Betriebsräte als letzte Bastion gegen die digitale Dummheit
Betriebe investieren Milliarden in neue Technologien. Betriebsräte kämpfen aber oft allein für die Weiterbildung der Belegschaft. Warum müssen sie dafür so hart kämpfen?
Selten wird in den Medien über die Arbeit von Betriebsräten berichtet. Der Bundestagsbeschluss zur Vergütung von Betriebsratsmitgliedern letzte Woche, der Streit bei VW über die Umstellung auf E-Autos oder Proteste der Betriebsräte gegen den Verkauf des Hamburger Hafens sind seltene Ausnahmen in der Zeitungswelt.
Wie in den Betrieben derzeit Veränderungen der Arbeitsplätze vorangetrieben werden, ist keine Schlagzeile wert. Neue Maschinen oder veränderte Software sorgen für neue Abläufe und geänderte Tätigkeiten.
Dabei findet in der Kundenberatung häufig ein Customer-Relationship-Management-System Einsatz. Die dazugehörende Dokumentation und Verwaltung von Arbeitnehmer- und Kundendaten ist von besonderer Bedeutung. Ein Schlagwort dabei: die permanente Geschäftsprozessoptimierung.
Der Geschäftsprozess beginnt mit der Kundenanfrage und reicht bis zur Feststellung der Kundenzufriedenheit. Gemessen werden dabei auch die Bearbeitungsdauer, Wartezeiten oder Reaktionszeiten. Auf dieser Basis werden die Prozesse ständig gemessen, standardisiert und durch Zeitvorgaben kontrolliert.
Aber das ist nicht alles. Durch die Technik steigen die Anforderungen an die Beschäftigten. Mit fortschreitender IT-Durchdringung wird sich der Abbau einfacher, manueller Tätigkeiten fortsetzen. Arbeitsplätze, die erhalten bleiben, werden erhöhte Anforderungen haben – denen nur qualifizierte Arbeitnehmer entsprechen können.
Auch im Verwaltungsbereich veraltet durch Workflow-Systeme das Wissen.
Schulungen werden oft erst durch Betriebsräte erreicht
Die Schulung für die Belegschaften setzen oft erst Betriebsräte durch. Denn während viel Geld in neue Technologien investiert wird, soll häufig bei Weiterbildung gespart werden. Oft wird auf E-Learning-Programme verwiesen, die kostenlos von Softwareanbietern im Internet angeboten werden.
Die Arbeit mit neuen Maschinen erfordert jedoch ein Lernen in der Praxis, der Einsatz an neuer Software ist für viele Beschäftigte nur durch Lernen in einer Testumgebung durch Trainer vor Ort effektiv.
Das Betriebsverfassungsgesetz ermöglicht dem Betriebsrat, die Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs zu erreichen. Eine Betriebsvereinbarung sichert den Weiterbildungsanspruch der Belegschaften oftmals verbindlich.
Dabei ist zunächst der Informationsanspruch durchzusetzen. Die Qualifikationsanforderungen an die einzelnen Beschäftigten müssen aus Unternehmensplanung und Personalplanung abgeleitet werden. Es sind die Qualifikationsanforderungen festzustellen, die zur Erreichung der Unternehmensziele erforderlich sind. Dabei ist eine Auflistung der Anforderungen festzulegen.
Die Ziele sind auf Abteilung und Kostenstelle herunterzubrechen, um den Soll-Qualifikationsbedarf ermitteln zu können. Dies setzt jedoch voraus, dass das aktuelle Qualifikationsniveau der Beschäftigten bekannt ist.
Nur wenn dem Betriebsrat die Personalplanung bekannt ist, ist die Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs realistisch nachvollziehbar. Kernstück der Personalplanung ist die Personalbedarfsplanung. Die gilt erst recht bei Planungen zu neuer Technik.
Gerade beim Einsatz neuer Technik ist eine einzige Qualifizierungsmaßnahme alleine häufig nicht ausreichend. Oftmals werden deshalb im Betrieb Coachingprozesse angestoßen. Ein Coach, der nicht aus der Abteilung stammt und keine Führungsverantwortung hat, unterstützt den Arbeiter am Arbeitsplatz. Coaching soll dabei nicht der Beurteilung dienen, sondern Lernprozesse unterstützen.
"Werkhefte" begleiteten den Dialogprozess Arbeiten 4.0, den die Bundesregierung zum Start der Industrie 4.0 gestartet hat. Darin wird die Bedeutung der Weiterbildung gerade vor dem Hintergrund des Einsatzes neuer Technik bereits 2017 betont:
Die Unterschiede folgen dem Matthäus-Prinzip: "Denn wer da hat, dem wird gegeben; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat." (Mt. 25,29).
Personen mit höherer Bildung nehmen häufiger an Weiterbildung teil als niedrig Gebildete. Wer in einem Beruf arbeitet, macht häufiger eine Weiterbildung als Arbeitslose oder Nichterwerbstätige. Menschen in großen Betrieben nehmen eher an Kursen und Lehrgängen teil als Personen in kleineren Betrieben. Ältere Menschen, Personen mit Migrationshintergrund sowie Zeitarbeiter und Zeitarbeiterinnen nehmen seltener an Weiterbildung teil.
BMAS "Werkheft 03"
Ausreichend reagiert auf diese Erkenntnis hat das Bundesarbeitsministerium heute nicht, denn weiterhin existiert kein bundesweites Weiterbildungsgesetz, das Ansprüche der Beschäftigten auf Qualifizierung beinhaltet. In jedem Betrieb müssen so Betriebsräte diese Ansprüche durchsetzen und Betriebsvereinbarungen erkämpfen, damit die Arbeitenden abgesichert sind.
Durch Anpassungsqualifizierung sollen veränderte Anforderungen im eigenen Aufgabengebiet erfüllbar werden. Es geht um die Anpassung an veränderte Anforderungen bei gleicher Aufgabenstellung. Dies kann der Einsatz einer neuen Maschine oder die Einführung von Software sein, sodass die Beschäftigten die notwendige Qualifizierung zur Bedienung erhalten.
Unternehmen setzen Betriebsräte unter Druck
Das Engagement der Betriebsräte ist kein Selbstläufer, verdeutlichen die Gewerkschaften. Unternehmer versuchen Betriebsräte zu verhindern, sagt die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi. Und das habe drastisch zugenommen:
Inzwischen werden ein Fünftel der neuen Betriebsratsgründungen massiv behindert, auch mit illegalen Mitteln.
Teilweise drohen die Bosse mit der Kündigung oder spionieren Beschäftigten privat hinterher, erzählt Fahimi:
20 Prozent der Betriebe, in denen ein Betriebsrat gegründet wird, müssen gegen den Arbeitgeber kämpfen und sich dagegen wehren, dass versucht wird, Kolleginnen und Kollegen herauszukaufen.