewertet.

Dieses "algorithmische Management" ist auch bei Büro-Arbeit per Workflow-System üblich. Technik verteilt die Arbeit, Vergleichszahlen unterschiedlicher Kundenberater werden zum Benchmarking genutzt. Rolf geht davon aus, dass aktuell ein Drittel der Beschäftigten so gesteuert und überwacht wird.

Ein untersuchtes Beispiel: Salesforce, eine Kundenverwaltungssoftware, die Marketing, Vertrieb, Kundenservice und Handel als eine Datenbank verwaltet. "Alle Teams haben eine zentrale, gemeinsame Sicht auf alle relevanten Kundeninformationen. So kann auch Ihr Unternehmen eine Customer Company werden", bewirbt die Firma Steuerungsmöglichkeiten für Führungskräfte.

"Die Einsatzpalette ist größer, als es viele denken", sagt Rolf, der für die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie verfasst hat. "Manchmal sind diese Scores zu unterkomplex", warnt er jedoch Unternehmensentscheider:

Vielleicht gibt der Algorithmus vor, alle 15 Minuten an den Tisch zu gehen und nachzufragen, ob nachbestellt werden möchte. Eine erfahrene Servicekraft sieht aber etwa, dass der Tisch gerade beschäftigt ist – und sich von zu häufigen Nachfragen gestört fühlen würde.

Die Studie macht klar: Durch Auswertungen per Algorithmen sind Beschäftigte unter Druck. Denn Kontrolle in "Echtzeit" bedeutet, dass Vorgesetzte jederzeit die Daten sehen können und Kundenberater oder Serviceangestellte unter Rechtfertigungsdruck setzen.

Die Studie warnt vor der Vorstellung, neue Technik sei nur ein Problem des Datenschutzes. Vielmehr haben Unternehmen so neue Möglichkeiten, auf die Arbeitsbedingungen Einfluss zu nehmen.

Auch Freiberufler durch KI unter Druck

Auch für Freelancer hat der Technik-Einsatz Nachteile. Die Studie "Wer wird durch KI ersetzt? Die Auswirkungen von generativer KI auf Online-Freelancing-Plattformen" zeigt die Folgen von KI auf.

Freiberufler in Bereichen wie Coding, Soft- und App-Entwicklung erhalten inzwischen immer weniger Aufträge. "Obwohl ChatGPT nur etwas mehr als ein Jahr auf dem Markt ist, hat es bereits einen immensen Einfluss auf den Arbeitsmarkt", sagt Co-Autorin Xingrong Zhu, Assistant Professor an der Imperial College Business School in London. Die Zahl der Aufträge für diese Personengruppe seit dem öffentlichkeitswirksamen Start von ChatGPT um 21 Prozent eingebrochen.

Auswertung zeigt schlechte Stimmung in den Betrieben

Die zunehmende Technisierung hat Auswirkung auf die Stimmung in den Betrieben. Die Lebenszufriedenheit der deutschen Beschäftigten ist im weltweiten Vergleich deutlich gesunken, meldet zeit.de. Nur noch 45 Prozent fühlen sich zufrieden und zuversichtlich, das sind acht Prozentpunkte weniger als im Vorjahr, berichtet eine neue Studie der Beratungsfirma Gallup.

Faktoren, die die psychische Gesundheit beeinflussen, haben sich verschlechtert.

Auch die Work-Life-Balance wird von den Befragten zunehmend kritischer wahrgenommen. 2021 sagten noch 42 Prozent der Befragten, sie hätten genug Zeit für Familie und Freunde, aktuell sind es nur 36 Prozent. Zudem fällt es immer mehr Beschäftigten schwer, nach der Arbeit abzuschalten.

zeit.de